Vor 25 Jahren: „Treuhänderische“ Zerschlagung einer ganzen Volkswirtschaft

Etwas „zu treuen Händen geben“ heißt, dem, der das „zu treuen Händen nimmt“, in einem solchen Maße zu vertrauen, dass dem Geber aus solcher Überlassungshandlung keine Nachteile entstehen, wenn er seine Interessen nicht selbst wahrnehmen kann. Was aber jene vor 25 Jahren geschaffene „Treuhandanstalt“ vollbracht hat, war das ganze Gegenteil davon.

Etwas „zu treuen Händen geben“ heißt, dem, der das „zu treuen Händen nimmt“, in einem solchen Maße zu vertrauen, dass dem Geber aus solcher Überlassungshandlung keine Nachteile entstehen, wenn er seine Interessen nicht selbst wahrnehmen kann. Was aber jene vor 25 Jahren geschaffene „Treuhandanstalt“ vollbracht hat, war das ganze Gegenteil davon, bestand doch ihr „Werk“ in einem gigantischen Raub des volkseigenen Vermögens der DDR, das niemand anderem als ihren Bürgerinnen und Bürgern gehörte. Statt dessen Nutznießung erlebten sie eine eiskalte Enteignung durch eine von Betrügern geführte Einrichtung. Was diese „Treuhandanstalt“ zuwege brachte, war ein großangelegter Volksbetrug zum Nachteil der Bürgerinnen und Bürger der DDR. Ohne das von lautem Geschrei wie „In Bautzen sind noch Zellen frei für die Verbrecher der Partei!“, „Hängt sie auf!“ sowie „Alle SED-Mitglieder an die Wand!“ und damit blindwütigem Antikommunismus geprägte Wirken jener selbsternannten „Bürgerrechtler“ und „Bürgerbewegten“ freilich hätte es jene „Treuhandanstalt“ gar nicht gegeben. Die Voraussetzungen für ihre Schaffung waren in jenem von antikommunistischer Hysterie geprägten Herbst des verhängnisvollen Jahres 1989 erst herbeidemonstriert worden.

