Wischiwaschi-Parteien gibt es schon genug

Mit dem Erfurter Programm ist es der LINKEN gelungen, tragfähige Kompromisse zu schnüren und sich gleichzeitig ein klar erkenn- und unterscheidbares Profil zu geben

 

Das ruhige und sonnige Herbstwetter, es passte irgendwie ins Bild, an jenem historischen Wochenende, an dem DIE LINKE ihr Grundsatzprogramm beschlossen hat. Mit 96,7 Prozent Zustimmung hatte wohl selbst die Parteispitze nicht gerechnet. Dieser Erfolg ist nicht nur dem guten Willen aller Delegierten geschuldet, sondern auch den so oft kritisierten Vorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst. Was auch immer in Sachen Personalfragen im nächsten Jahr beschlossen wird, man wird langfristig das Erfurter Programm auch mit ihren Namen verbinden.

 

Mit Verstand und Herz


Oft wird behauptet, DIE LINKE würde nur aus Flügeln bestehen, die miteinander nicht können, während ein Zentrum nicht vorhanden ist. Es mag stimmen, dass der Abstand zwischen Realos und Fundis – oder wie auch immer man die Flügel nennen mag – größer ist als in anderen Parteien. Dennoch wurde in Erfurt deutlich, dass es ein starkes, gemeinsames Band gibt, das alle eint und auch von keiner noch so boshaft-falschen Berichterstattung der Rechtspresse oder internen Querelen zerschlagen werden kann, denn das Wissen, das eine bessere Welt ohne Krieg, Armut und Ausgrenzung möglich ist, ist stärker als alle Anfeindungen. Während andere über die Wiedereinführung der D-Mark und andere nationale Alleingänge schwadronieren, bekennt sich DIE LINKE dazu, dass ein demokratischer Sozialismus nur im internationalen Maßstab gedacht werden kann. Wie dieser Kampf zu führen ist, da gehen die Meinungen auseinander. Aber was ist daran schlimm? Empfahl nicht Prof. Klaus Dörre eine lernende Programmatik, die nicht auf jede Detailfrage eine Antwort geben muss?  DIE LINKE ist keine dogmatische Weltanschauungspartei, die bestimmte Personengruppen ausschließt. Im Gegenteil, jeder ist willkommen, der seinen Teil beitragen will, die Diktatur der Finanzmärkte, wie Oskar Lafontaine es benannte, zu  überwinden. Wer diesen Kampf mit der Bibel und Christentum begründet, ist in der Partei genauso willkommen, wie jene, die sich auf Karl Marx und Friedrich Engels berufen. Deswegen rief auch Gregor Gysi in seiner gewohnt bissigen und engagierten Rede den Delegierten zu, dass es gerade der Reiz der Partei sei, solche unterschiedlichen Flügel zu haben. Man müsse den jeweils anderen aber auch wollen, mit dem „Verstand und dem Herzen“. Der lang anhaltende Beifall nach diesen Sätzen zeigt, dass die Mehrheit der Partei das offenbar genauso sieht.  


Lehren aus der Geschichte 


Während die Medien und die politischen Gegner nicht müde werden zu behaupten, DIE LINKE hätte ihre Geschichte nicht aufgearbeitet und würde letztlich eine zweite DDR, nur ohne Mauer wollen, hat der Erfurter Parteitag eindrucksvoll das Gegenteil bewiesen. Es gibt keine andere Partei in Deutschland, die so intensiv ihre Geschichte aufgearbeitet hat. „Wir sind doch nicht doof“, rief Gysi und bekräftigte die Erkenntnis, dass der Staatssozialismus gescheitert ist. Klaus Ernst ergänzte: „Ein Sozialismus, der Mauern braucht, um zu existieren, den wollen wir nicht“. DIE LINKE stehe in der Tradition großer Ideen und großer Irrtümer, betonte Ernst. Eine Glorifizierung der DDR wird es mit der Partei ebenso wenig geben, wie eine Kriminalisierung von DDR-Biografien. Eine derart differenzierte Geschichtsaufarbeitung findet man bei SPD oder CDU kaum, sie zeigen mit dem erhobenen Zeigefinger lieber auf DIE LINKE, anstatt sich mit den Verfehlungen ihrer eigenen Vergangenheit zu beschäftigen. 


Friedenspartei ohne Wenn und Aber

Nicht ernsthaft gerüttelt wurde am Status der Antikriegspartei. Konnten vor 1999 die Grünen und zu Zeiten Willy Brandts auch in Ansätzen die SPD dieses Thema für sich beanspruchen, ist es heute nur noch DIE LINKE. Der Außenpolitiker Wolfgang Gehrcke erinnerte daran, dass noch nie ein LINKER Abgeordneter für den Einsatz der Bundeswehr gestimmt habe. Es gibt einige LINKE, die sich für eine Einzelfallprüfung in den jeweiligen Konfliktfällen einsetzen, dafür gab es jedoch keine Mehrheit. Strittig blieb die Frage, ob es keine Kriegseinsätze oder generell keinerlei Auslandseinsätze geben soll. Oskar Lafontaine versicherte, dass er keinerlei Schlupflöcher zulassen werde. In der nächsten Zeit werden die Konzepte zum Ausstieg aus der Militärlogik noch weiter konkretisiert werden müssen, unter anderem auch, um zu klären, was das im Raum stehende „Willy-Brandt-Friedenschor“ letztlich für Kompetenzen haben soll. Fakt ist, DIE LINKE bleibt Friedenspartei und macht es sich zur Aufgabe, Konzepte zur friedlichen Konfliktbeilegung und vor allem zur Rückkehr der UNO von der Willkür zum Völkerrecht zu entwickeln. 

