Geschichte: Vor 70 Jahren – Operation „Strafgericht“

Die Geschichte des Balkans ist über lange Zeiträume eine sehr blutige. Bis zum Bürgerkrieg nach dem Ende von Titos Regentschaft war die Besetzung durch die faschistische Wehrmacht, besonders in Serbien, das dunkelste Kapitel.

Der 6. April 1941 war der bis dahin schwärzeste und schicksalhafteste Tag in der jungen Geschichte des erst 1918 gegründeten jugoslawischen Staates: Im ganzen Land heulten die Sirenen, unheilverkündend wie schon in der altgriechischen Sagenwelt – Fliegeralarm! Flugzeuge mit dem Balkenkreuz an Rumpf und Tragflächen sowie dem Hakenkreuz am Leitwerk luden allein über der offenen Stadt Belgrad drei Tage lang ihre todbringende und alles zerstörende Bombenlast ab. Die Hauptstadt des Landes wurde in weiten Teilen zur Trümmerwüste, viele Straßen waren mit Leichen übersät, überall stöhnten oder schrien Verwundete, suchten Menschen in den Ruinen verzweifelt nach vermissten Angehörigen. „Operation Strafgericht“ nannten Nazi-Führung und deutsche Generalität diesen heimtückischen und brutalen Überfall, dessen Vorbereitung nur wenige Tage gedauert hatte und Hitler zudem gar nicht so gelegen kam: Kurz zuvor war Jugoslawien nämlich noch Verbündeter des „Dritten Reiches“ und seiner Achsenpartner, dem faschistischen Italien und dem militaristischen Japan, gewesen, da gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung durch die nazihörige Regierung von Ministerpräsident Cvetković am 25. März in den „Dreimächtepakt“ gezwungen worden. Am 16. Februar war Cvetković schon einmal mit Hitler zusammengetroffen, hatte aber noch keine Einigung über den Beitritt erzielen können. Dabei war es freilich im wesentlichen um die Bedingungen gegangen, zu denen das Land der deutsch-faschistischen Aggressionspolitik dienstbar zu machen war. Schließlich wollten auch die profaschistisch eingestellten Kreise der herrschenden Klasse des Balkanstaates nicht nur melkende Kuh sein, sondern ebenfalls von der Neuaufteilung der Welt profitieren, wenigstens auf dem Balkan und im Mittelmeerraum. Nach einem Besuch von Prinzregent Paul auf Hitlers Berghof am 4. März waren die Würfel gefallen – am 25. März erfolgte der Beitritt zum „Dreimächtepakt“. Doch die Rechnung war ohne die Mehrheit der Bevölkerung gemacht worden: Machtvolle Proteste, nicht nur in Belgrad, sondern im ganzen Land, veranlassten schließlich die Generalität, diese Regierung am 27. März durch einen Militärputsch zu stürzen. Die neue Regierung unter Ministerpräsident Simović erklärte den sofortigen Austritt aus dem Kriegsbündnis mit Nazi-Deutschland. Noch am Abend des gleichen Tages erging die Weisung an das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) zum Überfall auf Jugoslawien und Griechenland. Am 5. April schloss die neue jugoslawische Regierung überdies einen Freundschafts- und Nichtangriffsvertrag mit der Sowjetunion ab, wodurch die Eroberungspläne des „Dritten Reiches“ erheblich gestört wurden. Wenn Hitler und der Wehrmachtsführung die Aggression gegen Jugoslawien ausnahmsweise einmal gar nicht so recht war, dann aus diesem einzigen Grunde: Der geplante Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion war nämlich in Gefahr, denn Nazi-Deutschland hatte nicht nur einen Gegner inmitten seiner süd- und südosteuropäischen