„Ich habe es persönlich als schlimm empfunden, dass es so kläglich zu Ende gegangen ist.“

Im letzten Jahr wäre die DDR 60 geworden, statt dessen feiern wir 20 Jahre Einheit. Für die Historiker steht das Urteil fest, doch das entspricht nur bedingt den Erfahrungen der Menschen. Über den 20. Jahrestag der so genannten Deutschen Einheit am 3. Oktober berichten allen Medien ausführlich. Die Geschichte der DDR bis 1990 wird von den Siegern der Geschichte bestenfalls am Rande erwähnt und entlädt sich in den üblichen einseitigen Dokumentationen über die Machenschaften der Stasi oder den Toten an der Mauer. Das es auch im Westen Unrecht gab und viele in der DDR ganz normal gelebt haben, wird ignoriert.

Über den 20. Jahrestag der so genannten Deutschen Einheit am 3. Oktober berichten allen Medien ausführlich. Die Geschichte der DDR bis 1990 wird von den Siegern der Geschichte bestenfalls am Rande erwähnt und entlädt sich in den üblichen einseitigen Dokumentationen über die Machenschaften der Stasi oder den Toten an der Mauer. Das es auch im Westen Unrecht gab und viele in der DDR ganz normal gelebt haben, wird ignoriert. Wie die vielen Menschen, die sich nicht als Opfer des Unrechts fühlen, die DDR und die „Wende“ erlebt haben, interessiert die Medien wenig bis gar nicht.

Jemand, der den Arbeiter- und Bauernstaat praktisch von Anfang bis Ende erlebt hat und ohne großen Umbruch sowohl vor als auch nach 1990 für den demokratischen Sozialismus politisch aktiv war und bleibt, ist die LINKE Landtagsabgeordnete Karin Kaschuba. Ihr Leben passt nicht in das allgemein übliche Bild von einem Land, dass angeblich nur aus Unrecht und staatlicher Gängelung bestand.

Geboren 1948, hat sie ihre Kindheit in den schwierigen Anfangsjahren eines vom Krieg zerstörten und von Demontagen gebeutelten Landes verbracht. „Ich bin in einem Dorf, 25 Kilometer von Marienborn, groß geworden. Meine Großeltern waren Neubauern und gehörten vor 1945 zu den Ärmsten der Armen, mein Vater war Knecht. In den ersten Jahren nach dem Krieg kamen oft Leute aus den großen Städten aufs Land, um bei den Bauern um Essen zu betteln. Dabei hatten die Neubauern auch nur wenig, weil sie nur eine bestimmte Anzahl an Tieren schlachten durften. Das veränderte sich dann grundhaft mit der Gründung der Genossenschaften. Natürlich wurde das am Anfang heiß diskutiert, aber für mich war es eine der größten Errungenschaften der DDR. Die Lebensqualität hat sich dadurch deutlich verbessert. Die Arbeitszeiten wurden kürzer, es wurde viel Kultur organisiert und Reisen veranstaltet.“

Karin Kaschuba sagt von sich, dass sie, im Vergleich zu den meisten Menschen in der DDR, untypisch aufgewachsen ist. „Ich habe am Religionsunterricht teilgenommen, bin getauft und konfirmiert. Die Pfarrer haben mich intensiv mit Literatur und Kultur vertraut gemacht. Das betrachte ich heute noch als großen Gewinn meiner Kindheit. Ich bin bis zum Beginn meines Studiums in der Kirche aktiv gewesen. Auch beim Eintritt in die Partei habe ich artikuliert, dass ich deswegen nicht aus der Kirche austreten will und mir ist deswegen nie etwas passiert.“ Bis zu ihrem 18. Geburtstag war sie kein Mitglied in der FDJ, auch das störte Niemanden.
In der Bundesrepublik war Karin Kaschuba vor 1990 nur ein einziges Mal – ausgerechnet am 12. August 1961. Ihre Tante war mit ihr in den Zoo nach West-Berlin gefahren. „Einen Tag später habe ich dann hautnah erlebt, wie die Grenze dicht gemacht wurde. Die Amerikaner sind mit ihren Jeeps über die Autobahn nach West-Berlin gefahren und haben Südfrüchte, Schokolade und Kaugummi aus den fahrenden Autos geworfen. Ich fand sowohl das Rausschmeißen der Sachen makaber als auch das Zertrampeln der Südfrüchte durch die Volkspolizei.“

