Einst geachtet und verehrt, heute „Persona non grata“ – Ernst Thälmann zum 125. Geburtstag

Einst war er ein großer Kämpfer gegen den Faschismus und eine der wichtigsten Figuren der Arbeiterbewegung. Heute wird er als Stalinist gebrandmarkt. Als KPD-Vorsitzender hat er auch Fehler gemacht, aber sein Leben galt immer dem Kampf für eine gerechte Gesellschaft.

 

„Heimatland, reck Deine Glieder, kühn und beflaggt ist das Jahr, breit in den Schultern steht wieder Thälmann vor uns wie er war“ und „Wie Ernst Thälmann treu und kühn“ sangen wir einst in Schule und Pionierorganisation. Zu seinem 100. Geburtstag 1986 erlebte die Hauptstadt der DDR die Eröffnung des Ernst-Thälmann-Parks samt Einweihung des ihm gewidmeten Denkmals. Straßen und Plätze sowie Schulen und Betriebe trugen seinen Namen, das Niederlegen von Blumen und Kränzen an der Stelle am Krematorium des KZ Buchenwald, wo er in der Nacht des 18. August 1944 von SS-Angehörigen nach jener Bemerkung auf Himmlers Notizzettel „Thälmann – ist zu exekutieren“ heimtückisch und hinterrücks ermordet worden war, bei Besuchen der Mahn- und Gedenkstätte eine Selbstverständlichkeit. Nur drei Jahre nach jenen Ehrungen von 1986 wurde er zur Unperson: Kampf um die Fürstenenteignung, Bauernhilfsprogramm der KPD, Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes, Kampf gegen den Faschismus zählten plötzlich ebenso wenig wie seine eindringliche Warnung „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler. Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!“. Elfeinhalb Jahre strengste Einzelhaft und Folterungen in faschistischen Zuchthäusern galten auf einmal nicht mehr, der heimtückische Mord war entweder kein solcher gewesen oder eben eine Sache, an der der Mann doch letzten Endes nun einmal selbst Schuld hatte. So oder so ähnlich handelten Personen, die erst lautstark nach „der Demokratie“ (welcher?) und dann nach „der Einheit“ (natürlich per Beitritt) und der D-Mark schrien, um dann im Zuge der gesellschaftlichen „Säuberung“ seinen Namen aus der Öffentlichkeit zu tilgen. Mit dem Verdikt „Stalinist“ wurde der Bann über eine der populärsten Persönlichkeiten der deutschen Arbeiterbewegung und eines der prominentesten Opfer des deutschen Faschismus verhängt. Eine sachliche und unvoreingenommene Aufarbeitung seines Wirkens und damit auch seiner Fehler wurde damit bewusst und gewollt verhindert, stattdessen eine Welle der antikommunistischen Hysterie entfacht. Mit der „Stalinismus“-Keule wurde in eifervoller Anbiederung an die neuen alten Verhältnisse politischer Kahlschlag betrieben – man lese nur die am Krematorium in Buchenwald nach 1990 angebrachte Tafel, die zum Ausdruck bringt, wie Ernst Thälmann gemäß der Lesart bundesdeutscher Politik und Propaganda gefälligst zu bewerten ist. Dass die an seiner Ermordung Beteiligten in der BRD nie bestraft wurden, gegen einen von ihnen, den als ehrbarer Berufsschullehrer in Geldern am Rhein tätig gewesenen einstigen Stabsscharführer Wolfgang Otto erst ein von Rechtsanwalt Heinrich Hannover durchgesetztes Klageerzwingungsverfahren notwendig war, spielte keinerlei Rolle, auch nicht, dass der der Tat dringend Verdächtige mit wohlwollender Milde behandelt und natürlich ganz „rechtsstaatlich“ freigesprochen worden war. Auf der anderen Seite wurde freilich äußerst großzügig verfahren – beim SPD-Politiker Paul Löbe zum Beispiel störten sich bundesdeutsche Politiker nicht daran, dass er sowohl eine Einheitsfront gegen den Faschismus als auch nach dem 30. Januar 1933 einen Generalstreik zum sofortigen Sturz der Nazi-Regierung kategorisch abgelehnt und sich der Illusion hingegeben hatte, durch Abwahl sämtlicher jüdischer Mitglieder des Parteivorstandes und Zustimmung zu Hitlers außenpolitischem Programm das Verbot der Partei abwenden zu können.

