In der Tradition des Schwures von Buchenwald

Trotz äußerst fragwürdiger Polizeitaktik und Neonazigewalt gelang es 300 Demokratinnen und Demokraten, die Hassparolen der NPD gegen Muslime nahezu unsichtbar zu machen.

Erfurt ist nicht die Stadt, die an erster Stelle genannt wird, wenn es um Weltoffenheit und Toleranz geht. Denn trotz vieler aktiver Kämpferinnen und Kämpfer gegen Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit, prägen Neonazis mit rechtsextremen Modelabels, wie „Thor Steinar“ ungeniert das Stadtbild. Regelmäßig gibt es Übergriffe und es bestehen „Angsträume“, in die sich Mitbürger mit anderer Hautfarbe nicht mehr hineintrauen.  Aber bei aller Kritik: In Erfurt ist Hopfen und Malz noch lange nicht verloren, denn noch gibt es Menschen, die bereit sind, trotz aller Repression und Einschüchterung, sich den Nazis mutig in den Weg zu stellen! 

Als die NPD am 17. August in der Trommsdorffstraße vor einer muslimischen Fleischerei unter dem Deckmantel des Tierschutzes ihre antimuslimischen und antisemitischen Hetzparolen unter das Volk bringen wollte, kamen über 300 Menschen, um genau das zu verhindern. Nicht nur Bodo Ramelow fühlte sich an das Vorgehen der Nazis von 1933 (Boykott jüdischer Geschäfte) erinnert. Immerhin verbot die Stadt die NPD-Kundgebung direkt vor der muslimischen Fleischerei, die das nach den Regeln des Islams erzeugte Halal-Fleisch anbietet. So mussten die Nazis ihre Kundgebung an die Ecke Trommsdorffstraße-Schmidtstedter Straße, in der Nähe des Hauptbahnhofes, verlegen. Auch dort befinden sich Geschäfte, die von Menschen mit Migrationshintergrund betrieben werden. Nicht erst seit dem NSU ist bekannt, was die Neonazis mit diesen Menschen am liebsten machen würden.  

Angesicht der kurzen Mobilisierungszeit sind die über 300 Menschen eine beeindruckende Zahl. Viele kamen sicher auch dank Bodo Ramelows Aufruf, für religiöse Toleranz auf die Straße zu gehen. Sogar Politiker aus dem bürgerlichen Lager schlossen sich an. Wie immer ganz vorne dabei war DIE LINKE: Alle Erfurter Abgeordneten, Thüringens Spitzenkandidatin Kersten Steinke und viele weitere  standen fast drei Stunden lang Auge in Auge mit den Neonazis. Auch vor Ort war Staatskanzleichefin Marion Walsmann (CDU), die sich jedoch in der „Etappe“ aufhielt. Merkwürdig ist, dass sie von den Medien trotzdem stets an erster Stelle genannt wurde. 

Dem positiven Gesamtfazit tut dies jedoch keinen Abbruch, sehr wohl aber die Gewalt der Neonazis und das Verhalten der Polizei. Während DIE LINKE den Neonazis das Spruchband „Thüringen nazifrei – wir sind dabei“ unter die Nase hielt, war die ake mit dem großen Banner „ Schwur von Buchenwald“ vor Ort. Nicht nur die Botschaft überzeugte, es diente auch als Sichtschutz, damit niemand die Hetz-parolen der NPD sehen musste. Ob „Keinen Meter“, „keinen Fuß breit“ oder  „no pasaran“ – das Prinzip ist überall das Gleiche: Nazis darf kein Raum gegeben werden! Und an diesem Samstag wurde versucht, just dieses Prinzip in die Tat umzusetzen.  

Die Nazi-Schlechtmenschen erwiesen sich jedoch – wenig überraschend – als miese Verlierer. Wie schon bei der NPD-Deutschlandfahrt im August 2012, griffen sie zur Gewalt. Mehrere  Augenzeugen berichten, dass NPD-Landeschef Wieschke und Vorstandskollege Kammler versuchten, an einen Lautsprecher der Gegenkundgebung zu gelangen und das Buchenwald-Transparent zu entwenden. Doch statt die beiden in Gewahrsam zu nehmen, ging die Polizei auf die Demonstrierenden los, die sich gegen die Nazis zur Wehr setzten. Aber auch von zwei Verletzten ließen sich die Demokratinnen und Demokraten nicht einschüchtern und standen weiter Auge in Auge mit den Neonazis. Als die Nazis zwei Meter Boden für sich reklamierten, ging die Polizei gewaltsam vor, drängte die Nazi-Gegner um diese zwei Meter zurück und zerstörten dabei mehr oder weniger mutwillig das Buchenwaldtransparent. „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“, riefen die zu Recht wütenden Demonstrierenden, von den einige auch Anzeige gegen Polizisten erstatteten. Einzelne Polizisten zeigten immerhin Verständnis für den Unmut und ließen sich sogar auf Diskussionen ein. Immerhin, Hans-Peter Golz von der Landespolizeidirektion bedauerte im mdr den Vorfall und erklärte, seine Zustimmung zum Schwur von Buchenwald. Da liegt es doch nahe, dass die Polizei Spenden sammelt und der ake eines neuen Transparentes ermöglicht. Das kling unrealistisch, würde aber ein sehr positves Signal senden.

Ein solches geht von diesem Tag auch an die Muslime aus: Sie werden nicht alleine gelassen! Die Betreiber der Geschäfte in der Trommsdorffstraße bedankten sich, in dem sie die Demonstrierenden mit Essen und Trinken unterstützten. 

Abgesehen davon, dass die Polizei die Nazis nach dem Gewaltexzess nicht in Gewahrsam und ihnen sogar noch zwei Meter Platz verschaffte, gab es an diesem Tag nichts Positives für Wieschke, Kammler und Co. Dabei hätten sie durchaus ihrer Hass-Ideologie abschwören können, denn immer wieder redeten Bodo Ramelow und Rüdiger Bender den Rechtsextremen ins Gewissen. Mehrfach nannte Bender die Telefonnummer des Aussteigerprogramms „Exit“ und versprach allen, die der Nazi-Ideologie abschwören, einen kostenlosen Döner.  So einfach wird es wohl nicht gehen, aber der Kampf gegen den Rechtsextremismus wird nach diesem Tag in Erfurt hoffentlich neue Fahrt aufnehmen können. Bis zur weltoffenen Stadt Erfurt ist es aber noch immer ein weiter Weg. Doch, wenn Menschen mit soviel Mut und Engagement wie am 17. August dabei sind, muss niemanden Bange werden: Keinen Meter für Nazis – jeden Tag und überall!   


Fotos und Text: th