Verfassungsschutz – Gefahr für eine demokratische Gesellschaft?

In aller Regelmäßigkeit ploppt in Thüringen die Debatte um das Amt für Verfassungsschutz auf. Die Anlässe hierfür sind die allseits bekannten Positionen der Parteien und der medial gewitterte, manchmal auch gerne angeregte, Zwist innerhalb der Regierungskoalition.

 

 

Von Steffen Dittes 

 

In der gesamten medialen und politischen Debatte schwebt dabei mit, dass eine Positionierung pro Geheimdienst die Normalität darstellt, von der DIE LINKE abweicht. Daraus entsteht zwangsläufig, dass diejenigen, die das Amt für den Verfassungsschutz für eine sinnvolle und notwendige Einrichtung halten, ihre Position nicht mehr begründen müssen. Eine gefährliche Schieflage der Debatte. Es erscheint doch auch insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Erfahrungen mit Gestapo und Stasi ahistorisch und verfassungspolitisch riskant, wenn die Anwesenheit eines Geheimdienstes, der seine Mitbürger aufgrund politischer Einstellungen bespitzelt und überwacht, die Normalität in einer demokratischen und freien Gesellschaft kennzeichnet. Es wäre ein riesiger bürgerrechtlicher und politischer Fortschritt, wenn in der Debatte wieder anerkannt wird, dass die Einrichtung eines Geheimdienstes vom Idealzustand einer Demokratie abweicht und als solche Abweichung auch einer besonderen verfassungsrechtlichen wie politischen Rechtfertigung bedarf.  

 

Was ist das Ziel eines Geheimdienstes?

 

Eine Versachlichung der Debatte ist dann möglich, wenn die Diskussion auf das eigentliche Ziel der Arbeit des Geheimdienstes gerichtet wird. Denn auch die Befürworter_innen wollen nicht behaupten, das Amt für Verfassungsschutz bestehe um seiner selbst willen. Was ist also das Ziel der Arbeit des Geheimdienstes? Allgemein gesagt: gesellschaftliche Gefahren für die Demokratie rechtzeitig erkennen, terroristische Gewalttaten bereits im Entstehen identifizieren und in der Folge verhindern. Ob ein Geheimdienst geeignet ist, die formulierten Ziele zu erreichen, steht zur Diskussion. Hinsichtlich der allgemeinen Gefahren für die Demokratie, die von bestimmten gesellschaftlichen und politischen Gruppen ausgeht, kann eine Eignung nicht erkannt werden. Um frühzeitig auf politische Gefahren reagieren zu können, ist es gerade nicht von Bedeutung, ob Einzelne oder Gruppen über eine „verfassungsfeindliche Gesinnung“ verfügen. Diese nimmt aber das Amt für Verfassungsschutz ins Visier. Gefahren für die Demokratie entstehen erst dann, wenn die Gesinnung Einzelner und von Gruppen so wirkmächtig werden, dass sie die gesellschaftliche Einstellung verschieben und diese wiederum dafür sorgt, dass die Mehrheit nicht mehr immun gegen demokratiefeindliche Einstellungen ist, sondern diese selbst als Teil einer Mehrheitsmeinung, zumindest aber als Teil des demokratischen Meinungspluralismus, anerkennt. 

Um Gefahren für die Demokratie rechtzeitig zu erkennen, müssen also Einstellungsentwicklungen wissenschaftlich aufgearbeitet und hinsichtlich ihres Entstehens und ihrer Wirkung analysiert werden. Die Ergebnisse müssen dann Teil einer transparenten und öffentlichen Debatte werden, bei der die Kriterien der Bewertung nachvollziehbar sind. Natürlich geht auch eine individuelle Gefahr von demokratiefeindlichen Gruppen und Einzelpersonen aus. Dieser ist aber durch die Polizei im Falle von Straftaten zu begegnen und auf der Einstellungsebene durch zivilgesellschaftliches Engagement. 

