Meister der Gesetzeslücke

Die multinationalen Konzerne wie Amazon sind in gänzlich unregulierte Märkte vorgedrungen und führen demokratische Regierungen an der Nase herum. Aber der Widerstand wächst und die Gewerkschaften wittern Morgenluft im Kampf um „Gute Arbeit“ bei „Big Tech“.

 

Bei Amazon kaufen ist wie Scooter hören

 

Bei Amazon kaufen, das ist ein bisschen wie Modern Talking oder Scooter hören: Millionen tun es, aber sehr viele geben es nur ungern zu. Eine flapsig-gewagte These, der auch der Europaabgeordnete Martin Schirdewan nicht widersprechen möchte: „Ich denke, dass viele nicht mit dem allerbesten Gefühl bei Amazon bestellen“. 

 

"Lockdowngewinner zur Kasse"

 

Trotzdem haben viele natürlich „handfeste Gründe“, bei amazon zu ordern. Wer in Thüringen zu den üblichen Hungerlöhnen schuften muss, kann sich ohne Black-Friday-Rabatt kaum die neue Spielkonsole zu Weihnachten leisten. Und, wer auf dem Land wohnt, wo es nicht mal mehr den Tante-Emma-Laden gibt, fährt auch nicht unbedingt zum Shoppen in den Thüringenpark  nach Erfurt. Und so wächst der von Jeff Bezos 1994 gegründete Tech-Gigant immer weiter, zahlt aber keine Steuern und behandelt alles, was nach Gewerkschaft oder Betriebsrat aussieht wie den Leibhaftigen. An Themen mangelte es folglich nicht als Martin Schirdewan im April durch Thüringen tourte. Unter dem Titel „Lockdown-Gewinner zur Kasse“, fanden gut besuchte Diskussionsrunden in Altenburg, Gotha, Gera und Ilmenau statt. 

 

Vielfältige Kritik 

 

So vielfältig wie die politischen Probleme bei den Tech-Konzernen sind, so unterschiedlich waren auch die mit der Thüringer Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierten Veranstaltungen. „In Altenburg waren viele Einzelhändler*innen anwesend. Da ging es vor allem um den Einfluss der großen Onlinehändler auf den Einzelhandel und den sozialen Zusammenhalt in der Stadt. In Gera, wo Amazon gerade ein großes Logistikcenter baut, standen Arbeitsmarktaspekte und der Schutz vor extremer Ausbeutung im Vordergrund. In Gotha ging es mehr um Steuerpolitik und in Ilmenau war es  eine besonders bunte Mischung aus den vielen Kritikpunkten, die man bei Amazon diskutieren kann“, so Schirdewans Fazit. 

 

Übergewinnsteuer soll zuästzliche Profite abschöpfen 

 

Als „offen und politisch wohlgesonnen“ bezeichnet Schirdewan sogar die Diskussionen mit der Thüringer Industrie- und Handelskammer. Die rufen sonst nicht gerade begeistert hurra, wenn LINKE die Einführung einer neuen Steuer fordern. Bei einer Übergewinnsteuer, wie sie Martin Schirdewan ins Spiel bringt, sieht das anders aus. „Die Übergewinnsteuer soll den zusätzlichen, während der Pandemie erzielten Gewinn, von Amazon besteuern. Das Geld soll der öffentlichen Hand zu Gute kommen, um die Stadteinwicklung voranzutreiben: Wie kann Altenburg gestaltet werden, damit mehr Menschen im Zentrum verweilen“, so Schirdewan, der den Übergewinn von Amazon im Jahr 2021 auf 60 Milliarden Euro schätzt. Bei den anderen großen Tech-Konzernen wie Google oder facebook dürfte es ähnlich sein.

 

Amazon muss Mindesstandards erfüllen 

 

Wäre eine solche Übergewinnsteuer mit der Ampel-Bundesregierung überhaupt denkbar? „Ja, wenn der politische Wille dafür da ist“, ist sich Schirdewan sicher und verweist auf Italien und Rumänien. „Die haben solche Steuern eingeführt, allerdings nicht für Onlinehändler, sondern für Energie- unternehmen. Die Energieriesen scheffeln wegen der extrem gestiegenen Preise ohne Ende Geld. Italien und Rumänien schöpfen mit ihrer Übergewinnsteuer wenigstens einen Teil davon ab. Und es gibt keinen rechtlichen Grund, der die Bundesregierung an so etwas hindern würde.“ Allerdings tut sich selbst Rot-Rot-Grün in Thüringen schwer mit Amazon. Neben Gera wird auch in Stotternheim, vor den Toren von Erfurt, ein weiterer monströser Logistigklotz gebaut. „Erstmal ist es gut, wenn in Thüringen neue Arbeitsplätze entstehen und sich so für viele eine neue Lebensperspektive bietet. Das sollte aber auch immer an Bedingungen geknüpft sein“, fordert der Europaabgeordnete. „Dass Arbeitnehmer*innen nicht mehr durch Algorithmen und Maschinen beherrscht werden, vernünftige Pausenzeiten und vor allem, die Möglichkeiten gewerkschaftlicher Organisationen, sollten Mindeststandards sein“.

 

Symbolische Erfolge für die Gewerkschaften 

 

Leichter gesagt als getan. Beispiel Arbeitsschutz: Amazon ist kein Winkeladvokaten-Trick zu billig, als dass er nicht gegen föderale deutsche Verwaltungsstrukturen genutzt werden könnte. Keine Behörde greift ein, wenn Kurierfahrer*innen keine Pausenzeiten haben und in die Flasche pinkeln müssen. „Amazon ist Meister darin, jede Gesetzeslücke zur ihren Gunsten auszunutzen. Das gilt für die Steuerschlupflöcher genauso wie für das Arbeitsrecht“, weiß auch Schirdewan. Generell sei die ganze Firmenkultur „gewerkschaftsfeindlich und unterwirft die Beschäftigten extremer Ausbeutungs- und Überwachungsszenarien. Dagegen muss sich mit aller Macht gewehrt werden“. Dass das geht, haben gerade die Beschäftigten des New Yorker Logistik-Zentrums bewiesen. Dort wurde im April die erste Gewerkschaftsvertretung an einem US-Standort von Amazon gegründet. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil vorher kaum jemand an den Erfolg geglaubt hatte. Dahinter stand keine der bekannten US-Gewerkschafter, sondern der Ex-Amazon-Lagerabeiter, Christian Smalls. „Es wird einer harter Kampf, das in allen anderen US-Standorten auch durchzusetzen. Aber es ist ein wichtiger symbolischer Erfolg auch für die europäische Gewerkschaftsbewegung. Die Multinationalen Unternehmen, `Big Tech’, haben sind in den letzten 20 Jahren in einen Markt vorgedrungen, der nicht reguliert gewesen ist. Es sind neue Sektoren, neue Beschäftigungsmodelle entstanden. Viele Errungenschaften der Gewerkschaftsbewegung konnten nicht 1:1 übersetzt werden. Arbeitskraft muss sich gegenüber den mächtigsten Konzernen, die es je gab erst wieder kollektiv neu organisieren. Das holpert noch, aber ich bin optimistisch, dass sich das auch in der deutschen Diskussion durchsetzt: Amazon darf nicht weiter unreguliert agieren. Eine Durchsetzungsmacht für Gute Arbeit, für Tarifverträge usw. entsteht zuerst durch Gewerkschaften. Ich bin sicher, das wird irgendwann erfolgreich sein, weil die Ausbeutungs- und Überwachungsszenarien einfach unerträglich sind.“