Die Blase sprengen

Mehr Demokratie durch losen? Bürger und Politiker diskutieren im Hausdacheröden über das Modellprojekt Bürgerrat. Die Idee reicht zurück bis zur Erfindung der Demokratie im antiken Griechenland und könnte den Mangel an Beteiligung aufheben.

Mit dem Bürgerrat Demokratie startet ein in Deutschland bisher einmaliges Modellprojekt, um Wege aus der Demokratiekrise zu finden. Per Zufall ausgewählte Bürger und Bürgerinnen sollen konkrete Vorschläge zur Stärkung der Demokratie erarbeiten. Aufgegriffen wird die Frage der von der Bundesregierung geplanten Expertenkommission zum Demokratieausbau, „ob und in welcher Form unsere bewährte parlamentarisch-repräsentative Demokratie durch weitere Elemente der Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie ergänzt werden kann.“ Vorbild für den Prozess sind die guten Erfahrungen mit per Los zusammengestellten Bürgerversammlungen in Irland.

 

Zur Vorbereitung des gelosten Bürgerrats fanden am 13. Juni Regionalkonferenzen in Schwerin und Erfurt statt, auf denen Politiker und Bürger gemeinsam diskutierten, woher die Unzufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie rührt und wo neue Lösungen nötig sind. Eröffnet wurde die Veranstaltung in Erfurt von Bodo Ramelow, Ministerpräsident Thüringens.

 

Erste Ergebnisse im November

 

Der Bürgerrat Demokratie findet in enger Anbindung an die Politik statt. Die Regierungsfraktionen, Mitglieder der Opposition und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble unterstützen das Vorhaben und werden die Ergebnisse im November 2019 entgegennehmen. „Gerade weil die wachsende Komplexität im rasanten gesellschaftlichen Wandel die repräsentative Demokratie noch wichtiger macht, sollten wir dafür sorgen, dass sie wieder für mehr Bürger interessant wird, sie sich wirklich vertreten fühlen“, schreibt Schäuble in einem Grußwort zum Bürgerrat.

 

Losverfahren schon in der griechischen Antike

 

Die Idee des Bürgerrates, Wissenschaftler wie Prof. Hubertus Buchstein, sprechen vor einer Loskammer (siehe hier), geht auf die auf die griechische Antike zurück. Im alten Athen wurden sogar zahlreiche politische Ämter und Verwaltungsposten gelost.  Erst mit der französischen Revolution geriet dieses Verfahren in Vergessenheit. 

 

 

Experiment bei Thüringer Gebietsreform 

 

In den letzten Jahren gab es weltweit eine Vielzahl von Versuchen mit dem Losverfahren. Die Erfahrungen sind, nicht nur in Irland, überwiegend sehr positiv. Auch in Thüringen gab es ein solches Experiment. 72 per Los bestimmte Menschen sollten sich Gedanken über die Gebietsreform machen. Die Thüringer Medien hat das leider nicht interessiert. Die bemerkenswerten Ergebnisse finden sie in einem umfassenden Bürgergutachten auf den Internetseiten des Innenministeriums. Link

 

Losverfahren hebt den Mangel an Beteiligung

 

Der belgische Publizist David van Reybrouck sieht ein solches Verfahren sogar als eine Art Retter für die Demokratie in Europa. Sein Vorschlag: einen europäischen Bürgerrat schaffen,  der 10 Vorschläge zur Verbesserung der Demokratie in der EU ausarbeiten soll (Lesen sie dazu auch. Diese könnten in einem Plebiszit zur Abstimmung gestellt werden. Jeder Bürger könnte sich für drei dieser Vorschläge entscheiden, die dann durch die EU-Institutionen verbindlich umgesetzt werden müssen. Und das ist nur eine denkbare Möglichkeit. 

„Das Losverfahren hebt den Mangel an Beteiligung auf“, findet auch Ralf-Uwe Beck, Sprecher von mehr Demokratie Thüringen. Mit dem Losverfahren könnten zudem die (Filter)Blasen, die alle Menschen um sich aufgebaut haben, gesprengt werden.