Verbündeten, sondern auch den Verlust wichtiger Hilfsquellen und Nachschubräume zu befürchten. Der Einsatz der jugoslawischen Armee als Hilfstruppe für den Überfall auf die Sowjetunion entfiel ebenso wie die Möglichkeit, ihr die Sicherung des Mittelmeerraumes gegen die britische Armee zu übertragen, um der Nazi-Wehrmacht im Hinblick auf den geplanten Vernichtungskrieg im Osten den Rücken freizuhalten. Zudem musste auf die geplante Ausplünderung des Landes zur Versorgung der deutschen Kriegswirtschaft mit wichtigen Bodenschätzen, unter anderem Stein- und Braunkohle, Erdöl und Erdgas, Bauxit, Eisen-, Kupfer-, Blei- und Zinkerze, Stahlveredler und Phosphate, sowie landwirtschaftlichen Produkten, insbesondere tierische und pflanzliche Rohstoffen sowie Lebensmittel, verzichtet werden. Ein weiteres Hindernis für den Zeitplan zur Verwirklichung des „Unternehmens Barbarossa“ war der Alleingang Italiens: Ende Oktober 1940 hatten Mussolinis Truppen vom annektierten Albanien aus Griechenland überfallen, dabei jedoch ihre Kräfte maßlos überschätzt. In erbitterten Kämpfen hatte die griechische Armee die Aggressoren bis weit nach Albanien hinein zurückgeschlagen. Die Nazi-Führung sah sich nun veranlasst, beide Balkanstaaten brutal zu unterwerfen und die britischen Truppen von der Insel Kreta zu vertreiben. Wohl oder übel musste so der Überfall auf die Sowjetunion um vier Wochen verschoben werden.

Was sich vom 6. April 1941 an abspielte, war ein höchst ungleicher Kampf: Von allen Seiten fielen die Aggressoren in das Land ein – die Wehrmacht von Norden, Nordosten und Südosten, wo sich die Nazi-Führung mit dem annektierten Österreich sowie den Satellitenstaaten Ungarn, Rumänien und Bulgarien außerordentlich günstige Aufmarschräume geschaffen hatte. Raffiniert wurde mit dem vorwiegenden Einsatz ehemals österreichischer Wehrmachtsangehöriger wie der Generale Franz Böhme und Edmund von Glaise-Horstenau der bereits lange vor 1914 in der Donaumonarchie grassierende hasserfüllte antiserbische Nationalismus einer so zusätzlich ideologisch motivierten besonders grausamen und rücksichtslosen Kriegsführung dienstbar gemacht. Italien griff von Westen sowie seinen dalmatinischen Besitzungen und aus Albanien an, dazu kam ungarische, rumänische und bulgarische Unterstützung, und als sprichwörtliche Fünfte Kolonne fielen die kroatischen Ustascha-Faschisten den Verteidigern in den Rücken. Mittels umfassender nationalistischer Demagogie war es zudem gelungen, Angehörige der deutschen Minderheit sowohl für Hilfsdienste wie Dolmetschertätigkeit bei Verhören gefangengenommener jugoslawischer Militärangehöriger als auch für Sabotage- und Diversionsakte zu missbrauchen. Elf Tage leistete die Armee heftigen Widerstand, dann musste sie sich der mit zahlreichen Panzerdivisionen und motorisierten Einheiten ausgerüsteten Übermacht ergeben. Noch während der Kampfhandlungen gingen die faschistischen Aggressoren mit aller Brutalität gegen die Bevölkerung vor, um jeden Widerstand sofort in Keime zu ersticken: Nach der Erschießung zweier SS-Angehöriger in der serbischen Stadt Pančevo wurden fünf Tage später wahllos 18 Einwohner als Geiseln genommen und erhängt, weitere 18 erschossen. Die Leichen der unglücklichen Opfer wurden zur „Abschreckung“ tagelang zur Schau gestellt.