Studieren wollte Karin Kaschuba eigentlich Archäologie in Leipzig, landet aber in Jena bei Geschichte und Germanistik, wo sie ihr Staatsexamen machte und in einem anderthalbjährigen Schnellverfahren auch noch zur Diplomphilosophin ausgebildet wurde. „Für mich war es sehr interessant, weil es nicht nur um Marxismus-Leninismus ging, sondern der Schwerpunkt auf der Philosophiegeschichte lag.“ Unter anderen Bedingungen, jenseits der DDR, hätte die heutige hochschulpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Thüringer Landtag niemals studieren können. Während des Studiums lernte sie aber auch die andere Seite des real existierenden Sozialismus kennen. Mit dem Zug fuhr sie 1968 nach Moskau und Tbilissi;. „Man erklärte uns, die Sowjetunion ist schon in der ersten Phase des Kommunismus. Auf dem Bahnhof in Moskau habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Bettler gesehen und auch, dass Zigeuner eine besondere Randgruppe waren. Das hat bei mir schon ernsthafte Fragen zum Kommunismus ausgelöst. Dazu passte dann auch der Einmarsch der Roten Armee in Prag, zumal wir vom Dekan der Universität Tbilissi hörten, dass sie sich als von den 'Russen' besetzt fühlten. Trotzdem sind alle, die damals auf dieser Reise mit waren, heute noch Mitglieder oder Wähler der Linkspartei.“

Karin Kaschuba hat vieles auch kritisch betrachtet und miterlebt, dass es Manchen, die Kritik offen äußerten, nicht gut ergangen ist, weil es oft knallharte Parteiverfahren der seltsamsten Art gab. „Manche Erinnerung daran empfinde ich noch heute als beschämend und ich will so etwas nie wieder. Ich denke, dass Niemand behaupten kann, immer auf Seite der Linientreuen oder nur auf Seite der Opposition gestanden zu haben. Die Menschen, die viel diskutiert haben, hatten in der DDR alle ein Ziel: einen anderen Sozialismus. Ich glaube bis heute, dass der Sozialismus besser sein kann als der Kapitalismus. In der DDR konnte jeder, wohnen, essen, trinken und studieren, wenn auch auf niedrigem Niveau – eine Qualität, die weltgeschichtlich einmalig war. Das Hauptproblem war, dass über allem eine Art mittelalterliches Ständesystem existierte. Ganz oben stand immer die Partei und danach kam erst alles andere. Das Prinzip der Meinungsbildung nur von oben nach unten musste einfach ein Ende haben. Die Nichtgewährung individueller Freiheitsrecht musste zum Scheitern des Systems führen. Sozialismus ohne Freiheitsrechte ist kein Sozialismus.“

Ende der achtziger Jahre begann der Anfang von diesem Ende, als die Diskussionen um die Perestroika auch in der DDR geführt wurden. „Der Grundgedanke des Sozialismus ist für mich auch heute noch besser, aber in der Realität hat es so wie es war, nun mal nicht funktioniert. Trotzdem habe ich es persönlich als schlimm empfunden, dass es so kläglich zu Ende gegangen ist.“ Die Wende entstand aus einer großen demokratischen Bewegung, die ihren Höhepunkt auf der großen Demo in Berlin am 4. November 1989 hatte. „Wer sich heute einmal die Reden von diesem Tag anschaut, sieht grandiose Entwürfe über eine zukünftige Gesellschaft. Es war die Vision eines demokratischen Sozialismus und nicht die, von einem Anschluss an die Bundesrepublik. Aber die Visionäre von damals haben einen Fehler gemacht, sie haben nicht nach der Macht gegriffen, nicht gesagt, jetzt ist Schluss, wir übernehmen das Politbüro. Es waren dann die Reisen, die D-Mark und der versprochene Wohlstand, der objektiv gar nicht kommen konnte, welcher zum Wahlsieg der CDU bei der Volkskammerwahl 1990 führte und den Anschluss an die BRD ermöglichte.“

