Odyssee statt Befreiung – Walter Bredehorns Kriegsende

Vor 66 Jahren wurde Deutschland vom Fachismus befreit. Doch nicht alle Menschen konnten ab dem 8. Mai 1845 ihr Leben im Frieden genießen. Für den Erfurt Walter Bredehorn begann eine dreijährige Odyssee durch Afrika.

Vor 66 Jahren, am 8. Mai 1945, war die faschistische Wehrmacht nach sechs langen Jahren des Mordens endlich besiegt und die Waffen schwiegen in Europa. Trotz des Leids und der Millionen von Toten war die Freude über die Befreiung vom Faschismus groß. Doch nicht alle Menschen konnten mit dem Tag der Befreiung ihr Leben im Frieden genießen. Viele saßen noch jahrelang in Kriegsgefangenenlagern der Alliierten. Einer, dessen Odyssee erst mit der Gefangennahme begann, ist der Erfurter Walter Bredehorn.

 
Der Name Bredehorn hat unter Linken in ganz Thüringen einen hervorragenden Klang. Sowohl sein Opa Bernhard Senior als auch sein Vater, Bernhard Junior, waren in der KPD. Bernhard Senior gehörte 1919 zu den Mitbegründern der Erfurter KPD. Auch seine Mutter trat bei. So war auch die politische Gesinnung von Walter vorgezeichnet. Walter Bredehorn wurde am 1. Mai 1925 geboren und wuchs in der Futterstraße, im damals noch zu Preußen gehörenden Erfurt, auf. Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, steckten sie seinen Vater zunächst ins Gefängnis auf dem Petersberg. Nachdem die Gefängnisse mit Nazigegnern überfüllt waren, schickte man Bernhard Bredehorn in ein Lager in der Feldstraße. Am 10. November 1934 wurde er aus der Haft entlassen, allerdings nur, weil Hans Klein aus Gebesee „die Schuld auf sich nahm“, obwohl Bredehorn der Instrukteur der Erfurter KPD-Bezirksleitung war. So war die Familie – Walter hat noch einen Bruder und eine Schwester – zunächst wieder vereint. Vater Bredehorn landete 1936 als Elektro-Schweißer bei Topf & Söhne, wo er später auch zu einer der aktivsten Widerstandsgruppen in Erfurt gehörte. 


Walter Bredehorn verließ 1939 die Schule und nahm eine Lehre als Kaufmannsgehilfe auf. In dieser Zeit war er bereits oft bei Treffen von Kommunis-ten mit dabei. „Wir sind meist mit den Fahrrädern unterwegs gewesen und überall in den Büschen gingen Posten in Stellung. Mein Vater saß zusammen mit Genossen wie Theo Neubauer, den ich immer Onkel Theo nannte. Wenn es anfing zu pfeifen, stürmte ich hinein, um alle zu warnen“, erinnert sich Bredehorn an die Untergrundarbeit in den dreißiger Jahren.  Selbst seine Mutter beteiligte sich am Widerstand. Sie betrieb ein Pfandleihgeschäft in Erfurt. „Zwischen den in Leinentüchern eingepackten Paketen lagen immer Flugblätter. Die Gestapo ist da manchmal darauf rumgetrampelt. Sie konnten aber nie etwas finden. Ich bekam dann oft den Auftrag das Material zu verteilen.“  Der Hitlerjugend wollte sich Walter entziehen, was ihm beim Jungvolk auch gelang, ehe ihn die Nazijugendorganisation im Herbst 1940 doch in die Finger bekam. „Der Drill dort gefiel mir ganz und gar nicht und ich meldete mich lieber bei der Feldschergefolgschaft. Durch seine im Sanitätsdienst erworbenen Kenntnisse, wurde Walter bei der Wehrmacht schließlich Gehilfe des Sanitätsunteroffiziers beim Infanterie-Artillerie-Regiment in der Henne-Kaserne. Nach der Grundausbildung kam er 1944 als Kraftfahrer nach Frankreich. Im Juni 1944 hatte er großes Glück, dass die Einheit zurück nach Deutschland verlegt wurde. So entkam er nur einen Tag vor der Landung der Alliierten in Frankreich dem Schlachtengemetzel. Nach kurzem Aufenthalt in Erfurt gings für ihn weiter an die Front nach Italien.


