Ritual und Ringelspiel

Wird irgendwo in Deutschland ein Naziaufmarsch angekündigt folgt immer das gleiche Spiel. Systempolitiker heucheln Antifaschismus, Justitia zeigt sich den Nazis wohlwollend und am Ende sind es meist nur Linke, die sich den Nazis in den Weg stellen.

Ist das eigentlich schon einmal jemandem aufgefallen? Die NPD oder auch eine andere Nazi-Gruppierung meldet in einem Ort eine Kundgebung oder andere Veranstaltung an. Daraufhin wird – aus gutem Grund – ein Verbot erlassen. Nun folgt als nächster Schritt der schwarz-braunen Anmelder der Gang zum Gericht, das prompt das Verbot als mit dem „freiheitlich-demokratischen Versammlungsrecht“ und dem „Recht auf Meinungsfreiheit“ unvereinbar aufhebt. Dank wohlwollender Unterstützung von Justitia darf nun nazistisches Gedankengut, bei dem es sich keineswegs um etwas Gutes handelt, öffentlich verbreitet werden. Nun folgt der nächste Akt des Ringelspiels: Politiker aller die Eigenschaft „demokratisch“ beanspruchenden Parteien rufen auf, „Flagge zu zeigen“, „Gesicht zu zeigen“, „Zeichen zu setzen“ und was die deutsche Sprache an dazu passenden Begriffen sonst noch alles hergibt. Daraufhin finden sich engagierte Menschen zu Mahnwachen, Protestdemonstrationen, Menschenketten ein, besuchen Konzerte wie „Rock gegen Rechts“, tragen Fahnen, Spruchbänder und Kerzen durch die Gegend. Mal sind es mehr, mal weniger und Politiker der systemtragenden Parteien zeigen sich dabei auch schon einmal, geben sich zumindest für Fernsehen und Presse als gegen nazistische Umtriebe engagierte Leute. Dann marschieren die Nazis auf, mit schwarz-weiß-roten Fahnen des untergegangenen Kaiserreiches als notgedrungener Ersatz für die verbotene Hakenkreuzfahne, schwarzer Kleidung und an solche Nazi- und Kriegsverbrecher wie Julius Streicher und Fritz Sauckel erinnernden Glatzen, was ihnen ein durchaus abstoßend wirkendes Äußeres gibt. Zudem marschiert Polizei auf, in beachtlicher Stärke und einer an bürgerkriegsähnliche Zustände gemahnenden Uniformierung. Allerdings sind die derart behelmten und schwerbewaffneten Damen und Herren keineswegs dazu da, die Nazi-Veranstaltung zu verhindern, sondern diese vor den Gegendemonstranten zu schützen. Die Nazis marschieren ja schließlich mit dem Segen von Justitia und die handelt selbstverständlich rechtsstaatlich, wobei dieses Wort nun zweierlei Deutung zulässt – oder doch nur diese eine? Nämlich die, wonach der Staat rechts steht, denn warum sonst sollte er erst per richterlichem Beschluss und dann mit rabiater Polizeigewalt Nazis behüten? Natürlich bleibt die Polizei dann auch nicht neutral, obwohl sie offiziell nichts anderes tun soll als durch ihre bloße Anwesenheit Nazis und Gegendemonstranten auf Abstand zu halten: Plötzlich bricht der Sturm los, nicht gegen die Nazis freilich, sondern die bürgerkriegsähnlich Uniformierten und Bewaffneten dreschen auf die Gegendemonstranten ein, was das Zeug hält. Anlass? Nicht erkennbar, auf jeden Fall nicht immer. Freilich gibt es unter den Demonstranten gelegentlich einige, die versuchen, die Polizeikette zu durchbrechen, um sich mit den Nazis handgreiflich auseinanderzusetzen. Dabei weiß man nicht, jedenfalls nicht genau, ob es sich tatsächlich um jugendliche Hitzköpfe handelt, um Leute, die um jeden Preis den Schlagabtausch mit der Polizei suchen, oder um solche, die dafür bezahlt werden, dass sie sich unter die Protestierenden mischen, um den erwünschten Vorwand zu liefern. „Agent Provocateur“, zu deutsch Lockspitzel, nennt man solche Leute. Die prügelnden Uniformierten sind bei solcher Tätigkeit keineswegs zart besaitet, sie zeigen den antifaschistischen Gegendemonstranten im Gegenteil sehr schmerzhaft, was ein Polizeiknüppel ist. Es gibt Festnahmen, erkennungsdienstliche Behandlungen, flächendeckende Abhörung von Telefongesprächen, die jedem Datenschutzbeauftragten die Haare zu Berge stehen lässt, sodann Ermittlungsverfahren und Anklagen. Die derart richterlich und polizeilich behüteten Nazis lachen sich ins Fäustchen, während Antifaschisten Ladungen zum Gerichtsprozess ins Haus flattern. Mitbetroffen sind dabei fast immer Politikerinnen und Politiker der Partei DIE LINKE und handelt es sich um Parlamentsabgeordnete, beantragt die Staatsanwaltschaft flugs die Aufhebung ihrer Immunität. „Landfriedensbruch“ lautet das Zauberwort, mit dem sich offenbar alles rechtfertigen lässt, wobei der Landfrieden doch durch die Nazis gebrochen wurde. Schließlich waren sie es, die antifaschistisches Engagement erst erforderlich gemacht hatten, denn Faschismus ist keine Gesinnung, sondern ein Verbrechen. Und nun kommt es – diesem Wunsche wird auch mehrheitlich und eilfertig Genüge getan, denn zum Zwecke der Aufhebung gibt es in aller Regel die erforderliche Mehrheit. Seltsamerweise kommt die wiederum nur dadurch zustande, dass es Politikerinnen und Politiker der gleichen systemtragenden Parteien sind, die vordem fleißig mit aufgerufen haben, „Flagge zu zeigen“, „Zeichen zu setzen“ und was sonst noch so alles möglich ist. Da muss es doch wie Schuppen von den Augen fallen, dass hier etwas faul ist, und zwar sehr faul! Zudem kommt noch etwas, das dem Ganzen sozusagen die Krone aufsetzt: Polizei ist Ländersache, heißt es immer so schön. Daraus lässt sich dann doch nur eine Schlussfolgerung ziehen, nämlich die, dass die Zuständigkeit an Landesgrenzen endet. Doch sächsische Polizei kann sich ungehindert mit einem Konvoi nach dem nun zweifelsfrei in Thüringen liegenden Jena in Marsch setzen und beim dortigen Jugendpfarrer König Räumlichkeiten durchsuchen, also Amtshandlungen vornehmen. Weder weiß in Erfurt einer der Verantwortlichen etwas, noch wird dieser Einsatz unterbunden, ja, es wird nicht einmal ein Wort des Protestes laut. Frau Pastorin Lieberknecht schweigt ebenso wie ihr Herr Innenminister. Da ist doch ebenfalls etwas faul! Der Pfarrer soll zu Gewalt aufgerufen haben, heißt es. Bislang ist allerdings nichts von gerichtsverwertbaren Beweisen dafür bekannt, kein Video, nicht einmal ein Tonbandmitschnitt. Auch von glaubwürdigen Zeugen, die wörtlich wiedergeben könnten, was Herr König gesagt haben soll, wurde nichts gehört.


