Rockmusik hält zumindest den Geist jung

Sie sind noch nie in den alten Bundesländern aufgetreten, doch im Osten haben sie noch immer eine riesige Fangemeinde. Zu Recht, denn obwohl schon 1964 gegründet, bezaubern sie noch immer jedes Publik mit ihrem melodischen und äußerst experimentierfreudigen Progressive Rock.

Diese Gruppe begann in einer Zeit, in welcher englische Namen nicht zugelassen wurden und sich eine Band schlicht Combo nennen musste. Heute ist der Bandname Kult und verspricht eine hohe Qualität sowie einen nicht alltäglichen    Sound. Das sind Markenzeichen, welche sich die Bandmitglieder allerdings von Anfang an zu eigen machten. In Zeiten als Musikelektronik für DDR-Bürger fast ein Fremdwort war, suchte und fand der Bandleader Martin Schreier Wege, um an moderne Keybord-Instrumente und Tontechnik zu kommen. Auf dem damaligen Musikelektronik-Schwarzmarkt bestand ein Wechselkurs von 1:10. Ganz schnell stieg der Preis für einen Synthesizer auf bis zu 20.000 Mark. Ein weiteres großes Problem war der Transport der Technik. 

Transportfahrzeuge erhielten nur volkswirtschaftlich wichtige Betriebe und die bewaffneten Organe. Die meisten Bands transportierten ihre Anlagen auf abenteuerlich anmutende Art und Weise.

Die Stern-Combo-Meißen fuhr damals mit einem ausgedienten Sanitätsbarkas der NVA.

Bei einem Konzert im damaligen Zentralen Klub (heute Stadtgarten Erfurt) halfen wir den Musikern beim Entladen der Hammond-Orgel und schleppten diese zu sechst auf die Bühne. Dieses Instrument ist noch heute im Einsatz, weil der Klang unübertroffen ist. Über viele Jahre hinweg pflegte ich einen sehr persönlichen Kontakt zum Manager Detlef Seidel und auch zu den Bandmitgliedern. Persönlich begeisterten mich immer wieder die Klassikadaptionen wie Mussorgskis „Die Nacht auf dem kahlen Berg“ oder Bachs Toccata und Fuge. Aus Vivaldis Jahreszeiten ist der Frühling immer noch ein Höhepunkt im Konzert. Stern Meißen hatte stets ein intellektuell aufgeschlossenes Publikum, welches den  Behörden nicht ganz geheuer war.

Als sich die Stern-Combo mit den ehemaligen „Klosterbrüdern“ (später Gruppe „Magdeburg“) zur Formation „Fusion“ zusammen fanden, läuteten die kulturpolitischen Alarmglocken im Land.

20 gestandene Rockmusiker auf der Bühne mit einer sehr anspruchsvollen Musik und einer noch nie da gewesenen Tontechnik mobilisierte denkende junge Leute. Dabei könnte einiges außer Kontrolle  geraten. Das vermuteten sich für wichtig haltende Funktionäre. Wir entschlossen uns trotzdem „Fusion“ nach Erfurt zu holen. Unter der Auflage keinen Alkohol von der HO-Gaststätte ausschenken zu lassen, erhielten wir die polizeiliche Genehmigung. In der Nacht vor dem Veranstaltungstag bekamen die Sicherheitsorgane die Meldung, dass sich über tausend junge Leute nach Erfurt auf den Weg gemacht haben, um das sensationelle Konzert zu erleben. Der Saal war schon lange ausverkauft. Nachts um drei Uhr weckte mich die Besatzung eines Streifenwagens der Sicherheitsorgane. Die Genossen der Volkspolizei nahmen mich mit zu einem gerade gebildeten Einsatzstab. Es wurden alle denkbaren Szenarien diskutiert. Mit riesigen Sicherheitsauflagen fand das als legendär zu bezeichnende Konzert statt. Die klugen Fans waren bis zum Schluss friedlich, und die Einsatzkräfte hatten nichts zu tun. Als Stern-Meißen am 20. April 2012 auf dem Erfurter Anger für DIE LINKE  spielte, traf ich seit längerer Zeit auf die Bandmitglieder.

Vor dem Konzert tauschten wir noch einmal unsere Erinnerungen aus und stellten fest, dass Rockmusik zumindest den Geist jung erhält. Martin Schreier berichtete mir auch vom Schicksal des ehemaligen Sängers Reinhard Fißler. Er ist inzwischen vollständig gelähmt und kann nur noch die Augen bewegen. Mit Hilfe modernster Technik hält er Kontakt mit der Band und komponierte den Titel „Mal sehn, wohin die Reise geht“. Allein diese menschliche Haltung zum Schicksal eines ehemaligen Kollegen bestätigt den hohen humanistischen Anspruch des Teams um Martin Schreier. Trotz höchster Qualität und künstlerischer Leistung konnte Stern Meißen nach über 20 Jahren Anschluss noch nie in den alten Bundesländern auftreten. Sie werden von Agenturen und Veranstaltern einfach ignoriert. Eine hohe Qualität aus dem Osten dulden sie nicht an ihren Futtertrögen. Inzwischen sind die Leute der Stern-Combo-Meißen stolz auf dieses Image, denn sie wissen was sie können. Ob ihre poetischen Texte woanders als im Osten verstanden werden?


Foto und Text: Uwe Pohlitz