Mut zur Wahrheit in der Drogenpolitik 

Für den größten medialen Wirbel sorgte der neu ins Programm aufgenommene Passus zur Entkriminalisierung aller Drogen, nicht nur der so genannten Weichen, wie Cannabis. Der drogenpolitische Sprecher der Bundesfraktion, Frank Tempel, hatte sich dafür eingesetzt und der Parteitag war ihm mehrheitlich gefolgt. Damit wird ein tabuisiertes Thema besetzt, dass letztlich weit mehr Menschen betrifft, als viele denken. Die Medien taten anschließend so, als wolle DIE LINKE Heroin im Supermarkt verkaufen. Das war nie geplant und doch wurde dieser Teil konkretisiert, um deutlich zu machen, dass harte Drogen wie Kokain oder Heroin nur kontrolliert an Süchtige abgegeben werden sollen. Das war kein Kniefall vor den Medien, sondern das Diskussionsergebnis innerhalb der Partei und eine notwendige Konkretisierung. Schaut man nach Kolumbien oder Mexiko, wo seit Jahren blutige Kriege toben, die sich aus dem Geld mafiöser Drogenkartelle speisen, kann die Lösung letztlich nur lauten, die repressive Drogenpolitik für gescheitert zu erklären. Diesen Mut zur Wahrheit, konnte bislang noch keine Partei aufbringen. Verbote halten keinen Menschen vom Konsum oder Handel ab, im Gegenteil die Repression verschärft die meisten Probleme sogar erheblich. 


Geschärftes Profil trotz Kompromissen

Neben der eindeutigen Haltung zur Friedenspolitik und dem Umdenken in der Drogenpolitik, hat DIE LINKE mit dem Erfurter Programm auch in anderen Politikfeldern ihr Profil geschärft. „Wischiwaschi-Parteien gibt es schon genug“, machte Sarah Wagenknecht deutlich. Zwar seien viele Kompromisse notwendig gewesen, aber man brauche kein Programm, in dem die einen knappe Siege über die anderen davon tragen, so die stellvertretende Parteivorsitzende. Zentral bleibt die Frage der Eigentumsgerechtigkeit  – wem gehört was und aus welchem Grund? Großkonzerne, die über keinerlei demokratische Legitimation verfügen sollen vergesellschaftet werden. Die Banken will DIE LINKE genossenschaftlich oder öffentlich-rechtlich organisieren. Die öffentliche Daseinsfürsorge: Bildung, Wasser, Energie, Gesundheit sollen nicht mehr in privater Hand sein. Auch hier wurden die Lehren aus der Geschichte gezogen. Eine Verstaatlichung von Klein- und mittelständischen Unternehmen ist jedenfalls nicht das Ziel. Dennoch steht das Programm klar erkennbar auch in der Tradition von 1891. Forderungen nach der Emanzipation, nach der Befreiung aller Menschen, ohne Rücksicht auf Geschlecht, Rasse oder Religion gab es auch vor 110 Jahren. Die Einführung einer 30-Stunden-Woche, Mindestlöhne, die Finanztransaktionssteuer  und viele andere Forderungen, die in die Mitte der Gesellschaft gehören, sind nicht neu, geben der Partei aber ein klares Profil, dass sich deutlich von allen anderen unterscheidet.


Kultur des Streites statt Zerfleischung

Es dürfte einige Leute geben, die vom Parteitag enttäuscht sind – alle die, die schon vom Scheitern der LINKEN und der Bedeutungslosigkeit der Partei geträumt haben. Sie alle wurden eines Besseren belehrt. Das Jahr 2011 war durch die vielen Nebenkriegsschauplätze  kein leichtes für die Partei. Mit dem, bei nur vier Gegenstimmen beschlossenen Programm und der klaren Absage an Personaldebatten, stehen die Chancen gut, dass die Partei wieder in ruhigeres Fahrwasser kommt. Dass immer wieder um die besten Lösungen gerungen werden muss und es auch zum Streit kommen kann, ja kommen muss, gehört zu einer Partei, die sich als pluralistisch versteht, dazu. So lange es dabei um die Sache geht und die Disputanten zeigen, dass sie sich gegenseitig zuhören und respektieren, wird ein Streit mehr vereinen als entzweien. Auf dem Parteitag hat die große Mehrheit der Delegierten genau diese Streitkultur an den Tag gelegt, auch wenn es jedem Einzelnen nur schwer möglich war, alle Änderungsanträge nachzuvollziehen, so war der Wille zu einem echten demokratischen Verfahren und einem Höchstmaß an Partizipation spürbar. Durch den Zeitfaktor mussten jedoch Grenzen gezogen werden. Aber selbst ein Mitarbeiter des Haus- und Hofsenders von Militär und Börse, N24, musste zugeben dass in der LINKEN auch die Mitglieder ausreden dürfen, deren Meinung nicht mehrheitsfähig ist – in anderen Parteien würden sie entweder nicht zu Wort kommen oder gnadenlos ausgebuht. Diese politische Kultur muss DIE LINKE nicht nur in den Parlamenten vertreten, sondern auch im Alltag und auf der Straße. Der Berliner Landesvorsitzende Klaus Lederer brachte es auf den Punkt: Es reicht nicht aus, schöne Bilder mit der Occupy-Bewegung zu machen, die LINKE muss ein Teil davon werden.   

Thomas Holzmann