Das politische Kunstfest

Reenactment zu 100 Jahre Weimarer Verfassung mit streitbarer Politik und Kultur zum Anfassen für alle.

 

Als Nike Wagner, eine Urenkelin Richard Wagners, das Weimarer Kunstfest leitete, galt es vielen Normalbürgern als elitär und abgehoben. Ein Wandel hin zu Kontexten, die größere Teile der Bevölkerung interessieren, war erstmals 2017 zu spüren, als für viele überraschend, 100 Jahre Oktoberevolution thematisiert wurde. Mit dem neuen künstlerischen Leiter Rolf C. Hemke, wird das Kunstfest noch deutlich politischer. Sogar das Zentrum für politische Schönheit ist mit einem Gedenkabend zum Holocaust in Weimar am 30. August zu Gast.

 

Die neue Ausrichtung scheint bestens zu funktionieren. Rappelvoll war der Theaterplatz am 21. August zum „Reichstag-Reenactment“ – einer Polit-Inszenierung für alle zum Anfassen und Mitmachen. Es solle gerade auch um streitbare Politik gehen, betonte Hemke vor der Inszenierung. Nach der Nachstellung des historischen Fotos ging es bei freien Eintritt im DNT weiter. 

 

Neben musikalischen Beiträgen, darunter das Lied vom Kompromiss (Tucholsky/Eisler) und viel Brecht, wurde die Geschichte der Weimarer Nationalversammlung mit historischen Reden nachgestellt. Als – wie vor 100 Jahre auch – durch den frisch gewählten SPD-Reichspräsidenten Friedrich Ebert besonders die Frauen begrüßt wurden, die „erstmals gleichberechtigt erscheinen“, jubelte das Publikum. Auch Gregor Gysi, der mit Luise Zietz (USPD) eine der 37 Parlamentarierinnen darstellte, bekam viel Applaus. 

 

Fast schon leid tun, mussten einem alle jene, die Reden von Politikern der reaktionären Deutsch Nationalen Volkspartei (DNVP) wiedergaben. Sie wurden bei ihren rassistischen Ausführungen u.a. über die Kolonien von vielen gnadenlos ausgebuht. 

 

Viel Beifall bekam Weimars konservativer aber parteiloser OB Peter Kleine. Er betonte im Kontext der neuen schwarz-rot-goldenen Farben von „Weimar“, AfD, Pegida und Co. seien nicht die Hüter der Vaterlandsliebe, sondern des Hasses. Bei einigen löste der Jubel aber auch leichtes Kopfschütteln aus. Vielen gilt er als gnadenloser Opportunist, der sich u.a. weigert die Erklärung zu unterzeichnen, die Weimar zum „sicheren Hafen“ für Geflüchtete machen soll. Aber letztlich ist das ja genau die streitbare Politik, die Hemke zuvor eingefordert hatte. Und Kleine ist gewiss kein Höcke. 

 

Trotz so viel Drama und Ernsthaftigkeit kam auch der Humor nicht zu kurz. Bezugnehmend auf das vom damaligen US-Präsidenten Woodrow Willson proklamiere Selbstbestimmungsrecht aller Völker scherzte Bodo Ramelow, man müsse heute schon froh sein, wenn ein US-Präsident Grönland nur kaufen will. Der Ministerpräsident blühte in seiner Rolle als Reichskanzler Gustav Bauer (SPD) regelrecht auf, während andere wie Finanzministerin Heike Taubert dagegen steif und bieder wirkten.

 

Für große Heiterkeit sorgte auch eine nachgestellte Debatte über die Biersteuer mit Reichstagsabgeordneten aus dem tiefen Süden, dem hohen Norden und Finanzminister Matthias Erzberger. Vor 1919 kam die Biersteuer Bayern oder Badenern direkt zu gute – in „Weimar“ der gesamten Republik. Das hatte Erzberger durchgesetzt. Es war aber gewiss nicht der entscheidende Grund, warum er nur kurze Zeitz später von Rechtsradikalen ermordet wurde. 

 

Perspektive durch Retrospektive, frischer Wind und am Puls der Zeit. Es lässt sich viel Gutes sagen über den Auftakt des Kunstfestes. Kunst muss in Schulen diskutiert und verstandenen werden und nicht allein in bourgeoisen Salons, forderten vor 100 Jahren Dadaisten wie Georg Grosz oder die Herzfelde-Brüder. Vielleicht ist das ein möglicher Ansatz für das Kunstfest im nächsten Jahr? Oder gar einer, der auch ein paar Kilometer weiter westlich ins Repertoire aufgenommen werden könnte?                

 th