Vor 50 Jahren – der erste Mensch im Weltall

Juri Gagarin wurde nach seinem erfolgreichen Erstflug in den Komos ein in Ost und West umjubelter Medienstar, der sich stets für den Frieden einsetzte.

Wie der selige Bundeskanzler an jenem längst in die Geschichte eingegangenen 12. April 1961 reagiert hat, war bislang nicht in Erfahrung zu bringen gewesen. Vielleicht hatte ihn der 4. Oktober 1957 inzwischen eines besseren belehrt gehabt, angesichts altbekannter rheinisch-antikommunistischer Sturheit vielleicht auch nicht: „Dat jlaube ich nich, dat is nich mööchlich!“ ist nämlich als seine erste Reaktion auf die Nachricht über den erfolgreichen Start von „Sputnik 1“ überliefert. In westlich-imperialer Überheblichkeit und Ignoranz konnten ja „die Soffjets“ noch weniger als „die Machthaber in Pankoff“ zu herausragenden wissenschaftlich-technischen und menschlichen Leistungen in der Lage sein.

Um so größer musste also der Schock werden, den die Nachricht vom allerersten und noch dazu geglückten Start eines Menschen zum Flug ins All, eines Menschen, der Bürger der Sowjetunion war, auslöste. Ausgerechnet das vom späteren US-Präsidenten Ronald Reagan als „Reich des Bösen“ verteufelte Land hatte es ein zweites Mal geschafft, der kapitalistischen Welt zu zeigen, wozu es in der Lage sein konnte! Es hatte auch gezeigt, welche Möglichkeiten Menschen in einer nicht von privatem Profitstreben beherrschten Welt offenstanden, offenstanden unabhängig von ihrer sozialen Herkunft: Mit dem damals 27 Jahre alt gewesenen Juri Alexejewitsch Gagarin saß der Sohn einer Kolchosbäuerin und eines Zimmermanns, saß ein gelernter Gießer in der Raumkapsel, mit der er die Erde in 108 Minuten einmal umrundete – im „freiesten Land der Welt“ allenfalls auf Grund heftigsten Ellenbogengebrauchs denkbar gewesen. Keiner geringeren Achtung bedarf freilich auch sein persönlicher Mut, seine Bereitschaft, sich in bislang Unerreichbares vorzuwagen – ein Unterfangen, dessen glücklicher Ausgang bei aller Gründlichkeit und Genauigkeit der Konstrukteure, Techniker und Arbeiter, der Wissenschaftler, der Ärzte und Trainer durchaus nicht sicher war, das auch mit einer Katastrophe hätte enden können! Juri Gagarin hatte zweifellos eine Rolle übernommen, die der des Ikarus in der griechischen Sagenwelt mindestens ebenbürtig war und von dem die „Puhdys“ gesungen hatten „Doch der erste war er!“ Es ist gut, dass es mit ihm einen Ersten gegeben hat, obwohl es den übrigen Mitgliedern seiner Ausbildungsgruppe keineswegs an Mut und Bereitschaft gemangelt hatte: German Titow hätte es ebenso sein können, Wladimir Komarow, Pawel Popowitsch oder Andrijan Nikolajew.


Folgt man den Angaben einschlägiger Literatur, dann waren seine Disziplin und sein ruhiges Temperament, die stark ausgeprägte Fähigkeit, auch in schwierigen oder gar gefährlichen Situationen schnell, aber genau überlegt zu handeln, für die Wahl Juri Gagarins ausschlaggebend gewesen. Mit seinem Flug stieß er nicht nur in bislang unerreichbare Weiten und unbekannte Welten vor, der Blick von außen zeigte ihm die ganze Schönheit unseres „Blauen Planeten“, ließ ihn fortan auf seinen späteren Reisen in viele Länder der Erde dafür eintreten, diese Welt zu bewahren, diese einzige, die der Menschheit gegeben ist. Das Bild, das Juri Gagarin mit einer Friedenstaube zeigt, ist dafür legendär gewordenes Symbol. Viele Jugendliche lieben es, T-Shirts mit dem berühmten Abbild Ernesto de la Che Guevaras zu tragen, der als Kämpfer für eine Welt des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit in die Geschichte eingegangen ist. Warum dann nicht auch solche mit gerade diesem Bild von Juri Gagarin? Ist es angesichts der nicht überwundenen Gefahr für die Menschheit und ihren „Blauen Planeten“ durch Kriege, irrsinnige Sternenkriegsprojekte und Umweltkatastrophen weniger bedeutsam? Oder ist es vielmehr nicht noch aussagekräftiger? Es gibt Veröffentlichungen, in denen der Schwerpunkt darauf gelegt wird, jener Flug sei nichts weiter denn „Prestigeobjekt“ gewesen und Juri Gagarin, immerhin mit dem Titel „Held der Sowjetunion“ ausgezeichnet, sei nur auf Reisen in alle Welt geschickt worden, um „zum Vorzeigen herumgereicht“ zu werden. Als ob es der anderen Seite nie um Prestige gegangen wäre! Nein, seine Reisen, seine Reden, seine Vorträge waren bei aller Begeisterung, die ihm entgegenbrandete, ein Werben für den gemeinsamen Bau einer friedlichen Welt ebenso wie für die friedliche Eroberung, Erforschung und Nutzung des Weltalls zugunsten der Menschheit, ein Werben für die Ächtung seines gefährlichen Missbrauchs durch Sternenkriegsprojekte á la Ronald Reagan. Es wird auch geschrieben, Juri Gagarin habe sehnsüchtig von einem zweiten Raumflug geträumt, der ihm aus propagandistischen Gründen durch die sowjetische Führung nicht genehmigt worden sei, was bei seinem tragischen Ende am 27. März 1968 eine Rolle gespielt haben soll. Was stimmt und was nicht, wird sich erst nach vollständiger und uneingeschränkter Öffnung der Archive zeigen. Fest steht jedenfalls, dass er als Ersatzpilot für den Flug von „Sojus 1“ vorgesehen war, jenem 1967 so tragisch enden sollenden Flug, bei dem mit Wladimir Komarow auf Grund eines technischen Versagens zum ersten Male ein Raumflieger ums Leben kam.


Im übrigen verbrachte Juri Gagarin seine Zeit keineswegs mit „Herumreisen zum Vorzeigen“, sondern leitete bis 1963 die sowjetische Kosmonautengruppe, um anschließend an der Shukowski-Militärakademie zu studieren. Zudem setzte er seine durch die Vorbereitung auf den Raumflug unterbrochene Ausbildung zum Kampfpiloten fort, bei der er an jenem Unglückstag auf Grund eines offenbar von einem anderen Piloten verursachten Beinahe-Zusammenstoßes und dessen Folgen gemeinsam mit seinem Ausbilder Wladimir Serjogin, dem damals erfahrensten MiG-Piloten, ums Leben kam. Aber wirklich tot ist ein Mensch erst dann, wenn er von der Nachwelt vergessen wird, doch Juri Gagarin, ein Ikarus der Menschheit, bleibt unvergessen.