Am 25. April 1945 war er als Melder unterwegs und wurde von Partisanen gefangen genommen. „Das war eine sehr schlimme Zeit. Wir haben versucht zu fliehen, was uns – wir waren acht oder neun Mann  – aber nicht gelang. Dann haben sie uns alles weggenommen, sogar die Schuhe. Am 29. April kam er mit den anderen Gefangenen in ein Dorf, wo bereits Partisanen warteten, um sie zu erschießen. Eine amerikanische Patrouille kam zum Glück rechtzeitig vorbei. „Wegen acht Mann fahren wir nicht in ein Gefangenenlager“, entgegnete der Pfarrer den GI´s. Die Amerikaner blieben mit zwei Wachen dort und verteilten sogar üppige Essensrationen. Am Abend wurden sie abgeholt und in ein Gefangenenlager gebracht, wo der Krieg für sie endete. Doch damit begann die eigentliche Odyssee des Walter Bredehorn erst. 


Die Amerikaner hatten mit so vielen Kriegsgefangenen nicht gerechnet. Entsprechend schlecht war die Versorgungslage. Das knappe Trinkwasser wurde nur gegen Orden und Ehrenzeichen getauscht. Es ging zunächst nach Florenz, dann nach Pisa . „Dort ging es uns verhältnismäßig gut. Wir bekamen genug zu essen und morgens sogar eine Tonne mit heißem Wasser.“ Im Juli führte Walter Bredehorns Odyssee weiter nach Tarent. „Die Amerikaner sagten uns unterwegs bereits: Wir bedauern euch, denn wir wissen wo ihr jetzt hin kommt.“ Ende August kam der nächste Abmarsch. „Die Älteren unter uns haben gedacht, jetzt geht es nach Hause, aber mir war klar, dass das nichts wird.“ Auf einem Truppentransporter ging Bredehorns Odyssee weiter nach Afrika. „Als Bestrafung, dachten wir damals.“ *Erster Stopp in Afrika: Alexandria. „Ein britischer Unteroffizier sagte, hier ist Essen und Trinken, hier sind eure Zelte und jetzt macht was ihr wollt.“  Nach nur zwei Tagen relativer Freizügigkeit führte der Weg weiter nach El Daba, nahe der libyschen Grenze. In den Lagern waren 45.000 Gefangene eingepfercht. Dort traf er einen Unteroffizier aus seiner alten Einheit wieder der sagte: „mach so, wie dein Vater ist“. Erst jetzt in Afrika erfuhr er, dass sein Vater  – obwohl unbeteiligt – im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 abermals im KZ gelandet und seine Mutter ausgebombt war. Auf dem Papier, das für Walter Bredehorn den Weg in die Heimat bedeutet hätte, hatte die Gestapo jedoch ein Vermerk geschrieben: „Wegen Fluchtgefahr nicht aushändigen.“


Ein Ereignis an Weihnachten 1945 ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben. „ Ein britischer Offizier sagte, unter den Nazis haben die Kriegsgefangenen 1.100 Kalorien am Tag bekommen und da es hier wärmer ist, bekommt ihr nur 900 Kalorien. Dabei wurden bergeweise Lebensmittel vor unseren Augen vernichtet.“ Durch das Hungern wog Walter Bredehorn an Ostern 1946 nur noch 90 Pfund. Trotzdem waren alle Häftlinge immer bemüht, Arbeit zu finden. So wurde unter anderem die Straße nach El Alamein gebaut. Im Frühjahr 1946 gab es eine Überprüfung der deutschen Kriegsgefangenen bezüglich ihrer Haltung zu den Nazis. Bredehorn wurde gefragt, wann er aus der Kirche ausgetreten sei. Er sagte: „Dass haben meine Eltern 1927 oder 1928 beschlossen.“ Daraufhin wurde er ohne weitere Nachfragen sofort als Nazi abgestempelt. Erst mit einer weiteren Verlegung nach Tel-El-Kebir verbesserte sich die Situation.

