Skurrilitäten und Merkwürdigkeiten eines Politikerlebens

Was hat Bergsteigen mit Politik zu tun? Solch scheinbar unsinnige Frage beantwortete Dr. Heidi Knake-Werner, einst Bundestagsabgeordnete der PDS (heute DIE LINKE) und Berliner Sozialsenatorin, am 29. März, im Ilmenauer Hochhausklub sehr eindeutig und einleuchtend: In beiden Fällen sind Eigenschaften wie Mut, Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit erforderlich.

Heidi Knake-Werner muss es wissen, ist sie doch ebenso wie ihr Mann Harald Werner seit langem begeisterte Bergsteigerin, und nötig hatte sie diese, als ihr nicht nur im Urlaub völlig überraschend das Senatorenamt angetragen wurde, sondern sie beim späteren Gespräch auf einen gut vorbereiteten Gregor Gysi traf, dessen Argumenten sie nichts entgegenzusetzen hatte. Es war eine nervenaufreibende Zeit, hatte sie doch stets und ständig harte Kämpfe mit dem unlängst wieder in die Schlagzeilen geratenen Finanzsenator Sarrazin auszufechten: War er ansonsten die Liebenswürdigkeit in Person, zeigte er sich mit seinen Streichlisten auf sozialem Gebiet als unerbittlicher Technokrat, für den Menschen in erster Linie Rechengrößen, Kostenfaktoren und Diagrammbalken waren. Sie sparte auch die gemachten Fehler, Probleme und Enttäuschungen nicht aus – mit der Parteibasis war nicht ausreichend geredet worden, der Rücktritt Gregor Gysis brachte mehr Schaden als Nutzen und die, denen sie Zwangsumzüge und andere Unmenschlichkeiten ersparte, gehörten fast ausnahmslos zur „Partei der Nichtwähler“. Dass sie als Senatorin einmal das Bundesverdienstkreuz während einer Faschingsveranstaltung überreichen musste, weil der damit Auszuzeichnende es so gewünscht hatte, gehört dabei wohl zu den Skurrilitäten und Merkwürdigkeiten eines Politikerlebens.

Begonnen hatte sie freilich damit, wie letzteres angefangen hatte, wobei es manchem älteren so schien, als habe es sich erst gestern ereignet: Da waren der Aufruhr nicht nur der studentischen Jugend gewesen, als 1965 im Bundestag allen Ernstes die Verjährung von Nazi- und Kriegsverbrechen beschlossen werden sollte, wofür übrigens 1969 ein zweiter Anlauf genommen wurde, die Diskussion über die Nazi-Vergangenheit hochrangiger Politiker, der Kampf gegen die Notstandsgesetze. Sie schilderte ihre Begeisterung für Willy Brandt, der „mehr Demokratie wagen“ wollte, und ihre Enttäuschung über den 1972 verabschiedeten „Radikalenerlass“, der sie als SPD-Mitglied schließlich genauso traf wie ihren in der DKP engagierten Mann. Der CDU-Abgeordnete Schipanski meint, es sei völlig richtig, wenn DIE LINKE vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Dem kann man durchaus etwas abgewinnen, wenn man Lebensschicksale wie das der Familie Werner – als eines von tausenden anderen – betrachtet: Dann würde nämlich denen, die tagtäglich salbungsvolle Reden über Demokratie und Freiheit halten, freilich ohne deren Inhalte auch nur annähernd zu definieren, diese nicht gerade demokratische und freiheitliche Vergangenheit um die Ohren gehauen werden.

Mit Studiengruppen von DGB, SPD und DKP fuhr Heidi Knake-Werner mehrfach in die DDR, wo sie nicht das erhoffte Paradies, aber eine große Baustelle vorfand, auf der aller Ungeduld von Menschen zum Trotz nach lange, lange zu tun war. Sie berichtete von sehr offenen und freimütigen Gesprächen, aber auch davon, wie völlig anders die Probleme waren und dass man sich da nicht immer verstand: Heute lächelt sie darüber, doch während für Frauen in der DDR die Inhalte von Frauenförderungsplänen nicht weniger wichtig waren als Kinderkrippen und -gärten oder günstig gelegene Handels- und Dienstleistungseinrichtungen, stritten Feministinnen in der BRD darüber, ob es denn in ihren Abschlusszeugnissen „Ingenieur“ oder „Ingenieurin“ heißen sollte.

Alles in allem waren es zwei so interessante wie kurzweilige und unterhaltsame Stunden mit ebenso angeregtem wie anregendem Meinungsaustausch. Eines freilich hätte man diesem Abend noch gewünscht – er hätte eine deutlich größere Teilnehmerzahl verdient gehabt.


Hans-Joachim Weise