 

Schutz von Demokratie und Freiheit

 

Im letzten Punkt liegt auch eine der Gefahren für die Demokratie durch die Institution Verfassungsschutz. Mit der Maßgabe, dass sich der Geheimdienst um die politischen Gefahren für die Demokratie sorgt und kümmert, wird die Zivilgesellschaft aus ihrer Verantwortung entlassen und im besten Falle nicht motiviert, sich selbst für den Schutz von Demokratie und Freiheit zu engagieren. Eine Schwächung einer in der Tat wehrhaften Demokratie, die nach dem Wortsinn schon das Wehrhafte nicht auf Institutionen verlagern kann, wäre die Folge. Nicht minder gefährlich allerdings ist, dass die Grenze von noch hinnehmbaren zu nicht mehr tolerierbaren individuellen Einstellungen fließend ist und auch der Dynamik sich stetig verändernder gesellschaftspolitischer Meinungsbilder und jeweiliger Sensibilitäten unterliegt. 

 

Zivilgesellschaft versus Geheimdienst

 

Während im Rahmen einer öffentlichen, gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung diese Grenze sichtbar gemacht wird und auch selbst der kollektiven Meinungsbildung unterliegt, mithin also Ergebnis eines demokratischen Prozesses ist, entzieht sie sich genau dieser öffentlichen Kontrolle und gegebenenfalls auch Korrektur, wenn sie durch ein Amt für Verfassungsschutz als Eingriffsschwelle festgesetzt wird. Die Gefahr, dass auf diesem Weg eigene politische Interessen verfolgt werden und das Amt für Verfassungsschutz somit zum Instrument der politischen Machthaber verkommt, ist nicht nur theoretisch folgerichtig, sondern auch real dokumentiert. Die Thüringer Regierungskoalition hat darauf reagiert und mit dem Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft eine Institution gefördert, für die die gesellschaftliche Einstellungsentwicklung Gegenstand der wissenschaftlichen Arbeit ist, ohne die Gefahren eines Amtes für Verfassungsschutzes in sich zu bergen. 

 

 Verhinderung oder Aufarbeitung?

 

 Bei der frühzeitigen Beobachtung von Personen und Strukturen, die terroristische oder vergleichbare staatsgefährdende Straftaten planen und vorbereiten, kann ein Geheimdienst durchaus erfolgreich wirken und durch eine entsprechende Informationsweitergabe an die Strafverfolgungsbehörden die Gefahr nicht nur abwenden, sondern auch die Strafverfolgung durch die nachrichtendienstlich gewonnenen Informationen, insbesondere über bestehende Netzwerke, erleichtern. Aber auch an dieser Stelle muss die Eignung weiter hinterfragt werden. Denn beispielsweise hindert die Art der Informationsermittlung auch die Informationsweitergabe, insbesondere in rechtsstaatlichen Verfahren. So bleibt immer das Spannungsfeld bestehen, ob das Interesse eines weiteren Informationszugangs das Interesse der Weitergabe von Infomationen zur Verhinderung von Straftaten oder für die strafrechtliche Aufarbeitung überwiegt. Geheimdienstler nennen dies dann euphemistisch „Quellenschutz“. 

 

Polizei – die bessere Gefahrenabwehr?

 

Gerade für die Durchführung von Strafverfahren sind die auch mit nachrichtendienstlichen Mittel erhobenen Informationen im Rahmen strafprozessualer Befugnisse, die zugleich einer richterlichen und damit weitestgehend objektiven, an Verfassungsgrundsätzen ausgerichteten Kontrolle unterliegen, ungleich gewichtet. Es drängt sich damit auch die Frage auf, ob die Polizei auch zur Gefahrenabwehr das bessere Instrument im demokratischen Rechtsstaat darstellt. Der wesentliche Unterschied zwischen Polizei und Geheimdienst ist neben der fehlenden richterlichen Kontrolle des Einsatzes nachrichtendienstlicher Informationszugänge, dass die Polizei zumindest einen Straftatverdacht oder einen tatsächlichen Anhaltspunkt für eine konkrete Gefahr haben muss. Der Geheimdienst braucht dies nicht. Und genau hier fangen die Probleme der Verhältnismäßigkeit an. Das Amt für Verfassungsschutz braucht sich nicht auf Anhaltspunkte zu stützen, es reicht aus, dass er aufgrund eigener Erfahrungen interpretiert und antizipiert. Das heißt, auch hier unterliegt er einer großen Freiheit bei der Entscheidung, in welchen Fällen er zum nachrichtendienstlichen Mittel greift. Dass sich das wiederum weitgehend der Kontrolle entzieht, versteht sich aufgrund des Charakters der Arbeit eines geheim agierenden Dienstes von selbst. 

 

Autor Steffen Dittes ist innenpolitischer Sprecher der Linksfration im Thüringern Landdtag.