 
Eines Nachts wurden die Gefangenen von heftigem Gewehrfeuer geweckt.  „Auf 200 Meter Breite hatten die Ägypter den Stacheldraht beiseite geräumt und sind ganz bestimmte Baracken angefahren.  Sie waren ja auch im Lager beschäftigt und wussten genau, wo was liegt. Nach 20 Minuten waren sie wieder verschwunden. Mitgenommen haben sie ganz bestimmte Teile, die sie für den Aufbau der ägyptischen Armee brauchten.“ Wie abstrus die Vorgänge wurden zeigt auch eine andere Anekdote. Ein Mitgefangener, Transportunternehmer aus Hamburg, organisierte zehn LKW von Ägypten nach Palästina und wieder zurück, wurde erwischt und zu 15 Jahren strenger Haft verurteilt. „Bei der Verkündung des Urteil in einem Boxring in der Mitte des Lagers  riefen wir ihm zu: hau ab! Er hatte keine Handschellen um und gab den Militärpolizisten einen Stoß in die Seite und rannte durch uns hindurch. Wir standen Arm in Arm und ließen die Engländer nicht durch. Drei Wochen später bekamen wir eine Postkarte, in der er uns schrieb, dass er gut gelandet ist und es ihm bestens geht.“  


Im Frühjahr 1946 kamen schließlich die Ersten nach Hause, vornehmlich  Österreicher. Nach einem Punktesystem ging es weiter, zuerst kamen die Älteren dran. Bredehorn – jung und noch kinderlos im Punktesystem ganz unten – blieb. Im Sommer 1947 wurden Kraftfahrer gesucht. Mit 500 Mann ging es für Walter Bredehorn weiter nach Bengasi in Libyen, wo er zunächst, wie viele andere Deutsche, einen Dreitonner fuhr. Die Fahrten gingen in der Regel nach Tripolis. Nicht alle Transporte kamen auch dort an. Pannen wurden vorgetäuscht, der Inhalt von Kisten ausgetauscht, die Libyer ließen sich einiges einfallen. Später wurde Bredehorn bei der Feuerwehr eingesetzt. Er erinnert sich noch, dass Moslems, Juden und Christen in Bengasi friedlich zusammen gelebt haben – bis zur Staatsgründung Israels. An jenem Tag gab es bereits Aufruhr.  Anfang September 1948 kehrte Walter Bredehorn mit den letzten 3.000 Kriegsgefangenen aus Afrika zurück.  Vieles hatte sich verändert. Sein Schwager Erich, war in Gera Polizeipräsident geworden, sein Vater wurde von den Sowjets in Erfurt auf den gleichen Posten bestellt. So kehrte Walter Bredehorn erst mehr als drei Jahre nach Kriegsende in ein normales Leben zurück. Dabei verhinderte die Tatsache, dass er länger als ein halbes Jahr in westlicher Kriegsgefangenschaft war, eine Anstellung bei staatlichen Stellen. Dennoch hat er auch in der DDR vielfältige Tätigkeiten ausgeübt. Am besten lagen ihm Jobs rund ums Reisen. Gemeinsam mit seiner zweiten Frau Gerda arbeitete er auch nach 1990 in dieser Branche. Zuletzt gehörte ihnen ein Hotel in Großbreitenbach. Heute lebt Walter Bredehorn mit seiner Frau wieder in Erfurt. Wenngleich es mit dem Laufen zurzeit nicht so gut klappt, ist er körperlich und erst Recht geistig noch sehr gut in Form. Zurzeit schreibt er an seiner Autobiographie. Angesichts der spannenden Geschichten, die dieser Mann gegen das Vergessen erzählen kann, darf man  jetzt schon äußerst gespannt sein.                      

Thomas Holzmann