Vor- oder nachdenken?
Auch vorm Brexit und vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen hieß es: Denkt doch mal nach! Das haben die Leute auch jedes Mal brav gemacht – sie haben danach gedacht. Also kein Wunder, dass mit so einem Ansatz solche Ergebnisse rauskommen. Ein kleine Glosse zur Bundestagswahl.
Von Anja Zimmermann
Es ist der Montagmorgen nach der Bundestagswahl und ich wache etwas verkatert auf dem Sofa in der Küche auf.
Ich checke mein Smartphone, nicht ganz sicher, ob das gestern Abend wirklich alles so abgelaufen ist. Oder ob das alles nur ein alkoholinduzierter Alptraum war? In der Hängematte regt sich das Känguru. Es sieht so scheiße aus wie ich mich fühle, und sagt:
„Du brauchst gar nicht erst WhatsApp, Facebook, Twitter, instagram und jibber und jabber checken, es ist alles wahr, woran du dich erinnerst. Die AfD hat knapp 13 Prozent bei der Wahl abgesahnt.“
Beim Gedanken an Sahne und die AfD wird mir schlecht, noch schlechter als ohnehin schon. „Du wirkst überraschend gefasst. Bist du gar nicht schockiert?“, frage ich. „Nee, warum sollte ich schockiert sein?“, erwidert das Känguru.
„Da liegt doch ein gravierender Fehler vor. Immer wenn man versucht, mit AfD-Anhängern zu diskutieren, sagt man ihnen, dass sie nachdenken sollen. Auch vorm Brexit und vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen hieß es: Denkt doch mal nach! Das haben die Leute auch jedes Mal brav gemacht – sie haben danach gedacht. Also kein Wunder, dass mit so einem Ansatz solche Ergebnisse rauskommen. Vor den nächsten Wahlen sollte man die Menschen ermutigen mehr wie Prometheus zu sein und nicht wie Epimetheus. Der Nachherdenkende. Oder wie man heute sagen würde: kognitiv einfach Vordenken, statt Nachdenken“.
Ich überlege kurz. „Du meinst also, dass das Wahlergebnis aufgrund einer Fehlinterpretation der deutschen Sprache zustande gekommen ist? Und dass die Leute nicht mehr nachdenken sollen?“. Mit zusamemgekniffenen Augen schaue ich das Beuteltier an.
„Das hab ich doch gerade gesagt. Hast du nicht zugehört? Du brauchst erstmal einen Kaffee“, motzt das Känguru und reicht mir eine FDP-Tasse mit Lindner- Konterfei. Natürlich in schwarz-weiß.
„Sag mal, kann es sein, dass du gestern nicht nur auf der Wahlparty der LINKEN warst“, frage ich mit Blick auf den sexy Posterboy auf der Tasse. „Na ja, ich wollte mal gucken, wie die Stimmung bei den anderen so ist. Also habe ich überall mal vorbei geschaut, außer bei der SPD. Die kamen ja zu uns.“
„Aber auch nur, weil bei denen der Schnaps so schnell alle war“, werfe ich ein.
„Wundert dich das, bei dem Ergebnis“, entgegnet das Beuteltier.
„Nö. Und, hast du von denen auch was? Liegt hier irgendwo ein Teller mit einem lächelnden Martin Schulz drauf“, ich schaue mich suchend im Küchenchaos um.
„Eigentlich wollte erst ich denen was schenken. Aber dann haben sie mir das hier gegeben.“ Es reicht mir eine kleine Modelleisenbahn mit einem Schulz-Sticker auf der Lok. „Als Erinnerung an den Wahlkampf. Niedlich. Oder?“ Das Känguru lächelt mitlächelnd.
„Schon. Und was gibt es noch in deiner Wundertüte?“
„Beutel“, korrigiert mich das Känguru und zieht aus selbigen einen roten „Mundpropaganda-Lutscher der LINKEN eine Bobblehead-Merkel, ein kleines Windrad der Grünen und schließlich einen Boxhandschuh. „Okay, der Boxhandschuh ist doch deiner. Der gehört nicht zu deiner Partei-Gimmick-Sammlung.“
„Doch“, erwidert das Känguru. „Ich war ganz zum Schluss noch bei den Nasen von der AfD.“ „Echt? Die haben dich doch nicht wirklich reingelassen ...“, ungläubig schüttele ich den Kopf.
„Ich musste gar nicht rein. Und erinnerst du dich nicht an die Regeln meines Boxclubs?“, das Känguru grinst. „Ach“, ich grinse auch, „Nazis muss man boxen ...“ Bestätigend nickt das Känguru mit dem Kopf. Es stupst die Bobblehead-Merkel an und sie nickt mit.