Etlichen dieser selbsternannten „Bürgerrechtler“ und „Bürgerbewegten“ war es zu Beginn des Jahres 1990 nun plötzlich wie Schuppen von den Augen gefallen, welche Gefahren den Bürgerinnen und Bürgern drohten, nachdem sie die Regierung mittels andauerndem Druck an der Erarbeitung eines tragfähigen Wirtschaftskonzeptes und der Beseitigung des durch Streiks und Demonstrationen angerichteten wüsten Durcheinanders gehindert und die DDR obendrein schon abgeschrieben hatten. So versuchten sie in ihrer Angst vor der Verantwortung verzweifelt zu retten, was zu retten war, obwohl sie mit ihrer Idee von einer „Treuhandanstalt“ den brutalen Zugriff des bundesdeutschen Kapitals auch nicht verhindern konnten: Die deshalb von der Regierung Modrow am 1. März 1990 zur Verwaltung des Vermögens der volkseigenen Betriebe geschaffene Treuhandanstalt wurde nach dem 18. März von de Maiziéres Marionettenregierung unter bewusster Missachtung und Verletzung von Völkerrecht und staatlicher Souveränität, darunter des Grundlagenvertrages, mit von der DDR hochbezahlten Kräften aus der BRD besetzt und zu einer Einrichtung zur Vernichtung des Volkseigentums umfunktioniert. Diese von Bonn angeordnete bedingungslose und vor allem überstürzte Privatisierung erwies sich sehr schnell als völlig unmöglich, wenn nicht verheerende Folgen in Kauf genommen werden sollten. Da Kohl jedoch ohne Rücksicht auf Verluste darauf beharrte und jedem Wirtschaftsfachmann die Hölle heißmachte, der es wagte, seinem Kurs aus rein sachlichen Gründen zu widersprechen, trat deren erster bundesdeutsche „Präsident“, der am 16. Juli „berufene“ einstige Bundesbahn-Präsident Rainer Maria Gohlke, schon am 20. August zurück. Es gab also in der BRD durchaus Spitzenleute in Wirtschaft und Politik, die noch Weitsicht und soviel Anstand besaßen, eine dermaßen katastrophale Politik wie die von Kohl betriebene nicht mitzutragen. Nachdem auch Gohlkes Nachfolger Detlev Karsten Rowedder noch relativ unvoreingenommen und sachlich weit über 60 % der Industriebetriebe, nach bundesdeutschen Maßstäben, wohlgemerkt, als produktiv und weitere rund 25 % als sanierungsfähig beurteilt hatte, wurde er ganz plötzlich Opfer eines bezeichnenderweise nie aufgeklärten Mordanschlages, infolgedessen Birgit Breuel, einst glücklose Wirtschaftsministerin des BRD-Bundeslandes Niedersachsen, als seine „Nachfolgerin“ eingesetzt wurde. Ganz eindeutig hatte Rowedders sachliche Analyse der herrschenden Bonner Politik genauso wenig in den Kram gepasst wie eine von der CDU in Auftrag gegebene Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Als nämlich auch diese die regierungsamtliche Behauptung von der angeblich „maroden DDR-Wirtschaft“ widerlegte, wurden ihr sofort die finanziellen Mittel gesperrt und das renommierte Institut damit zum Abbruch der Arbeiten gezwungen. Es durfte nicht wahr sein, was auch 20 Jahre später die Internet-Enzyklopädie „wikia“ bestätigen sollte: „Die DDR versuchte als Industrieland auf vielen industriellen und technischen Gebieten eine Autarkie zu erreichen und ihre technischen Aufgaben im Rahmen des RGW und der 'sozialistischen Integration' zu erfüllen. Eine wesentliche Rolle sollten dabei Wissenschaftler und Techniker der DDR spielen. Auf einigen Gebieten waren erhebliche Erfolge zu verzeichnen; auch in wenig geförderten Bereichen wie der Automobilindustrie und der Unterhaltungselektronik war die DDR-Produktion vielfältiger und quantitativ umfangreicher als z.B. in Österreich, Spanien, Irland, Portugal und der Schweiz. Die Forschung und Wissenschaft in der DDR war erheblich anwendungsorientiert und praxisbezogen.“ Aus der BRD importierte hochrangige Mitarbeiter jener „Treuhandanstalt“ verramschten und verschleuderten nun für Tagesgehälter (!) von 3.000 DM das volkseigene Vermögen. Viele von ihnen waren dabei in zahlreiche Schmiergeld- und Betrugsskandale verwickelt. Bezeichnend dafür war neben anderen der Fall des in Magdeburg „tätigen“ Managers Andreas Grünbaum, der mit Wissen seines Chefs Helmut Freudemann in der Bezirkshauptstadt nicht nur private Firmen unterhielt, sondern seine Geschäftspartner unter eiskalter Ausnutzung seiner Stellung bevorzugte und diesen dabei zahlreiche lukrative „Schnäppchen“ ermöglichte. Wie Aussagen der von ihm geprellten anderen Bewerber, so des Braunschweiger Unternehmers Hans Schmidt, ergaben, hatte dieser „Aufbauhelfer“ und „Unternehmensberater“ Betriebe und Einrichtungen wie die Magdeburger Gaststätte „Blitzgastronom“ für sogenannte „symbolische“ Beträge an seine Kunden, hier ein Münchner Unternehmen, verhökert und dabei überdies erhebliche Summen an Bestechungs- und Schmiergeldern für die eigene Tasche kassiert. Der von jener „Treuhandanstalt“ im VEB Berliner Wärmeanlagenbau „Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ eingesetzte Manager Michael Rottmann, zuvor ein kleiner Prokurist des bundesdeutschen 