Da drängt sich der Verdacht geradezu auf, dass Aufrufe und Beteiligung systemtragender Politikerinnen und Politiker nicht viel mehr als Alibi-Veranstaltungen sind, um den Eindruck zu erwecken, man habe die von Nazis ausgehenden Gefahren erkannt und wehre ihnen. Nicht umsonst wird zwar seit Jahren über ein Verbot der NPD geredet, und zwar so, dass am Ende wie schon einmal alles zerredet wird. Ein Verbot bringe nichts, wird behauptet, dann spiele sich eben alles im Untergrund ab und dort zuzufassen, sei doch viel, viel schwieriger. Ein Verbot heißt aber zuerst, dass faschistische Parteien weder staatliche Gelder kassieren noch Kandidaten für Parlamente aufstellen dürfen. Ein Verbot heißt ebenso, dass solche Leute nicht öffentlich auftreten und ihre Propaganda verbreiten dürfen, weshalb auch kein Gericht das Recht hat, ihnen Versammlungsplätze oder -räume per einstweiliger Anordnung zur Verfügung stellen zu lassen. Ebenso ist ein polizeilicher Schutz nicht mehr möglich. Doch will dieser Staat überhaupt die NPD und andere faschistische Gruppierungen ernsthaft verbieten? Es gibt nämlich folgendes zu beachten: Damit der Nazi-Spuk nicht zu große Ausmaße annimmt, greift der Verfassungsschutz „steuernd“ ein. So, glaubt zumindest die herrschende Politik, kann faschistische Gefahr als geringfügig, ja nahezu bedeutungslos eingestuft werden. Schließlich spielt die NPD eine nicht gerade unbedeutende Rolle, weshalb sie gebraucht wird: Wer mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, vor allem mit Arbeitslosigkeit, Armut per Gesetz und Zukunftslosigkeit unzufrieden und dieserhalb für Nazi-Parolen wie „Deutsche Arbeitsplätze nur für Deutsche!“, „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg!“ oder gar „Ausländer raus!“ empfänglich ist, der wählt dann nicht DIE LINKE. So lange die NPD auf diese Weise DER LINKEN Wählerstimmen wegfangen kann und trotzdem in der Gesellschaft keine größere Bedeutung erlangt, so lange hat die Nazi-Partei ihre Aufgabe und wird folglich gebraucht. Zudem hat, wer sich andauernd mit antifaschistischem Engagement gegen deren Veranstaltungen befassen muss, viel weniger Zeit und Möglichkeit, den Kampf gegen Arbeitsplatz- und Sozialabbau zu organisieren. Nicht umsonst wurde das am 17. August 1956 verkündete Verbot der kürzlich vom MDR als „linksextremistisch“ verleumdeten KPD mit allen Mitteln, sogar der regierungsamtlichen Rechtsbeugung samt höchstpersönlicher Einmischung von Bundeskanzler Adenauer, durchgepeitscht und dieses Verbot schwebt wie ein Damoklesschwert auch über DER LINKEN. Während also der staatliche Verfolgungswille gegen Links rücksichtslos durchgesetzt wurde und diese Möglichkeit natürlich weiterhin offengehalten wird, ist er gegen Rechts praktisch gar nicht vorhanden.


