Europa – mon amour!

Gabi Zimmer wird am 1. Juli das Europaparlament verlassen. Mit ihr geht nicht nur die langjährige Vorsitzender der Linksfraktion GUE/NGL, sondern auch eine der erfahrensten Politikerinnen der Thüringer Linken überhaupt. Schon seit der Wende ist sie aktiv dabei und war auch Landes- und Fraktionsvorsitzende in Thüringen. Ihre Liebe gehört aber Europa.

Von Gabi Zimmer

 

In wenigen Tagen, am 1. Juli, verlasse ich das Europaparlament. Am Tag danach tritt das neugewählte EU-Parlament (EP) zusammen. Zwei Wochen fehlen mir an glatten 15 Jahren, die ich für die PDS und DIE LINKE  im EP war. 

Wird mir etwas fehlen? Klar, die Bahnhöfe, Flugplätze, die Stunden im Zug, im Flieger, im Auto. Ach ja, die Hotels. Als Abgeordnete pendelte ich nicht nur zwischen Heimatort und EP, sondern war in Thüringen, Deutsch-land, ganz Europa, manchmal auch bis nach Afrika, China, Kuba, Papua-Neuguinea unterwegs. In einem fremden Bett kann ich die erste Nacht nicht schlafen. Wie viele schlaflose Nächte mögen das gewesen sein?

Was wird mir nicht fehlen? Ganz vorn steht der Brexit. Nicht, weil sich alles so hinzieht. Millionen Menschen sind von den Auswirkungen betroffen. Da heißt es, Ruhe zu bewahren und sich nicht von Leuten wie Farage, Johnson oder anderen Heuchlern irre machen zu lassen. Mir wird der Brexit nicht fehlen, weil es diese Leute und ihre persönlichen Intrigen, Interessen – garniert mit „fake news“ – waren, denen viele britische BürgerInnen auf den Leim gingen. Möglicherweise wird aber genau die Brexit-Partei Farage’s bei den Europawahlen abräumen. Die Zeche bezahlen die anderen, die immer noch glauben, dass ihr Gesundheitssystem durch die bald zur Verfügung stehenden Millionen Pfund an EU-Beiträgen gesunden wird. Oder jene BürgerInnen Nordirlands, die gar nicht aus der EU raus wollen und jetzt wieder durch eine Grenze von der Republik Irland getrennt werden könnten. Die politischen Führer*innen der EU lernen zu wenig aus den selbst verursachten Fehlern und Niederlagen der europäischen Integration. Das ärgert mich immer wieder. Nicht nur beim Brexit.

Was und wen ich wirklich vermissen werde, sind viele meiner gewonnenen Freund*innen, Kolleg*innen, Genoss*innen, Mitarbeiter*innen aus meinen Büros in Brüssel und Weimar. Jeden Tag lernst du neue Menschen kennen – meistens durch die Arbeit an gemeinsamen Themen. Dabei ist es nicht viel anders als hier zu Hause. Mit einigen verstehst du dich ausgenommen gut, mit anderen zoffst du dich. Auch in verschiedenen Sprachen. Wichtig ist, den Respekt gegenseitig zu bewahren. Aber auch Brüssel und Straßburg als Zentren europäischer Kultur und Geschichte behalte ich in guter Erinnerung. Grande Place, Bozar, das Comic-Museum, das „London“ auf dem Place Luxembourg mit der Kellnerin, mit der wir immer Russisch sprachen. Oder das von mir viel zu spät entdeckte Jazz-Festival im Mai ebenso wie die Kathedrale von Straßburg oder die vielen kleinen Restaurants mit ihrer elsässischen Küche in der Altstadt. Und natürlich der Brüsseler Fanclub vom BVB. Dorthin hatten mich aktive Gewerkschafter*innen und Freund*innen aus sozialen Bewegungen in Brüssel eingeladen.

Ach ja, ich bin mehrfach umgezogen in Brüssel. Vor allem, weil ich Zweifel an der Bausubstanz meiner Unterkünfte hatte. In der ersten Wohnung brach die Küchendecke beim Wechsel einer Lampe ein, bei der zweiten befürchtete ich, mit meinem Bett durch das gesamte Treppenhaus drei Etagen nach unten zu stürzen.  Ich hatte einen ausgebauten Dachboden als Appartement gemietet. Die letzte Wohnung war perfekt. Der polnische Vermieter hatte das Haus vollkommen saniert, selbst Böden und Deckenbalken. Obwohl ich mir vorgenommen hatte, nie wieder unters Dach zu ziehen, habe ich es doch wieder getan. Die Wohnungen unterm Dach sind am preiswertesten. Ich kann von meiner Wohnung direkt zum Parlament laufen, brauche nur 17 Minuten. Damit bin ich unabhängig, nicht auf öffentliche Verkehrsmittel oder Fahrdienste angewiesen. Ich kann kommen und gehen, wann ich will. Nur, wenn hohe Persönlichkeiten nach Brüssel kommen, wird es problematisch. Zum Beispiel der Papst oder Obama oder die Regierungschefs der EU. Dann kann es schon passieren, dass ich nicht zu meiner Wohnung durchgelassen werde. Mir ist schon von Sicherheitskräften empfohlen worden, mir ein Hotel für die Nacht zu nehmen, obwohl meine Wohnung in Sichtweite lag. Einmal nahm ich ein Taxi. Wir fuhren bis fast zum Flughafen, um von dort über eine andere Autobahn von hinten durch die Stadt bis zu meiner Wohnung zu kommen. Jetzt gebe ich meine Wohnung auf. Den Blick über die Dächer von Brüssel, den werde ich wirklich vermissen.

Was bleibt? Meine Liebe zu Europa. Sie ist nicht spontan einfach so entstanden. Mir ist Deutschland wieder zu laut geworden, manchmal zu großkotzig. Ich habe die Arroganz einiger Deutscher gegenüber der griechischen Bevölkerung zu hautnah erlebt, als dass ich es einfach als Betriebsunfall, als Ausnahme begreifen kann. Es war ein gutes Gefühl, 2015 die Solidarität und die Hilfsbereitschaft vieler Menschen in Deutschland, aber auch in Belgien, Italien oder Frankreich zu sehen. Ich bin traurig, wie schnell offizielle Politik in vielen dieser Länder umgekippt ist, sich den Orbans, Salvinis, Straches gebeugt hat. Ich finde es erbärmlich, dass Initiativen zur Seenotrettung kriminalisiert werden, die EU-Mission „Sophia“ einfach eingestellt wurde, Deals mit Libyen, Marokko oder der Türkei geschlossen werden, um Menschen daran zu hindern, auf EU-Gebiet zu kommen. Das alles hat mit dem Europa, das ich liebe, nichts zu tun. Es ist aber die EU von heute. Europa – das sind aber auch die Initiativen vieler europäischer Großstädte, Geflüchtete aufzunehmen, die Menschen, die mit privaten Schiffen Menschenleben im Mittelmeer retten. 

Europa und EU, das sind für mich der Rahmen, in dem ich mich besser aufgehoben fühle. Ich möchte nicht mit Deutschland allein sein. Und ich weiß, dass ein solidarisches Europa, die EU der Zukunft nur ein sozialistisches Europa sein kann. Es gibt noch viel zu tun! Viel Glück Martin Schirdewan und GenossInnen!