Vor 65 Jahren – ein Rückblick auf den Vereinigungsparteitag

In den zwanziger Jahren bekämpften sich SPD und KPD gegenseitig. Erst als die Nazis schon zu stark waren änderten beide ihren Kurs. In der sowjetischen Besatzungszone wollte man diesen Fehler nicht wiederholen. Wie viel Zwang und wie viel Freiwilligkeit steckte tatsächlich dahinter?

Es ist beinahe wie auf einer Versteigerung: „Zwangsvereinigung“ zum ersten, „Zwangsvereinigung“ zum zweiten und bei „Zwangsvereinigung“ zum dritten fällt dann schließlich der Hammer der Verdammung bis in alle Ewigkeit. Oder bietet vielleicht jemand noch mehr davon, ohne sich freilich mit den Ereignissen der Jahre 1945 und 1946 auch nur wenigstens halbwegs oberflächlich befasst zu haben? Das Bild, auf dem sich Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl die Hände reichen, ist längst in die Geschichte eingegangen, doch noch immer prallen angesichts dieser symbolischen Geste die Meinungen aufeinander. Selbst in PDS bzw. Linkspartei gibt es Politiker, denen da nicht wohl in ihrer Haut ist und die sich angesichts gewöhnlich wenig sachlicher, dafür umso emotionsgeladener und wutschäumender Angriffe am liebsten in einer Art Selbstkasteiung üben, so, als seien sie zu reuevoller Buße verpflichtet. Die Wahrheit sieht indes zumindest etwas anders aus, jedenfalls, wenn man sich mit den 1990 in der Broschüre „Einheitsdrang oder Zwangsvereinigung?“ veröffentlichten Dokumenten befasst und Parteimitglieder befragt, die noch am damaligen Vereinigungsprozess teilgenommen und ihn mitgestaltet haben. Da ergibt sich nämlich im Großen und Ganzen ein völlig anderes Bild – ja, es gab einen Zwang, einen sehr schwerwiegenden sogar, und das waren die Erfahrungen der Jahre 1933 bis 1945 mit faschistischer Diktatur, Zuchthäusern und Konzentrationslagern, „Endlösung der Judenfrage“ und dem vom „Dritten Reich“ angezettelten Zweiten Weltkrieg, der rund 44 Millionen Menschenleben forderte und die Vernichtung ungeheurer materieller Werte zur Folge gehabt hatte. Niemand kann abstreiten, dass Uneinigkeit, Zerstrittenheit, ja Feindschaft vor allem zwischen den beiden großen Arbeiterparteien KPD und SPD den Machtantritt des deutschen Faschismus erst möglich gemacht hatten, für den es im übrigen keinen Unterschied bedeutete, Kommunist oder Sozialdemokrat zu sein: Der eine wie der andere landete in Zuchthäusern und Konzentrationslagern, im Strafbataillon 999 oder gar auf dem Schafott. Aktionen wie der berüchtigte Köpenicker Blutsonntag räumten schließlich und sehr frühzeitig mit den allerletzten Illusionen über eine Gebundenheit der Hitlerregierung an Verfassung und Gesetzlichkeit, an den von so manchem sozialdemokratischen Funktionär beschworenen Zwang zur Einhaltung der „Spielregeln der Demokratie“ auf.


Nun, da das „Dritte Reich“ in Trümmern lag, galt nur noch eines, ja, konnte und durfte nur noch eines gelten: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ Was nun aufgebaut werden musste, war nur gemeinsam möglich und das erforderte, die eigenen Fehler einzusehen, aufeinander zuzugehen, alten Hader zu beenden, um fortan gemeinsam zu handeln. Dabei waren die Ansichten darüber, wie denn nun der gemeinsame Weg zu beginnen sei, anfangs durchaus sehr unterschiedlich und es ist schon bemerkenswert, dass es während und kurz nach der Befreiung vom Faschismus Funktionäre der SPD waren, die meinten, es sei an der Zeit, gleich eine gemeinsame Partei zu schaffen, anstatt zunächst die getrennte Zulassung beider Parteien anzustreben. Die Führung der KPD dagegen hielt eine solche gemeinsame Parteigründung für verfrüht, ja überstürzt und befürwortete einen zumindest mehrere Monate andauernden Klärungs- und Vorbereitungsprozess. Dazu dienten sowohl die örtliche und regionale Zusammenarbeit beider Parteien als auch die paritätisch besetzten und deshalb so genannten Sechzigerkonferenzen. In denen wurden Probleme gemeinsam und durchaus sachlich beraten, wobei gerade diese Konferenzen deutlich machten, dass der Vereinigungsprozess keineswegs reibungslos und ohne Meinungsverschiedenheiten verlief. So gab es mehrfach Klagen sozialdemokratischer Funktionäre über Benachteiligungen durch die sowjetische Besatzungsmacht, was sich in einigen Fällen als Tatsache, in anderen dagegen als Missverständnis erwies. Das konnte freilich kein Aufgeben des gemeinsamen Willens zur Schaffung der Einheitspartei bewirken. Unbestreitbar ist, dass es in beiden Parteien Gegner der Vereinigung gab. Sie blieben allerdings nicht nur in der Minderheit, ihre Beweggründe waren auch recht unterschiedlich: Manchen ging es einfach zu schnell, andere waren immer noch im Ungeist des Antikommunismus bzw. der „Sozialfaschismus“-These befangen oder sahen in der KPD eine „Russenpartei“, wiewohl sie der SPD in den westlichen Besatzungszonen mit Sicherheit keine Unterstellung, etwa eine „Amipartei“ zu sein, zumuten mochten.