Am 17. April mussten die jugoslawischen Streitkräfte in Belgrad kapitulieren, vier Tage später auch die griechische Armee in Janina, nachdem sie der für das „Unternehmen Marita“ aufgebotenen erdrückenden Übermacht nicht mehr gewachsen und das zwar technisch gut ausgerüstete, aber zahlenmäßig viel zu schwache britische Unterstützungskorps nach dem Durchbruch seiner Stellung an den Thermopylen auf dem Seewege nach Kreta und Ägypten evakuiert worden war. Jugoslawien wurde gemäß dem Willen der Nazi-Führung von der Landkarte „ausradiert“: Am 10. April schon erfolgte mit Billigung der deutschen und italienischen Aggressoren die Ausrufung eines „unabhängigen“ Satellitenstaates Kroatien, an dessen Spitze der Ustascha-Führer Ante Pavelić trat, der das Land am 15. Juni dem faschistischen Aggressionsbündnis anschloss. Am 20. April einigten sich die Außenminister Hitlers und Mussolinis, von Ribbentrop und Ciano, über die Zerstückelung Jugoslawiens in insgesamt zehn Teile. Das „Dritte Reich“ annektierte mit der bis 1918 österreichischen Untersteiermark das nordöstliche, Italien das westliche Slowenien und dazu Dalmatien. Um nicht zu kurz zu kommen, suchte der ungarische Diktator Horthy am 24. April in aller Eile Hitler auf, der ihm unter anderem mit der Bačka und dem Mur-Gebiet nordjugoslawisches Territorium zuschanzte. Bulgarien erhielt als Lohn für seine Dienste das von seinen Truppen am 19. April besetzte Mazedonien. Montenegro wurde italienisches, Serbien deutsches Besatzungsgebiet unter der Marionettenregierung Nedić. Von nun an wurde das Land mit Hilfe einheimischer Kollaborateure wie der kroatischen Ustascha- und der serbischen Zbor-Bewegung sowie den ebenfalls serbischen Tschetniks sowohl einer beispiellosen wirtschaftlichen Ausplünderung als auch einem brutalen und grausamen Besatzungsregime unterworfen. Der vor allem nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion immer aktiver werdenden und erstarkenden, in erster Linie von der Kommunistischen Partei unter Josip Broz Tito getragenen Partisanenbewegung versuchten die Besatzungsmächte durch brutalste Kriegsführung, massenhafte Geiselnahmen und grauenhafte Massaker der Wehrmacht wie der von Kragujevac und Kraljevo vergebens Herr zu werden. Allein in Kragujevac waren am 21. Oktober 2.323 Opfer, darunter 300 Schüler, in Kraljevo am 15. Oktober und danach insgesamt 1.755 Menschen wahllos zusammengetrieben und erschossen worden. Doch damit war das Morden in Kraljevo und Umgebung keineswegs zu Ende, die Zahl der in den darauffolgenden Tagen Umgebrachten belief sich schließlich auf rund 8.000. Bezeichnend ist das Telegramm, das Gesandter Felix Bendler am 29. Oktober an das Auswärtige Amt schickte: „Die Erschießungen in Kragujevac sind erfolgt, obwohl in dieser Stadt kein Angriff gegen deutsche Wehrmachtsangehörige stattgefunden hatte, weil anderwärts nicht genügend Geiseln aufgetrieben werden konnten.“ Bis zur Befreiung 1944 wurden in deutschem Namen nicht nur zahllose solcher Verbrechen begangen, nahezu die gesamte jüdische Bevölkerung sowie die Sinti und Roma fielen der faschistischen Ausrottungspolitik zum Opfer. Um so trauriger, schändlicher und beschämender ist es, dass der sich als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches (und damit auch des „Dritten Reiches“) verstehende Staat nicht nur an der 1991 eingeleiteten erneuten Zerstörung Jugoslawiens, sondern ungeachtet der Aggression von 1941 und deren Folgen 1999 auch noch am NATO-Krieg gegen den Reststaat Bundesrepublik Jugoslawien teilnahm, in dessen Ergebnis nicht nur 2003 der Staatsname Jugoslawien wie schon einmal 1941 getilgt, sondern dieser Reststaat mit einer auf maßlosem Nationalismus beruhenden Unabhängigkeitserklärung Montenegros am 3. Juni 2006 endgültig zerschlagen und Serbien zudem mit einer durch NATO-Bajonette ermöglichten „Unabhängigkeitserklärung“ das autonome Gebiet Kosovo entrissen wurde.