Kraftwerksanlagenbauers „Deutsche Babcock AG“, musste wegen Betruges zu 3 Jahren und 9 Monaten Gefängnis verurteilt werden, nachdem er den Betrieb nicht nur mit Hilfe eines internationalen Firmengeflechts systematisch in die Pleite getrieben, sondern 1991 und 1992 auch um einen Betrag von umgerechnet 50 Millionen Euro geschädigt hatte, von denen 20 Millionen in die eigene Tasche gewandert waren. Zuvor hatte er die Kaufabsichten seines Unternehmens mit einem falschen Gutachten durchkreuzt gehabt: Nachdem bereits die „Treuhand“ mit der „Umwandlung“ in eine „GmbH“ das Barvermögen von 153 Millionen D-Mark, Forderungen von insgesamt 700 Millionen D-Mark sowie den beträchtlichen Wert der Immobilien in ein „Stammkapital“ von geradezu lächerlichen vier Millionen D-Mark umgefälscht hatte, wurde der Betrieb von diesem Herrn Rottmann gegenüber der „Deutschen Babcock AG“ als „marodes, heruntergewirtschaftetes Unternehmen“ hingestellt. Nach deren so ergaunertem Verzicht riss er sich den Wärmeanlagenbau mit Hilfe seiner in der Schweiz gegründeten Scheinfirma „Chematec“ und falschen Bankauszügen zum Schnäppchenpreis von zwei Millionen D-Mark unter den Nagel und schlachtete den Betrieb systematisch aus, wogegen die Beschäftigten zunächst mit schönen Worten hingehalten und dann allesamt entlassen wurden. Das Urteil konnte nicht vor dem Dezember 2009 (!) gesprochen werden, da sich der Mann mit dem ergaunerten Geld nicht nur die Flucht, sondern auch ein aufwendiges Leben im Ausland leisten und erst im Jahre 2000 in Großbritannien gefasst werden konnte. Eine Kaution von umgerechnet 100.000 Euro samt Einschaltung windiger Rechtsanwälte brachte ihm einen Aufschub seiner Auslieferung bis zum Juli 2009. Zu allem Überfluss wurde das Urteil gegen den Wirtschaftsverbrecher Rottmann durch den Bundesgerichtshof am 28. Oktober 2010 mit der Begründung, die Untreue-Vorwürfe seien „verjährt“, aufgehoben und das Verfahren eingestellt. Und das sind nur einige wenige von ungezählten weiteren Fällen, bei denen überdies auf Grund der von vornherein gewollten Zerschlagung der Wirtschaft der DDR seitens des bundesdeutschen Staates auch keinerlei Interesse an einer Strafverfolgung besteht!

Zu einem der schlimmsten und in der Öffentlichkeit aufsehenerregendsten Fälle wurde die als „Fusion“ getarnte Zerschlagung der Thüringer Kali-Industrie zugunsten des in erheblichen Zahlungsschwierigkeiten befindlichen bundesdeutschen Konzerns Kali + Salz: Mit dem geheim-gehaltenen „Fusionsvertrag“ schanzte die Breuelsche „Treuhandanstalt“ K + S das Kapital des aus dem Kali-Kombinat Sondershausen zusammengezimmerten Unternehmens MDK zu und verfügte die Schließung der nordthüringischen Gruben, darunter des bestes Salz liefernden Werkes Bischofferode. Als Antwort traten die vordem als Katholiken brav CDU und damit ihre eigene Totengräberin gewählt habenden Kali-Kumpel untertage in den Hungerstreik. Die auf viel Sympathie und Solidarität der Bevölkerung gestoßene und von Spitzenpolitikern der PDS, so Gregor Gysi, auch durch persönliche Teilnahme unterstützte Aktion musste am Ende abgebrochen werden. Frau Breuels „Treuhandanstalt“ zeigte ihre ganze eiskalte Menschenverachtung und es ist keineswegs bloße Spekulation, dass sie auch Todesopfer zynisch in Kauf genommen hätte. Eine besonders schäbige Rolle spielte hier die CDU-geführte Landesregierung unter dem nach dem raschen Abgang des glücklosen gewendeten Abteilungsleiters Wohnungspolitik im Rat des Kreises Gotha, Josef Duchač, als Nachfolger importierten ehemaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel. Während er die um ihre Arbeitsplätze kämpfenden Kali-Kumpel mit schönen Worten und leeren Versprechungen hinhielt, ließ er dem im „Fusionsvertrag“ besiegelten Verhängnis eiskalt seinen Lauf. Noch 20 Jahre später sollte er zynisch behaupten, dessen Inhalt sie ihm nie bekannt gewesen. Dabei hatte schon 1992 während einer von „Unsere Neue Zeitung“ Erfurt organisierten Leserreise ein Trierer Winzer gesagt, was von diesem Ministerpräsidenten zu halten war: „Wir sind froh, dass wir ihn los sind und wir bedauern Euch, weil Ihr ihn bekommen habt.“

