§219a – Das Gesetz gegen die Selbstbestimmung

In einer Lesung erzählt die Ärztin Kristina Hänel von ihren Erfahrungen mit Schwangerschaftsabbrüchen und die politische Dimension.

Kristina Hänel (mit Megaphon) auf einer Kundegbung.

Foto: www.flickr.com/photos/gruene-bundestag CC BY 2.0

 

Von Thilo Manemann

 

Einmal im Jahr zum „Marsch fürs Leben“ versammeln sich in Berlin sogenannte „Lebensschützer“. Auch dieses Jahr. Am 21.09. zogen sie mit Kreuzen stillschweigend durch Berlin, hielten Schilder hoch und forderten vor dem Bundestag ein allumfassendes Abtreibungsverbot. Die Aktion war gut koordiniert. Die Kreuze und die Schilder wurden vor der Demonstration an die Anwesenden verteilt. Danach wieder eingesammelt. Dahinter stecken Vertreter*innen der Kirche, aber auch CDU-Politiker*innen und Akteur*innen der extremen Rechten, wie die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch. Um die Veranstaltung waren immer wieder vereinzelte Nazigruppen anzutreffen.

Mehreren Aktivist*innen des What the fuck-Bündnisses gelangen Blockaden und ihr Protest gegen den Aufmarsch war über die Stadt lautstark verteilt. Auf der Route hingen Kleiderbügeln mit Botschaften. Sie sind ein Symbol der Pro-Choice Bewegung. Eine Bewegung, die sich für die Selbstbestimmung der Schwangeren und demzufolge legale Schwangerschaftsabbrüche ausspricht. Mit den Kleiderbügeln spielen sie auf die Zeiten an, in denen Abbrüche illegal waren und die Schwangeren sogenannte „Engelsmacher*innen“ aufsuchen mussten. Dies waren Menschen, die oft ohne ärztliche Ausbildung zu einem hohen Preis Abbrüche durchgeführt haben. Viele dieser Abbrüche verliefen nicht ohne Komplikationen oder endeten tödlich.

 

Der Schwangerschaftsabbruch wird nach §218 immer noch kriminalisiert. Trotz des Verbotes bleibt der Abbruch jedoch unter strengen Auflagen straffrei und er muss von medizinisch ausgebildetem Personal durchgeführt werden. Doch bis hierhin war es ein langer Weg.

 

Von diesen Erfahrungen sprach am 23.09 im Cafe Franz Mehlhose in Erfurt die Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel. 

 

Die „Causa Hänel“ als Symbol des Widerstandes

 

Die „Causa Hänel“ erlangte in den letzten Jahren deutschlandweite Berühmtheit. Die Ärztin wurde 2017 angeklagt, weil sie vermeintlich gegen das Werbungsverbot für Schwangerschaftsabbrüche verstoßen habe. Im Herbst 2018 wurde sie dafür verurteilt. Das Urteil wurde vom Oberlandesgericht gekippt und zum Landgericht Gießen zurückgeleitet.

 

In ihrem Buch „Das Politische ist persönlich. Tagebuch einer ‚Abtreibungsärztin‘ “ erzählt sie von ihren Erfahrungen: Dem Schwangerschaftsabbruch, dem sozial geächteten Eingriff. Sie erzählt von einer geflüchteten syrischen Frau, die zu ihr kam. Ihr wurde im Krankenhaus geraten, zum Schwangerschaftsabbruch nach Polen oder Holland zu fahren, obwohl die Zeit für einen legalen Abbruch in Deutschland noch nicht verstrichen war. Von ihren Konfrontationen mit sogenannten „Lebensschützern“, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, sie und andere Ärzt*innen aufgrund des §219a zu verklagen. Und auch von der fehlenden Logik dieses Paragraphen. 

§219a regelt das Werbeverbot für Abbrüche. Langezeit war unklar, was mit Werbung gemeint sei und daher gab sie dem Gericht die Möglichkeit, einen Ermessenspielraum anzuwenden, sodass die Angeklagten meistens freigesprochen wurden.

 

Die Angst vor den Abtreibungsgegner*innen zeigt sich im Fortbestehen des §219a

 

Im März diesen Jahres wurde der Paragraph von der Bundesregierung überarbeitet. Zum einen erlaubt er nun Ärzt*innen auf die Tatsache, dass sie Abbrüche durchführen, hinzuweisen. Zum anderen wurde er maßgeblich verschärft, indem die Werbung klar definiert wurde. Werbung ist demnach bereits die Informationsvermittlung über einen Abbruch, die den Schwangeren eigentlich zusteht. Ein gefundenes Fressen für religiöse Fundamentalist*innen, die routiniert Klagen einreichen. Schon die Information „mit Narkose“ bzw. „narkosefrei“ brachte zwei Ärztinnen in Hamburg vor Gericht. 

 

Geht es nach Kristina Hänel und Luc Jochimsen, die als Gästin bei der anschließenden Diskussion geladen war, ist dieser Paragraph überflüssig. Zum einen, weil Ärzt*innen im Allgemeinen für ihre Leistungen nicht werben dürfen. Sie würden dadurch ihre Approbation verlieren. Zum anderen, weil die Informationen den Schwangeren zur Verfügung gestellt werden müssten.

Kristina Hänel hat einen Link auf ihrer Website – wahlweise in deutsch, englisch oder türkisch. Das zweiseitige PDF-Dokument klärt die Patient*innen über die gesetzlichen Voraussetzungen und die unterschiedlichen Verfahren zur Durchführung auf. Es sind die modernsten Methoden mit dem geringsten Risiko.

