Der Abriss von Suhl-Nord – eine Kapitulation vor dem selbst Herbeidemonstrierten

Suhl ist seit 1990 eine Stadt im Verfall. Jetzt soll erstmals ein ganzes Neubauviertel abgerissen werden – ein weiterer trauriger Höhepunkt in der Nachwendegeschichte der einstigen Bezirksstadt.

Das ist wohl bislang einmalig in Thüringen – mit Suhl-Nord sollen nicht nur ein paar Neubaublöcke „zurückgebaut“, im Klartext: abgerissen, sondern gleich ein ganzes Stadtviertel dem Erdboden gleichgemacht werden. „Wir haben aufgehört, uns die Augen zu verkleistern.“, rechtfertigte das der parteilose Oberbürgermeister Jens Triebel in einem Gespräch, das „Neues Deutschland“ am 11. Mai veröffentlichte. Das ist eine an sich lobenswerte Erkenntnis, doch 1990 waren ja die Suhler Stadtoberen mit seinem Amtsvorgänger Dr. Kummer (CDU) an der Spitze mit Begeisterung dabei und ließen sich durch nichts und von niemandem abhalten, sich die eigenen Augen zu verkleistern. Bereits damals wurde dafür gesorgt, dass die Bezirkshauptstadt zu einem unbedeutenden Provinznest herabsank: Da „privatisierte“ die sogenannte „Treuhandanstalt“ widerstandslos das Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk als dem größten Betrieb in der Stadt so lange, bis der einst bedeutende Fahrzeugbau eingestellt wurde. Ähnlich war es mit anderen Unternehmen. Die Folgen sind überall die gleichen: Menschen im arbeitsfähigen Alter ziehen dahin, wo sie noch Arbeit bekommen, wer bleibt, sind am Ende vor allem die Rentner. Da muss sich niemand über den Leerstand in Suhl-Nord wundern. Die Bauarbeiten an der in den Stadtteil führen sollenden O-Bus-Linie wurden damals trotz gegenteiliger Empfehlung renommierter Fachleute eingestellt, was ein einstiger „Bürgerbewegter“ 1992 in einem Pressebeitrag nicht nur bejubelte, sondern das Projekt auch noch als bloßes „SED-Prestigeobjekt“ diffamierte. Ebenso hat sich die Stadt damals vom bundesdeutschen Immobilienhai Hillebrandt über den Tisch ziehen lassen – für „'nen Appel und 'n Ei“ wurden ihm Gebäude wie die Stadthalle der Freundschaft und das Wohnhochhaus am Viadukt geschenkt und andererseits mit diesem Herrn so ungünstige Verträge unterzeichnet, dass sich Suhl auf Jahrzehnte hinaus hoch verschuldete. Die Stadthalle musste dem viel zu großen Congress-Centrum Suhl (CCS) weichen, zu dessen Auslastung wiederum das schnell in „Haus der Philharmonie“ umbenannte Kulturhaus „7. Oktober“ aufgegeben wurde. Heute steht nur noch die markante Eingangsseite, das übrige wurde für den Umbau zum „Haus der Wirtschaft“ abgerissen. Die in der DDR gegründete Suhler Philharmonie wurde aus Geldmangel erst mit der Gothaer im wahrsten Sinne des Wortes zwangsvereinigt, dann gänzlich abgewickelt, weil die Stadt ihren finanziellen Anteil nicht mehr aufbringen konnte.

Das Vorhaben, Suhl zu einem südthüringer Einkaufszentrum zu entwickeln, wofür unter anderem die denkmalgeschützte Metallverkleidung des Centrum-Warenhauses und die einst vom Künstler Waldo Dörsch geschaffene Wendeltreppe rücksichtslos abgerissen wurden, musste zwangsläufig Wunschtraum bleiben: Wer in der Stadt oder ihrem Umland wohnt und keine Arbeit hat, dem fehlt auch das Geld für Großeinkäufe. Was also jetzt mit Suhl-Nord geschieht, ist nur noch die ohnmächtige Kapitulation vor den Folgen des damaligen Augenverkleisterns. Es ist gleichzeitig die Kapitulation vor den Folgen dessen, was 1989 erst unter dem Schlagwort „Erneuerung“ und dann unter dem der „Demokratie“ herbeidemonstriert wurde, doch in jedem Jahr mit der Endziffer 9 wie auch in jedem mit der Endziffer 4 lassen sich selbsternannte „Bürgerbewegte“ und „geläuterte“ einstige Blockpolitiker in der regionalen Presse für ihren rigorosen Antikommunismus loben, anstatt selbstkritisch darüber nachzudenken, dass sie damit eine durchaus notwendig gewesene politische Wende in die Richtung getrieben haben, die unweigerlich zum Absturz in den Kapitalismus im Allgemeinen und zum Verlust der Bedeutung Suhls im Besonderen führen musste.

Foto und Text: Hans-Joachim Weise