Im Haus der Weimarer Republik

Zum 100-jährigen Jubiläum ihrer Verfassung präsentiert ein modernes neues Museum die kurze Geschichte der ersten deutschen Demokratie und lädt zum Nachdenken ein.

 

 

Vor 100 Jahren wurde im Deutschen Nationaltheater von Weimar die Verfassung der nach der Klassiker-Stadt benannten Republik ratifiziert. Weil im Herbst und Winter 1918/19 den Sozialdemokraten Berlin zu unsicher war, wich man in das beschauliche Städtchen in der Provinz aus. Anders als z.B. in  Erfurt gab es dort keinerlei revolutionäres Industrieproletariat. 

 

Während in Berlin und andernorts das Bündnis aus Sozialdemokraten und alten Militäreliten (Ebert-Groener-Pakt) Aufstände von Links brutal niederschlagen ließen, arbeitete die Nationalversammlung die erste demokratisch-republikanische Verfassung der deutschen Geschichte aus. Angesichts der durch den 1. Weltkrieg ausgelösten Not und der harten Friedensbedingungen von Versailles, denen die Weimarer Nationalversammlung zähneknirschend zustimmen musste, war das ein bemerkenswerter Kraftakt. 

 

Der Komplexität und der Vielschichtigkeit des Entstehens, der Blüte und des Untergangs von „Weimar“ gerecht zu werden, ist eine Herausforderung, die schier unmöglich scheint. Ein Versuch, den Spagat zwischen einer auch für Normalo-Touristen fesselnden Ausstellung zu schaffen, ohne politische Zusammenhänge fahrlässig zu simplifizieren, ist das am 31. Juli just zum 100. Jubiläum eröffnete Haus der Weimarer Republik, kurz HDR. 

 

Gelegen direkt am Theaterplatz schauen Goethe und Schiller auf den Eingang als wollten sie sagen: Verweile doch, das ist so wichtig! Neben einem Filmvorführungsraum, der die Besucher in das Thema einführen soll, steht ein großer Raum mit zahlreichen Objekten, inklusive moderner multimedialer Umrahmung, im Zentrum des Hauses. Gemessen am großen medialen Rummel wirkt das Ganze auf den ersten Blick etwas mickrig. Ein größerer Ausstellungsteil in Form eines Erweiterungsbaus ist noch nicht fertig. 

 

Insgesamt wird durchaus versucht, die vielen Facetten der Weimarer Republik abzudecken. Positiv fällt sofort ins Auge, dass die Geschichte der Republik nicht allein von ihrem bitteren Ende erzählt wird. Neben den Errungenschaften wie der Einführung des Frauenwahlrechts, der Grund- und Freiheitsrechte oder der Arbeitslosenversicherung wird auch auf das Thema Volksentscheide eingegangen. Die waren in der Weimarer Republik, anders als in der BRD, auch auf Reichsebene zulässig. 

 

Außer den großen politischen Fragen spielen popkulturelle Aspekte eine große Rolle – Stichwort „Goldene Zwanziger“. Auch das berühmte Badehosenbild von Reichspräsident Ebert und anderen führenden Genossen darf da nicht fehlen. Dazu gesellen sich interessante Aspekte von Industrie- und Technikgeschichte. Der „Fliegende Hamburger“ schaffte die Bahnstrecke zwischen Hamburg und Berlin 1932 in sensationellen 142 Minuten – ein Wert, den die Bahn erst wieder 1997 erreichte. Ein Faktum, dass nicht minder zum Nachdenken anregt wie die unzähligen politischen Aspekte der Ausstellung, die sich auch als Forum der Demokratie versteht. 

 

Zu kurz kommt dagegen die blutige Anfangsphase der Weimarer Republik. Luxemburg und Liebknecht sucht man vergeblich. Auch die Münchner Räterepublik und ihre blutige Niederschlagung spielen praktisch keine Rolle. Lediglich der Mord am Zentrums-Politiker Matthias Erzberger wird thematisiert. Er unterzeichnete – von Militärs wie Ludendorff zum Sündenbock gemacht – im Wald von Compiegne 1918 den Waffenstillstand. Von Rechts als „Novemberverbrecher“ und „Erfüllungspolitiker“ diffamiert, rettet ihn bei einem Attentat seine goldene Uhr das Leben, ehe er 1921 regelrecht hingerichtet wurde. Die Attentäter wurden erst nach Ende des 2. Weltkrieges vor Gericht gestellt und frei gesprochen. Noch in der Besatzungszeit hob ein französisches Hohes Gericht das Urteil auf. Anschließend wurden die Mörder zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, aber schon nach wenigen Jahren wieder entlassenen.  Diese „Blindheit auf dem rechten Auge“, die auch in de Ausstellung thematisiert wird, lebte bis weit in die alte Bundesrepublik fort – und teils auch noch heute.  

 

Wie so häufig beim Thema Weimarer Republik werden Sozialdemokraten wie Ebert und Scheidemann glorifiziert, ohne ihr Bündnis mit den alten Machteliten zu hinterfragen. Umso mehr überrascht, dass die Ausstellung die Besucher mit Querverweisen zu heutigen Problemen von Klimawandel bis Pegida unter der Fragestellung „Weimarer Verhältnisse“ entlässt. Auf einer Art Pinnwand der „demokratischen Vision“ können zudem Fragen und Gedanken hinterlassen werden. 

 

Über vier Millionen Euro hat das HDR gekostet. Drei Millionen davon stammen aus Bundesfördermitteln. Die Fertigstellung des Erweiterungsbaus ist für Ende 2020 geplant. Angesichts dieser Geldgeber überraschen die kleineren Schwächen nicht. Ein Besuch lohnt sich allemal. Das gilt insbesondere, weil der Versuch geglückt ist, die Angriffe auf Demokratie und Freiheit von Rechts in Bezug zur aktuellen Lage zu setzen. Frei nach Winston Churchill: Je weiter man in die Vergangenheit schaut, desto weiter kann man in die Zukunft blicken.       th