Aber dies ist nicht selbstverständlich. Hänel macht auch den Gesetzgeber dafür verantwortlich, der seinen Pflichten von der stationären und ambulanten medizinischen Hilfe nicht nachkommt. Es könne nicht sein, dass Schwangere für einen Abbruch anderthalb Stunden zum nächsten Arzt fahren müssten, der veraltete Methoden anwendet. Sie erzählt von einer Frau, die ihr einen Brief schrieb. Diese beschreibt, wie ihr keine medizinische Einrichtung habe helfen wollen. Den einzigen Arzt, den sich nach langem Suchen gefunden habe, sei weit entfernt gewesen. Es war die Praxis eines Schönheitschirurgs. Zudem habe sich dieser darüber beschwert, dass Frauen nur kommen würden, wenn sie keine Ahnung von Verhütung hätten. Eine fadenscheinige Anklage, da keine Verhütungsmethode eine absolute Sicherheit entspricht. Ein Argument, dass Männern* zur eindeutigen Schuldzuweisung dient und die schwangere Person zu Unrecht zur Rechtfertigung drängt. 

 

Unzureichende Listen und Informationen zu Abbrüchen

 

Auf der Seite der Bundesärztekammer findet sich eine Liste. Darin finden sich 216 medizinische Einrichtungen, die Abbrüche durchführen. Die Aufnahme in die Liste ist freiwillig und in höchstem Maße unvollständig. Für Thüringen gibt es dort lediglich sieben Einträge. Dort ist auch ein weiterführender Link zu Informationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Nicht gerade übersichtlich und fehlende Erfahrungsberichte. 

 

Nach Hänels Einschätzung wird diese Liste auch in Zukunft nicht vollständig werden, da die meisten Ärzt*innen Angst vor den sogenannten „Lebensschützern“ haben, die ihnen mit einer Klage nach §219a drohen. Noch verstörender: Wer nicht in der Liste der Bundesärztekammer steht, hat eine größere Chance bei den Seiten der Abtreibungsgegner*innen. Sie haben detailliertere Listen und werden auch von Schwangeren genutzt, die aus Mangel an neutralen Informationsportalen nach Ärzt*innen suchen. Unter diese Seiten fällt auch Babycaust. Zu sehen sind Bewegtbilder von denen Blut tropft und die dramatisch in Szene gesetzt sind. Der Holocaust wird relativiert und die Abbrüche als noch gravierender hingestellt. Eine perfide Propagandamaschine, die wirkt. Sie stachelt die soziale Ächtung an.

 

Kampf um legale Schwangerschaftsabbrüche ist ein langjähriger Kampf

 

Auch Luc Jochimsen kennt die gesellschaftliche Debatte, die sich lange Zeit nicht geändert habe. Sie kämpfte in den 70er Jahren bereits für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche und erinnerte an die Stern-Ausgabe 1971, in der 374 Frauen* der Öffentlichkeit sagten: „Wir haben abgetrieben.“ Diese Titelseite brachte die öffentliche Debatte im ehemaligen Westen ins Rollen und war symboltragend für die deutsche Frauen*bewegung.

Doch es war nicht die alte Bundesrepublik, die die Abbrüche in Teilen straffrei ermöglichte. Es waren die Gesetze der DDR, die in den Einigungsvertrag eingeflochten wurden. Denn in der DDR war es Schwangeren seit 1972 erlaubt, 12 Wochen nach Beginn einer Schwangerschaft diese abzubrechen. Nach vielen Protesten der Frauen*bewegung gegen ein Abtreibungsverbot in Westdeutschland und unter gegensätzlichem Druck der CDU/CSU-Fraktion, der zu weiteren Beschränkungen führte, entstand die heutige gesetzliche Regelung. 

 

„Justizschizophrenie“ spiegelt den Druck auf die Schwangeren wieder

 

„Von Halbgöttern in weiß, den Ärzten, in rot, den Richtern, und schwarz, den Priestern, war die Frau umstellt“, erinnert sich Jochimsen. Es sei ein uraltes Thema, das jetzt einen Wandel durchlebe, indem Ärzt*innen vom Kurs abkämen. Was oft vergessen werde: Es gehe hier um nichts anderes als die Selbstbestimmung der Schwangeren. Sie werden durch gesetzliche Regelungen entmündigt, denn es wird ihnen vorschrieben, wie sie mit ihrem Körper zu verfahren haben. 

Viele Ärzt*innen haben das erkannt und verzeichnen nun einen Kurswandel. Wie das mit den Richter*innen aussieht, zeigt die Zukunft. Das Urteil von Kristina Hänel begründete die Richterin mit einem alten Argument der Abtreibungsgegner*innen. Die Frau wisse durch die Hormonschwankungen nicht, was sie wirklich wolle. Man müsse sie vor sich selbst schützen. Ein altes patriarchales Argument, das Männern Macht über Frauen ermöglicht und sie zusätzlich entmündigt. 

 

Das Landgericht Gießen wird nun eine weitere Chance bekommen und zeigen können, ob es dem Kurs treu bleiben wird oder der Selbstbestimmung der Schwangeren Vorrang einräumt. Es sei ein Ohnmachtsgefühl sagen viele. „Die Frau stirbt nicht am Abbruch, sondern an den Gesetzen“, sagt Kristina Hänel zum Abschluss der Veranstaltung. Luc Jochimsen ist optimistisch. Es gäbe „genug Leute, die genug Wut haben“. Vermutlich wird der Fall bei einer erneuten Verurteilung vor dem Bundesverfassungsgericht landen und die Chancen stehen gut, dass sich dieses am Ende für eine Selbstbestimmung des schwangeren Menschen ausspricht.