Starke Regionalwirtschaft statt globaler Abhängigkeit

Viele Thüringer Landwirte sehen sich gezwungen, für den Weltmarkt zu produzieren. Während es Puffbohnen aus Erfurt oder Zwiebeln aus Weimar nur selten in den Supermärkten zu kaufen gibt, werden Thüringer Äpfel nach Dubai exportiert.

Von Michael Seeber

 

Seit Jahren steigen die Nahrungsmittelpreise in immer astronomischere Höhen und gleichzeitig geht immer mehr hochwertiger Boden verloren. Ist deswegen die Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln in Zukunft gefährdet oder ist weiterhin genug für alle da?

Wie in Thüringen eine nachhaltige  Versorgung mit Lebensmitteln gewährleistet werden kann, diskutierten Vertreter der Nahrungsmittelbranche am 2. November auf der Fachkonferenz der Linksfraktion im Thüringer Landtag „Ernährungswirtschaft in Thüringen – Nachhaltigkeit vom Produzenten bis zum Verbraucher?“ Schwerpunkte waren regionale Wertschöpfungsketten, gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen für Produzenten sowie Verbraucherwünsche.  Teilweise wurde auch kontrovers zwischen den Vertretern der Klein- und Großbetriebe diskutiert. 

Dr. Johanna Scheringer-Wright, Sprecherin für Agrarpolitik und regionale Entwicklung, eröffnete die Konferenz mit der Vorstellung der Linksfraktion, dass eine Stärkung der Regionalwirtschaft, geringere Abhängigkeiten von globalen Märkten und dadurch die Erhöhung der Wertschöpfung in Thüringen zu den wichtigsten Aufgaben gehören, um eine nachhaltige Ernährungswirtschaft in Thüringen sicherzustellen.

Thüringen war lange Zeit durch Produktionszentren für Bohnen („Erfurter Puffbohne“), Zwiebeln (Weimarer Land) und viele andere Gemüsekulturen geprägt. Doch diese artenreiche Kultivierung geht immer stärker verloren. Mittlerweile werden thüringenweit flächendeckend Mais- und Raps-Monokulturen für die Biokraftstoffgewinnung produziert. Die Bodenqualität geht deshalb immer weiter zurück, genauso die Biodiversität. Die zunehmende Bodenversieglung verstärkt dieses Problem noch.  

Lebensmittel, die in der Vergangenheit noch regional produziert wurden, werden nun auf dem Weltmarkt eingekauft. Zwar wird in Weimar jedes Jahr groß der Zwiebelmarkt gefeiert, doch in Supermärkten kommen  die Zwiebeln nicht selten aus aller Herren Länder. Demgegenüber werden Weizen, Kartoffeln und Fleisch in Mengen produziert, die den Bedarf der Bevölkerung übersteigen und in deren Folge exportiert werden. So steigen die Gewinne für Großbetriebe. Kleinbauern, die für den regionalen Markt produzieren können und wollen, haben stattdessen immer größere Probleme, überhaupt noch geeignete Flächen zu erhalten. Hier könnte die Politik durch eine stärkere Förderung von Kleinbetrieben und umweltverträglichen Produktionsweisen die regionale Wertschöpfung stärken und eine nachhaltige Ernährungssicherung gewährleisten. 

Zwar gibt es bereits Maßnahmen, die eine nachhaltige und umweltverträgliche Produktionsweise unterstützen, wie das Bio-Siegel. Doch fehlt es an  zielgerichteter Unterstützung. Der Bedarf an ökologisch produzierten Lebensmitteln steigt kontinuierlich an, während die Produktion dieser Entwicklung hinterherhinkt. So werden beispielsweise Thüringer Äpfel nach Dubai exportiert und südafrikanische, chilenische oder neuseeländische Äpfel landen bei uns. 

Liegt das nur an der falschen Weichenstellung  der Politik oder hat auch der Verbraucher eine Mitschuld? Durch unseren Einkauf entscheiden wir  mit, welche Produkte ein Unternehmen anbietet. Die wenigsten Verbraucher sind sich dessen bewusst. Ein Schulfach „Ernährungs- und Verbraucherbildung“ würde so schon früh ein entsprechendes Verantwortungsbewusstsein erzeugen. 

Zudem müsste auch der vor- und nachsorgende Verbraucherschutz stärker ausgebaut werden. Detelf Wendt, vom Amt für Lebensmittel- sicherheit und Verbraucherschutz Thüringen, berichtete aber, dass in diesen Bereichen weiter gespart wird.

In der abschließenden Debatte  wurde ein Spannungsfeld zwischen Klein- und Großbetrieben deutlich, dass sie zwar unterschiedliche  Auffassungen vertreten, aber durch die von der neoliberalen Politik geforderte Marktkonformität, zu ökologisch fragwürdigen Geschäftspraktiken genötigt werden. Nachhaltige Produktionsmethoden sind allerdings keine Frage der Betriebsgröße.  Albert Seifert, Vizepräsident des Thüringer Bauernverbandes, sieht gegenwärtig einen unumgänglichen Zwang, für den Weltmarkt zu produzieren. Diese Friss-oder-stirb-Mentalität beschreibe seiner Auffassung nach die gegenwärtige Entwicklung in der Ernährungsbranche. Das  sehen kleine Betriebe, die sich auf biologische und/oder regionale Landwirtschaft konzentrieren tendeziell anders. Im Wettbewerb mit der Agrarindustrie können sie ohne poltische Unterstützung aber kaum bestehen. 

Nur wenn zukünftig nicht mehr die Profitgier im Vordergrund steht, heute nicht auf Kosten von morgen und hier nicht auf Kosten von anderswo produziert wird, nur dann besteht die Möglichkeit, eine nachhaltige Ernährungssicherheit, nicht nur für Thüringen zu gewährleisten. Noch hat Thüringen Potential  als Vorreiter für eine nachhaltige Ernährungswirtschaft einzutreten. Es bedarf aber einer fachübergreifenden Zusammenarbeit in der Praxis. Immerhin wusste schon Brecht, dass der Mensch vom Geschwätz allein nicht satt wird!