Nur ein Markt – Topf & Söhne und die Ethik der Wirtschaft

Am 27. Januar wird der Erinnerungsort „Die Ofenbauer von Auschwitz“ eröffnet. Weltweit einzigartig, stehen erstmals die Täter aus der Wirtschaft im Fokus der Betrachtung

Es gibt viele Gedenk- und Erinnerungsorte in Deutschland an die Zeit von 1933 bis 1945. Die meisten erinnern an die Opfer von Völkermord, Krieg und Versklavung. Nur wenige beschäftigten sich mit der Rolle der Täter, so zum Beispiel die „Topographie des Terrors“ oder die einst viel diskutierte Wanderausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“. Die Täter aus Industrie und Wirtschaft, von denen viele bereits vor der Machtergreifung mit den Faschisten paktierten und die später hohe Gewinne scheffelten, standen bislang noch nie im Fokus einer dauerhaften Ausstellung. Mit dem „Erinnerungsort Topf & Söhne – die Ofenbauer von Auschwitz“, der am 27. Januar eröffnet wird, ist jetzt eine einzigartige Dauerausstellung entstanden.


Gegründet wurde das Unternehmen 1878 als feuerungstechnisches Baugeschäft.  Nach dem 1. Weltkrieg hatte es bereits mehr als 500 Mitarbeiter und wurde Marktführer im Bereich Ein-äscherungsöfen und Krematorien. Ab 1939 begannen der Geschäftsführer Ludwig, seit 1933 in der NSDAP, und der Firmeninhaber Ernst-Wolfgang Topf die SS mit speziell für die Konzentrationslager entwickelten Leichenverbrennungsöfen zu beliefern, die vom Ingenieur Kurt Pfeifer entwickelt wurden. Reine Profitgier wurde früher von vielen Historikern als Begründung für die Zusammenarbeit mit der SS herangezogen. Der Gewinn erreichte nach Untersuchungen von Dr. Annegret Schüle, die seit 2002 im Bereich Topf & Söhne forscht, umgerechnet nur etwa 25.000 bis 30.000 Euro im Jahr. Mit zwei Prozent vom Gesamtumsatz war es nicht gerade ein überlebenswichtiges Kerngeschäft. Außerdem galt die SS nicht als „Kunde“ mit hoher Zahlungsmoral, die einen Ofen erst bezahlt hat, wenn sie bereits den nächsten bestellte, erklärt Annegret Schüle. Die Historikerin ist der Meinung, dass man bei Topf & Söhne das Bauen von Krematorien für die Lager „nur als einen Markt“ betrachtet hat, von dem sich das Unternehmen weit mehr Gewinne erhofft hatte, zumal es Konkurrenzfirmen gab.


Offensichtlich war es, dem Zeitgeist folgend, ganz normal und opportun für die Firma, am Markt von Völkermord und Krieg teilzuhaben, denn bereits seit 1934 begann man auch mit der Herstellung von Speichern für die Wehrmacht. Präziser kann man die Verbindungen zwischen Faschismus und Kapitalismus kaum aufzeigen.


Während der Nazizeit gab es bei Topf & Söhne aber auch die größte Erfurter Widerstandsgruppe. Genaue Zahlen sind nicht bekannt. Walter Bredehorn, Sohn des bei Topf & Söhne arbeitenden Kommunisten Bernard Bredehorn, schätzt bis zu 50 Personen. Beim Bau der Öfen gab es keine bekannten Sabotageversuche, in anderen Bereichen wie der Instandsetzung von Flugzeugteilen allerdings sehr wohl.  


Nach dem Ende des Kriegs wurden vier führende Mitarbeiter der Firma durch die Rote Armee verhaftet, unter ihnen auch der Betriebsdirektor Gustav Braun. In Moskau wurden sie wegen Unterstützung der SS beim Völkermord zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt. 1948 wurde aus Topf & Söhne ein Volkseigener Betrieb, ab 1957 mit der Bezeichnung VEB Erfurter Mälzerei- und Speicherbau. Ein interessanter Nebenaspekt der Nachkriegsgeschichte ist die Gründung der Firma J. A. Topf & Söhne in Wiesbaden 1951 durch Ernst-Wolfgang Topf, der nach eingestellten staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen ihn wieder unbehelligt mit dem Bau von Krematorien beginnen konnte. Auch in der DDR ging die Produktion weiter, abgesehen von den vier Verhafteten, mit größtenteils dem gleichen Leitungspersonal. Aufklärung wurde, durch an allen Gebäuden angebrachte  Tafeln, die an die von Topf & Söhne begangenen Verbrechen erinnerten, betrieben. Nach der Wende verschwanden die meisten dieser Tafeln. Der VEB EMS wurde 1993 in eine GmbH überführt und ging 1996 in Konkurs. 