Ja, Ernst Thälmann hatte als Vorsitzender der KPD einen Kurs durchgesetzt, der bedingungslos der weitgehend von Josef Stalin bestimmten Politik von KPdSU (B) und Kommunistischer Internationale folgte. Vieles, genannt sei vor allem die Sozialfaschismus-These, wirkte sich verhängnisvoll auf die deutsche Arbeiterbewegung aus, vertiefte ihre Spaltung und behinderte den gemeinsamen Kampf gegen den aufkommenden Faschismus ebenso wie die Losung „Schlagt die Faschisten, wo Ihr sie trefft!“ Immerhin war die KPD in der Lage, in einem durchaus nicht einfachen und schmerzhaften Prozess solche schwerwiegenden Fehler zu erkennen und auch zu beseitigen, wogegen von einer Überwindung des nicht minder schädlichen und verhängnisvollen Antikommunismus durch die SPD bis heute keine Rede sein kann, ja, mit der einst von Kurt Schumacher in die Öffentlichkeit gebrachten verleumderischen und beleidigenden Behauptung von den „rotlackierten Faschisten“ noch in den 1990er Jahren dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) das Stichwort für die politische Hetzjagd auf alles Linke, damals in erster Linie die PDS, gegeben wurde. Viele Irrtümer, Fehler und Fehlleistungen der KPD vor 1933 und auch Ernst Thälmanns persönlich sind freilich nur aus den Verhältnissen der damaligen Zeit zu erklären und dazu zählen unter Regierungsverantwortung der SPD in der Weimarer Republik keineswegs Minderung, sondern Verschärfung von Not und Elend von Arbeitern in Industrie und Landwirtschaft, Kleinbauern, Handwerkern und Gewerbetreibenden. Dazu zählen der Bruch des Versprechens „Kinderspeisung statt Panzerkreuzerbau“, der Blutmai 1929 und die Maßregelung von Sozialdemokraten, die zum gemeinsamen Kampf von KPD und SPD gegen die faschistische Gefahr bereit waren. Nicht vergessen werden darf auch, dass gerade nach dem Scheitern der Novemberrevolution sowie angesichts von Not und Elend, vor allem in den Zeiten von Inflation und Weltwirtschaftskrise, die Sowjetunion für viele kommunistische Parteien das Vorbild schlechthin darstellte und so weitgehend unkritisch gesehen, Fehler, Entartungen, Gebrechen und auch Verbrechen entweder nicht zur Kenntnis genommen oder in voller Tragweite erkannt, allenfalls als vorübergehende, der wütenden Bekämpfung der Sowjetmacht durch das internationale Kapital geschuldete Erscheinungen gesehen wurden. Nichts desto trotz blieb Ernst Thälmann den Nazis auch im Zuchthaus ein gefährlicher Gegner, so gefährlich, dass sie weder der weltweiten Solidaritätsbewegung „Freiheit für Ernst Thälmann“ nachgaben, noch ihm den großangekündigten Prozess zu machen wagten. Die schwere Schlappe, die sie sich dank Georgi Dimitroffs mutiger Verteidigung mit dem Reichstagsbrand-Prozess eingehandelt hatten, steckte ihnen tief in den Knochen. Dass angesichts der äußerst scharfen Bewachung Versuche zur Befreiung aus dem Zuchthaus scheiterten, ist wohl nachvollziehbar, die Rolle der UdSSR und Josef Stalins persönlich, insbesondere nach dem Abschluss des Nichtangriffspaktes von 1939, ist es nicht. War es ein Ausdruck von Beschwichtigungstaktik gegenüber dem deutschen Faschismus, der Ernst Thälmann geopfert wurde, Angst vor einem Mann, der in Stalins Augen möglicherweise zu viel wusste, der zu eigenen Erkenntnissen fähig war, die dem „großen Steuermann“ am Ende gefährlich werden konnten? Oder war es einfach nur persönliches Desinteresse, menschliche Kälte? Man denke da an die Szene im Filmzyklus „Befreiung“, in der die Nazi-Führung den Austausch seines in Kriegsgefangenschaft geratenen Sohnes Jakow gegen einen deutschen General anbot und er ohne zu zögern und mehr beiläufig, aber sehr bestimmt antwortete „Ein einfacher Soldat gegen einen General? – Nein!“

Ernst Thälmann hat in vielem gefehlt – sein Leben und Wirken jedoch insgesamt galten einer Gesellschaft sozialer Gerechtigkeit, ohne Arbeitslosigkeit, Armut per Gesetz mit Kinder- und Altersarmut sowie Obdachlosigkeit, einer Gesellschaft ohne Profitgier und Krieg, einer Gesellschaft ohne Faschismus und Militarismus. Gerade im Kampf gegen alten und neuen Faschismus bleibt er eine Symbolfigur. Das aber ist aller Ehren wert und das kann ihm kein noch so hysterischer Antikommunist nehmen.


Hans-Joachim Weise