Doch nicht nur die im genannten Band veröffentlichten Dokumente führen die behauptete und angeblich ausschließlich auf massiven Druck von KPD und sowjetischer Besatzungsmacht erfolgt sein sollende „Zwangsvereinigung“ ad absurdum: Es ist keine Neuigkeit, dass es in den westlichen Besatzungszonen ebenfalls sehr starke Bestrebungen zur Schaffung der Einheitspartei gab, und zwar sowohl in der KPD als auch in der SPD. Dabei ist festzustellen, dass gerade durch die SPD ein verhängnisvoller Riss ging, der vor allem von Antisowjetismus und Antikommunismus geprägt war, wie der auf der Konferenz von Hannover am 5. und 6. Oktober 1945 gehaltenen Rede von Kurt Schumacher, Vertrauensmann der westlichen Besatzungsmächte, zu entnehmen ist und die zahlreiche Falschdarstellungen und verleumderische Unterstellungen wie diese enthält: „Es gibt zur Zeit noch keine buergerliche Gruppierung in Deutschland, die sich fuer die ungehinderte Auswertung des Privateigentums und die uneingeschraenkte Taetigkeit der Unternehmerpersoenlichkeit einsetzt ... Die einzige Partei, die sich in ihrem Aufruf uneingeschraenkt fuer diese kapitalistischen Faktoren einsetzt, ist die Kommunistische Partei ...“ Da wurde das, was die sich „national“ und „sozialistisch“ genannt habende Nazipartei in Wahrheit getan hatte, nun ganz einfach der KPD unterstellt – die „rotlackierten Faschisten“ lassen grüßen! Und weiter äußerte der Mann, der sein Überleben im KZ bekanntlich kommunistischen Mithäftlingen verdankte und nun so tat, als habe es 1914 keine Burgfriedenspolitik, 1918 kein Abwürgen der Novemberrevolution gegeben und als sei es nicht wahr gewesen, dass führende sozialdemokratische Funktionäre selbst nach dem 30. Januar 1933 ein gemeinsames Vorgehen zum Sturz der Nazi-Regierung abgelehnt und sich stattdessen der Illusion hingegeben hatten, das Verbot der SPD durch Abwahl aller jüdischen Vorstandsmitglieder und Zustimmung zu Hitlers außenpolitischem Programm, durch Wohlverhalten also, verhindern zu können: „Wir sind als bewusste Internationalisten bestrebt, mit allen internationalen Faktoren im Sinne des Friedens, des Ausgleichs und der Ordnung zusammenzuarbeiten. Aber wir wollen uns nicht von einem Faktor ausnutzen lassen. Im Sinne der deutschen Politik ist die Kommunistische Partei ueberfluessig. Ihr Lehrgebaeude ist zertrümmert, ihre Linie durch die Geschichte widerlegt. Nachdem ihre Hoffnung, sich als führende Arbeiterpartei entwickeln zu können, von den Tatsachen völlig unmöglich gemacht wird, muss sie nach dem grossen Blutspender suchen. Das Rezept ist die Einheitspartei, die einen Versuch darstellt, der sozialdemokratischen Partei eine kommunistische Fuehrung aufzuzwingen ... International waere jeder Schritt auf diesem Wege eine aussenpolitische Parteinahme und wuerde eine Gleichgewichtsstoerung von deutscher Seite bedeuten." Gänzlich anders dagegen waren die in seiner dreistündigen programmatischen Rede auf einer Funktionärsversammlung der SPD am 14. September 1945 in der „Neuen Welt“ in Berlin-Neukölln gezogenen Schlussfolgerungen Otto Grotewohls, die der Zentralausschuss unter dem Titel „Wo stehen wir, wohin gehen wir?“ anschließend als Broschüre veröffentlichte: "Was noetig ist, ist die Selbstverstaendigung über das Geschehene, ist die klare Erkenntnis von Unterlassungen und Fehlern, ist die entscheidende Erkenntnis, dass wir zu Unrecht glaubten, nicht mehr wie unter dem Dreiklassenwahlrecht in einem Klassenkrieg zu leben. Wir glaubten, auf Strategie verzichten zu koennen und mit parlamentarischer Taktik und mit Positionseroberungen im demokratischen Staat auszukommen. Notwendig ist die Erkenntnis, dass es auf unserem Weg zum Sozialismus keine proletarisierte Masse und keine kleinbürgerliche Intelligenz geben darf, die wir nicht fuer uns gewinnen müssen. Notwendig ist es auch, dass wir vor den Massen da, wo uns die Schuld trifft, diese Schuld bekennen und damit die Grundlage fuer eine von Vertrauen getragene Klassenfuehrung schaffen. Notwendig ist es endlich, dass wir daraus lernen, eine Politik aufzubauen, die es wegen ihrer einfach bezwingenden Richtigkeit unmoeglich macht, dass es im Kampf der Arbeiterklasse um ihre Ziele mehr als eine grosse Partei geben kann. Wir hatten nach 1918 die Schlacht um die Sozialisierung verloren, weil die Spaltung der Arbeiterklasse ihren Sieg verhinderte. 1933 haben wir die Schlacht mit der Hochbourgeoisie um die Demokratie und den Sozialismus verloren, weil wir schwere Fehler gemacht hatten." Weiter sagte er, dabei noch vorhandene Schwierigkeiten, Vorurteile und falsche Auffassungen auf beiden Seiten nicht aussparend: Die Kommunistische Partei von heute ist ebenso die von 1933, wie die SPD dieselbe ist. Beide Parteien haben eingesehen, dass sie praktisch zusammenarbeiten muessen und es ohne ihre Mitarbeit im neuen antifaschistisch-demokratischen Volksstaat nicht geht. Die gesellschaftliche Entwicklung laesst keinen Raum mehr fuer eine gespaltene Arbeiterklasse. Der Ausdruck dieser Erkenntnis liegt in der Vereinbarung des Zentralkomitees der KPD und des Zentralausschusses der SPD vom 19. Juni 1945. Die Vertreter beider Parteien druecken darin ihren festen Willen aus, alles zu tun, um auf dem Wege guter Zusammenarbeit in allen Fragen des antifaschistischen Kampfes und des Wiederaufbaus die Voraussetzungen fuer die politische Einheit des werktaetigen Volkes zu schaffen. Wer diese Voraussetzungen einer gewissenhaften Prüfung unterzieht, wird mit mir zu dem Schluss kommen, dass sie für eine organisatorische Vereinigung noch nicht erfüllt sind ... Wir verkennen die Schwierigkeiten nicht, die unsere Freunde aus dem Zentralkomitee der KPD haben, um den letzten Mann und die letzte Frau davon zu überzeugen, dass die Erkenntnis von der Anwendung der Demokratie eine geschichtliche Notwendigkeit geworden ist. In diesem Punkte haben wir es mit unseren Anhaengern leichter. Die Schwierigkeit fuer uns liegt in der Tatsache, dass wir unsere Anhaenger von dem Zweifel in die ehrliche Ueberzeugung der kommunistischen neuen Orientierung befreien muessen.“