Danach stand das Gelände viele Jahre leer. Erst 1999 gründet sich der Förderkreis Topf & Söhne mit der Forderung, das ehemalige Verwaltungsgebäude der Firma zu erhalten. Zwei Jahre später wurde ein Teil des Geländes besetzt. Von vielen zu Unrecht als Chaoten kritisiert, waren es vor allem die Hausbesetzer, die zahlreiche Projekte zur Geschichte von Topf & Söhne in der NS-Zeit organisierten, ehe das „autonome Kulturzentrum“ im April 2009 gewaltsam durch die Polizei geräumt wurde. Bereits 2008 kaufte die Firma Domicil GmbH aus Mühlhausen das Gelände und wurde Partner der Stadt beim Aufbau des Erinnerungsortes, den der Stadtrat bereits ein Jahr zuvor einstimmig beschlossen hatte. Das stand den Vorstellungen der Hausbesetzer diametral entgegen. Sie wollten weit mehr als nur das Verwaltungsgebäude erhalten und lehnten hierarchische Strukturen ebenso ab, wie eine kommerzielle Nutzung. Wie berechtigt diese Bedenken waren, zeigte sich im Herbst 2010 als ein auf dem Gelände ansässiger Bäcker mit dem Slogan: „Kuchen, der gerade so verführerisch duftend aus dem Ofen kommt“ die Werbetrommel rührte. Ein Gartencenter warb gar mit: „Alles für die Grabgestaltung“ und das auch noch zu den billigsten Preisen. Wo verläuft die Grenze zwischen Kapitalismus und Faschismus? Schlimmer kann man die Opfer des Faschismus nicht verhöhnen. Aber auch das ist wohl nur ein Markt ... 

So wird die an und für sich gelungene Konzeption des Erinnerungsortes leider von der unschönen Seite des Kommerzes überschattet. Im Verwaltungsgebäude selbst wird auf mehreren Etagen die Dauerstellung zu sehen sein. Weitere Projekte sollen in der nächsten Zeit hinzukommen. Kommt man auf das Gelände, ist der Schriftzug „Stets gern für sie beschäftig“ von weitem zu sehen. So unterschrieb die Firma ihre Briefe an die SS. Eine bewusst gewählte Irritation für den Besucher, so Annegret Schüle. Damit soll bereits ein wichtiger Aspekt des Erinnerungsortes in den Fokus des Betrachters gerückt werden: die Ethik des Wirtschaftslebens. Erfreulich ist, dass mit den Stadtwerken Erfurt und der Sparkasse Mittelthüringen zwei Unternehmen bereits angekündigt haben, in dieser Frage mitzudenken und dazu vor Ort Veranstaltungen durchführen wollen. 


Bevor man in das Gebäude gelangt, geht der Weg vorbei an rostig gehaltenen Stehlen, die den Erinnerungsort nicht vollständig abtrennen, sondern ihn durchlässig machen, ganz anders als etwa in Buchenwald. Zwar wird die Grenze des Firmengeländes sichtbar, es entsteht aber keine räumliche Trennung zwischen Erinnerungsort und angrenzenden Wohn- und Gewerbegebieten. Schließlich war der Bau der Öfen kein Geheimnis und vollzog sich mitten in der Firma. Mit einem großen „Stein der Erinnerung“ wird auch der Opfer gedacht. Im Inneren des Gebäudes hat man sich entschieden, nur die Böden neu zu streichen, um sich von der Zeit als noch produziert wurde abzuheben. Die Wände, Decken und Treppengeländer hingegen sind weitestgehend Original, in einem ausgesprochen hässlichen Gelbton. Das Exponat ist das Haus selbst, betont Annegret Schüle. Insofern passt diese Hässlichkeit zur Scheußlichkeit der Nazi-Verbrechen.


Ein Besuch am Erinnerungsort lohnt sich. Dennoch bleibt ein fader Beigeschmack, was die Einbeziehung politischer Stiftungen betrifft. Offiziell wird gesagt, dass die Rosa-Luxemburg- und die Heinrich-Böll-Stiftung keineswegs bewusst außen vor gehalten sind. Durch ihre geistige Nähe zu den eher links orientierten Hausbesetzern liegt der Verdacht aber nahe, dass von Seiten des politischen Establishments hier möglicherweise versucht wurde, das linke Spektrum herauszuhalten, denn vielen geht der Erinnerungsort nicht weit genug. Die bürgerliche Erinnerungskultur erlaubt  die Darstellung des Zusammenhangs von Faschismus und Kapitalismus am Ende eben doch nur begrenzt .       


Thomas Holzmann