Auch für all diese Prozesse war bezeichnend, dass die sogenannten „Bürgerrechtler“, die während der Regierung Modrow keine Gelegenheit zu Protestdemonstrationen und Streikdrohungen ausgelassen hatten, unter der Marionettenregierung de Maiziére schlagartig ruhig geworden waren. Das ließ einmal mehr ihren Charakter als „Fünfte Kolonne“, die die Festung von innen „sturmreif“ schießen sollte, deutlich werden. Aus einem wertmäßig mit 1,4 Billionen DM bezifferten Volksvermögen sollte so unter der gnadenlosen Herrschaft der neoliberalen „Präsidentin“ jener „Treuhandanstalt“ am Ende ein Schuldenberg von über 270 Milliarden DM werden! Überflüssig zu erwähnen, dass angesichts dessen alle der ohnehin nicht ernstgemeinten Versprechen über eine „mögliche“ Ausgabe von „Anteilscheinen“ zum volkseigenen Vermögen an die Bürgerinnen und Bürger der DDR wie Seifenblasen platzten. Frau Breuel hatte nicht nur bewiesen, dass allein der Name „Treuhandanstalt“ eine faustdicke Lüge war, sie hatte mittels dieser Einrichtung innerhalb eines alle Rekorde brechenden Zeitraumes von nur vier Jahren die Volkswirtschaft eines ganzen Staates beseitigt. „Dank“ dieses gigantischen industriellen Kahlschlags war der Markt zugunsten bundesdeutscher Konzerne „bereinigt“, waren ihnen doch so nicht nur die Binnen- sondern auch die Außenmärkte der DDR zugeschanzt worden. Damit niemand gegen das verbrecherische Wirken dieser „Treuhandanstalt“ vorgehen konnte, wurde sie 1994 ganz schnell „aufgelöst“. Dennoch geht der Kahlschlag munter weiter, wenn auch mehr insgeheim, wurde doch für die „Restarbeiten“ eine sogenannte „Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben“ geschaffen. Dabei ist dieser Name ebenso irreführend wie der jener „Treuhandanstalt“. Außerdem werden mit einer dubiosen „Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft“ weiterhin land- und forstwirtschaftliche Nutzflächen der DDR, vor allem Bodenreformland, an zahlungskräftige Boden- und Immobilienspekulanten verhökert, während die Nachfolgebetriebe der LPG das Nachsehen haben. Im übrigen hat dieser volkswirtschaftliche Kahlschlag noch ein weiteres, bislang unbeachtet gebliebenes, aber um so schwerwiegenderes Ergebnis zur Folge: Damit wurde jede Möglichkeit verbaut, nach der ersten Ernüchterung über die Folgen den ohnehin rechts- und völkerrechtswidrigen „Beitritt“ rückgängig zu machen und die Eigenstaatlichkeit der DDR wiederherzustellen, ist doch ein unabhängiger Staat ohne auch nur einigermaßen vorhandene und funktionierende Wirtschaftsstruktur eher ein Patient für das Siechenhaus, wenn nicht gar gleich eine Totgeburt.

 

H.-J. Weise