Dass das tatsächlich so ist, zeigt sich derzeit wieder, wo die Bevölkerung mit täglichen Schreckensnachrichten über eine nazistische Terrorzelle in Atem gehalten wird, wobei die Dinge mehr als nur mysteriös sind: Da werden in Eisenach in einem Wohnmobil zwei Männer tot aufgefunden, die schließlich und endlich als Mitglieder dieser Zelle identifiziert werden. Wie sie zu Tode gekommen sind, weiß niemand. War es Fremdeinwirkung, ein Unfall oder sind sich die beiden gegenseitig an die Gurgel gegangen? Dann wird als Dritte im Bunde eine Frau verhaftet und zu allem Überfluss musste in Zwickau auch noch ein Haus in die Luft gejagt werden, in dem das Trio über Jahre ungehindert sein Unwesen treiben konnte. Wie sich weiter herausstellt, waren die Nazis zudem noch im so gern als „Hochburg der DDR-Opposition“ glorifizierten Jena aktiv gewesen. Besteht da ein Zusammenhang? Tatsache ist zumindest, dass jene selbsternannte „Bürgerbewegung“ ein sehr heterogenes Sammelbecken war, das allenfalls eine gemeinsame Grundlage hatte – einen sehr militanten, aggressiven und hysterischen Antikommunismus. Unter diesem Dach hatten sich damals auch bislang im Geheimen ihre nazistische Gesinnung gepflegt Habende eingefunden, verstärkt durch nach der Grenzöffnung aus der BRD und Berlin (West) hereinflutende NPD-Leute, die sehr schnell Morgenluft gewittert hatten. Wenigstens 10 Morde an Mitbürgern ausländischer Herkunft gehen auf das Verbrechenskonto allein dieser Terrorzelle, von der mittlerweile weitere Mitglieder präsentiert wurden. Immer mehr sickert durch, dass der jetzt so eifrig zuschlagende Verfassungsschutz über Jahre hinweg zumindest Kenntnis von dieser Gruppe hatte. Verantwortlich für dessen Untätigkeit, richtiger gesagt aktive Führung, ist natürlich niemand. Auf alle Fälle ist damit zu rechnen, dass alle in diese Richtung gehenden Untersuchungen irgendwann im Sande verlaufen werden. Warum? Die Antwort wurde schon gegeben.


Ansonsten würden sich die systemtragenden Parteien nicht seit Jahr und Tag mit einer Energie und Zähigkeit, die einer besseren Sache wert wären, gegen eine grundgesetzliche Verankerung des Antifaschismus sträuben. Eifervoll wurde dagegen jener Artikel 131 in das Grundgesetz eingefügt, der durch ihre Tätigkeit im „Dritten Reich“ schwerbelasteten Personen die reibungslose Übernahme in den Staatsdienst der BRD ermöglichte und ihnen außerdem auskömmliche Renten und Pensionen sicherte. Es gab auch nie Probleme, Wehrmacht und Legion „Condor“ in das Traditionsverständnis der Bundeswehr einzubeziehen, Einheiten und Kasernen ungeachtet begangener Kriegsverbrechen nach Militärs des „Dritten Reiches“ zu benennen. Außerdem darf faschistische Ideologie ungehindert verbreitet werden – man schaue sich nur die vielen Internet-Seiten an, auf denen Ritterkreuzträger von Wehrmacht und Waffen-SS glorifiziert werden. Krieg und Zerstörung werden als „militärische Leistungen“ der daran beteiligten Einheiten gepriesen. Nicht vergessen werden darf außerdem, dass es für die offizielle BRD – mit Ausnahme der mutigen Worte des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker 1985 – keine Befreiung vom Faschismus, sondern allenfalls einen zu betrauernden „Tag der Kapitulation“ gibt. In der DDR im Geiste des Antifaschismus erzogene und heute das kapitalistische System stützende Politikerinnen und Politiker haben sich dem sehr schnell angepasst – Karriere geht eben über alles. Da muss sich der Protest gegen Nazis zwangsläufig im Kreise drehen und am Ende zum wirkungslosen Ritual verkommen.


Hans-Joachim Weise