Wenn Kinder im Unterricht ohnmächtig werden

Die Austertitätspolitik verwandelt Griechenland in ein Armenhaus, Eltern können sich kaum noch das Frühstück für ihre Kinder leisten – europäische Solidarität muss die Antwort sein

Seit nunmehr zwei Jahren steht Griechenland unter der Fuchtel des rigorosen IWF-EU-Spardiktates. Doch diese Austeritätspolitik ist nicht nur ungeeignet der Euro- und Schuldenkrise in irgendeiner Form Herr zu werden, sie verschlechtert auch noch die Lebenssituation der großen Mehrheit der griechischen Bevölkerung. Das wussten die beiden jungen griechischen Gewerkschafterinnen Agiro Baduva, Vorstandsmitglied des Gewerkschaftsbundes der Lehrerinnen  und Alkistis Tsolakou, Betriebsrätin bei Nokia-Siemens Hellas zu berichten. 

Auf Einladung der DGB-Jugend Hessen-Thüringen zeichneten sie am 28. August im „Filler“ ein düsteres Bild von dem Land, das als Wiege der europäischen Zivilisation gilt. Doch wo einst die großen Philosophen ihre Werke schufen wird die Situation beinahe täglich immer schlechter. Seit beginn der Austeritätsmaßnahmen wurden die Steuern erhöht, die Löhne und Pensionen gesenkt, Teile des Arbeitsrechtes abgeschafft und die Tarifverträge aufgehoben. Das Problem hat das nicht einmal im Ansatz gelöst, berichte Tsolakou. Vielmehr sei die Staatsverschuldung in den letzten zwei Jahren von 120 Prozent des BIP auf unfassbare 160 des BIP gestiegen – mit drastischen Folgen. Ein Welle der Migration hat begonnen. Vor allem die hochqualifizierten Arbeitskräfte verlassen das Land. Dennoch steigt die Arbeitslosigkeit massiv an. Weil die Sozialleistungen ebenfalls drastisch gekürzt wurden gibt es immer mehr Obdachlose. Immer mehr Menschen müssen sich bereits ihr Essen aus  Mülleimern suchen. 2.000 Schulen wurden geschlossen und ein Schulbussystem existiert nicht, was zu Folge hat,  dass viele Kinder gar nicht mehr zur Schule gehen können. Berichte häufen sich, wie Baduva erläuterte, dass Schüler im Unterricht ohnmächtig werden, weil sich ihre Eltern kein Essen leisten können. Es gibt sogar Krankenhäuser ohne Ärzte und ohne Medikamente. Derartiges kennt man sonst eher aus Ländern südlich der Sahara. Doch solche Zustände können nach Auffassung der beiden Griechinnen auch in anderen Ländern kommen: Spanien, Italien, Portugal – wer weiß? 

Beide Gewerkschafterinnen wissen, dieses Problem ist ein gesamteuropäisches Problem, ergo kann es dafür nur eine gesamteuropäische Lösung geben.  So düster die Situation auch seine mag, die Südeuropäer verlieren deswegen noch lange nicht ihr positives Gemüt. „Ich denke der Wandel wird kommen“, gibt sich Tsolakou optimistisch und fügt hinzu: „wir müssen vermitteln, dass wir die Krise nur als gemeinsames Europa lösen können.“ Die Gefahr, dass der Tag kommen könnte, an dem Rechtsextreme in Griechenland ans Ruder kommen sehen die Beiden nicht. Zwar gab es auch hier eine Zunahme, vor allem, weil Rechtsextreme versuchen, den Migranten die Schuld an der Krise zu geben. Linke Parteien allen voran Syriza und auch die Gewerkschaften seien aber stark genug, um faschistischen Tendenzen keinen Raum zu geben. 

Einen Austritt aus dem Euro lehnen beide  Gewerkschafterinnen ab. Denn damit wird kein einziges Problem des Landes gelöst. Vielmehr brauche es eine neue EU-Strategie. Dazu müsse man Druck auf der Straße erzeugen, dann könne Griechenland auch der Start für Veränderungen in ganz Europa  sein. Immerhin, 27 große Streiks gab es bereits  in diesem Jahr, fünf davon mit mehr als einer Millionen Teilnehmer. Das macht Hoffnung und Mut. Beides scheint in Griechenland nahezu unerschöpflich vorhanden zu sein und man kann nur hoffen, dass der Optimismus der beiden Gewerkschafterinnen auch berechtigt ist. Doch dazu müssen auch die Menschen in Deutschland ihren Teil beitragen. Die oft beschworene Solidarität muss in ganz Europa gelebt werden. Die Griechen stehen jedenfalls  bereit!

 

Thomas Holzmann