Abgesehen davon, dass noch nie jemand darüber gesprochen hat, wie es denn in den Berliner Westsektoren zu einer „Zwangsvereinigung“ gekommen sein soll, ist eines festzustellen: Wenn von bundesdeutscher Politik und Propaganda sowie der rechten SPD-Führung über eine „Zwangsvereinigung“ gewettert wird, dann geht es nicht um die Methode, nicht darum, dass es örtlich und regional unterschiedlich auch äußeren Druck seitens der sowjetischen Besatzungsmacht sowie von einzelnen Politikern der KPD gegeben hat. Nein, ihnen geht es um die grundsätzliche Ablehnung und Verteufelung der Vereinigung von KPD und SPD in der Sowjetischen Besatzungszone zur SED: Eine geeinte, von Reformismus und Opportunismus freie Partei war ein Hindernis zur kapitalistischen Restauration, wie sie unter Bruch des Potsdamer Abkommens in den westlichen Besatzungszonen und mit allen sich daraus zwangsläufig ergeben habenden schlimmen Folgen durchgesetzt wurde. Das ist der Hauptgrund, die Methode wie auch die spätere Stalinisierung der SED spielen dabei allenfalls eine untergeordnete Rolle. Dieser Prozess steht freilich auf einem anderen Blatt, doch auch der stalinisierten Einheitspartei kann man bei aller notwendigen Kritik eines nicht nachsagen – die Förderung und Verschlimmerung von Massenarbeitslosigkeit durch Armut per Gesetz, die Schaffung noch besserer Möglichkeiten zur Vermehrung des Reichtums der ohnehin Schwerreichen und die Durchsetzung einer Beteiligung an Kriegen in aller Welt.


Hans-Joachim Weise