Warum aber ist die DDR und mit ihr der Sozialismus 1990 so sang und klanglos untergegangen, ohne dass heute über positive Aspekte jenseits von Ampelmännchen und Rotkäppchen-Sekt ernsthaft gesprochen wird? „Dass es so gründlich schief gegangen ist, lag auch an der ideologischen Überlagerung in zu vielen Lebensbereichen. Man glaubte, dass man den Menschen alles erklären musste. Aber nur mit Agitation und Propaganda vorzugehen, kann auf Dauer nicht funktionieren. Dazu kamen die wirtschaftlichen Probleme. Die DDR hat trotz dieser Probleme eine riesige kulturelle Leistung erbracht, aber insgesamt kann so ein System nur funktionieren, wenn man dem Einzelnen auch die Freiheit lässt, selbst über sein Leben zu bestimmen. Aus meiner Sicht waren die fehlenden Reise- und Meinungsfreiheit die entscheidenden Punkte, die zum Ende der DDR geführt haben. Man kann den Menschen erklären was richtig ist, aber am Ende muss man auch andere Meinungen akzeptieren können und zum Tragen bringen. Das ist Demokratie und an der hat es gefehlt.“

So wurde 1990 die im Grundgesetz bewusst verankerte Möglichkeit des Beitrittes zur Bundesrepublik vollzogen. „Die Menschen haben sich 1990 so entschieden, das muss man akzeptieren, ob man will oder nicht. Sie haben Helmut Kohl seine Versprechen von den blühenden Landschaften abgenommen. 1990 hat mir ein amerikanischer Professor schon vorhersagt, dass auf dem Gebiet der DDR ein Drittel der Menschen dauerhaft keine Arbeit haben wird, leider hatte er damit größtenteils Recht. Natürlich gab es auch Fortschritt nach der Einheit, aber vieles davon ging zu Lasten der Menschen. Da wurde einfach ein Mantel aus Schuld um ein ganzes Volk gelegt. Nach dem Motto: ihr habt es euch 40 Jahre gefallen lassen, in einer Diktatur zu leben, jetzt müsst ihr auch die Folgen akzeptieren. So hatte man auch eine politische Argumentation, warum die Menschen im Osten weniger Gehalt bekommen und warum die Abwicklung ihrer Betriebe und Einrichtungen richtig war. Insbesondere die „Eliten“ der DDR konnten so entwertet werden.“

20 Jahre nach dem Ende der DDR wird über vieles nicht mehr geredet. „Es findet keine Diskussion mehr über die zukünftige Ausrichtung der Gesellschaft statt. Das empfinde ich als einen zivilisatorischen Verlust im Kapitalismus. Die Gruppierungen, in denen so etwas noch oder wieder geschieht, sind noch nicht gebündelt. Ich halte den Kapitalismus, so wie er heute existiert, für nicht überlebensfähig, weil das Grundsystem falsch ist, wenn Menschen zur Ware werden und es nur noch um die Produktion von Geld geht. So kann es nicht noch 20 Jahre weitergehen, wir brauchen eine Gesellschaft, die soziale Rechte und individuelle Freiheitsrechte garantiert und der Zerstörung der Natur Einhalt gebietet. Der vielgenutzte Begriff der Globalisierung sollte diese Punkte für alle Menschen umfassen und nicht Ökonomisierung mit all ihren verheerenden Folgen.“

Thomas Holzmann