Über Überschriften und Zwischenzeilen: Solidarisch, sicher und verantwortlich
Auf dem Landesparteitag der LINKEN Thüringen am wurde auf Antrag von Steffen Kachel die Änderung der Überschrift des Leitantrages zur Strategie zur Landtagswahl 2019 mit knapper Mehrheit beschlossen. Statt der vom Landesvorstand vorgeschlagenen Überschrift „In Verantwortung für Solidarität und Sicherheit“ trägt der Beschluss des Landesparteitages nun den Titel „Für eine offene und solidarische Gesellschaft“. Dass diese Änderung ohne Diskussion erfolgte und durch den Antragsteller des Leitantrages eine solche auch nicht eingefordert wurde, war ein Fehler.
Von Steffen Dittes
Ohne Zweifel, die nun gewählte Überschrift „Für eine offene und solidarische Gesellschaft“ ist nicht falsch. Sie drückt in wenigen Worten aus, wofür DIE LINKE steht und symbolisiert den Kompass, auf den sich LINKE-Politik bei allen Entscheidungsfragen beziehen sollte. Sie positioniert DIE LINKE als eine politische Kraft, die die gegenwärtigen Gesellschaftsverhältnisse, die eben nicht offen und nicht solidarisch sind, überwinden will. Sie spricht diejenigen an, die die LINKE genau wegen ihres den Zeitraum einer Legislaturperiode übersteigenden Politikansatzes als politische Alternative zu CDU, SPD und Grünen verstehen. Sie erscheint aber weniger geeignet, die Überschrift über eine auf die Landtagswahl 2019 gerichtete Wahl- und letztlich auch Kommunikationsstrategie zu sein, die für 2019 durch den Landesparteitag in Ilmenau im November 2017 formulierten Ziele zu erreichen: Das Wahlergebnis des Jahres 2014 weiter auszubauen; eine erneute Mehrheit für #r2g und die Fortsetzung der rot-rot-grünen Landesregierung; die AfD perspektivisch wieder aus den Parlamenten zu verdrängen. Um dies erreichen zu können, müssen mehr als 265.000 Menschen DIE LINKE am 27. Oktober 2019 wählen. Zuvor müssen wir diese mit unserem Politikangebot überzeugen und wir müssen sie davon überzeugen, dass DIE LINKE es ist, bei denen die gesellschaftlichen Herausforderungen und mithin auch die durch die einzelne Wählerin und den einzelnen Wähler wahrgenommenen Problemlösungen in den richtigen Händen liegen.
Kritisiert wurde vom Antragsteller die vom Landesvorstand gewählte Überschrift wegen der Begriffe „Verantwortung“ und „Sicherheit“. Der eine sei inhaltsleer, der andere mehrdeutig. Beim Begriff der „Sicherheit“ ging es den Autoren des Leitantrages aber gerade um diese Mehrdeutigkeit und vor allem auch darum, dass die Menschen in diesem Land sich eben nicht mehr sicher fühlen. Dabei – und das wird auch der diesjährige Thüringen Monitor zeigen – erwächst die Unsicherheit – nicht aus einer Angst vor Kriminalität, wie Medien und Law-and-Order-Parteien alltäglich suggerieren wollen, sondern setzt sich zusammen aus einer Vielzahl von Ungewissheiten und Unsicherheiten. Kann ich mir mein Haus oder meine Wohnung im Alter noch leisten? Wird es in unserem Dorf noch Lebensmittel zu kaufen geben? Kann ich zu einem Arzt in meinem Wohnort gehen, wenn ich akute Schmerzen habe? Werden es meine Kinder noch genauso gut haben wie ich? Kann ich morgen noch Bahn und Bus, oder mein soeben gekauftes Kraftfahrzeug ohne Einschränkungen nutzen? Führen die Militarisierung und die Konfrontation zu einem neuen Wettrüsten und einer neuen atomaren Kriegsgefahr in Europa? Was passiert, wenn die Lebensbedingungen weltweit weiterhin so auseinanderklaffen wie derzeit? Droht der Klimawandel die Lebensgrundlagen meiner Enkel zu zerstören? Linke Politik hat das Ziel, den Menschen ihre Sicherheit für das Leben zurückzugeben und muss die dafür notwendigen Politikansätze anbieten. Wer aber die Menschen ihrer Unsicherheit überlässt, überlässt die Menschen auch den Sicherheitsversprechen von Rechts. Dabei besteht überhaupt keine Gefahr, mit den Apologeten der Inneren Sicherheit verwechselt zu werden, wenn DIE LINKE den Begriff gerade in der von den Menschen verstandenen und empfundenen Komplexität und Mehrdeutigkeit besetzt. Ganz im Gegenteil, wir nehmen die Menschen genau darin ernst.
Der Begriff „Solidarität“ hätte zunächst auch unsere Wurzeln im Osten sichtbar gemacht, denn obwohl auf den ersten Blick ideologisch nicht verbrämt, scheuen SPD und Grüne – von CDU und FDP ist an dieser Stelle ganz zu schweigen – die Verwendung des Substantives. Denn zu nah scheint es zu liegen an den Erfahrungen von 16 Millionen Menschen in der DDR, die sich nicht nur der notwendigen kritischen Auseinandersetzung mit den Unzulänglichkeiten, Fehlern und Vergehen des Staatssozialismus ausgesetzt sahen, sondern auch der Entwertung ihrer Biografien und Lebensleistungen. Der Begriff der Solidarität, der wie auch der Begriff der Sicherheit bereits 2014 den Landtagswahlkampf der LINKEN in Thüringen prägte, macht darüber hinaus deutlich, nach welchen Kriterien DIE LINKE die gesellschaftlichen Herausforderungen angeht. Keiner wird zurückgelassen, wir greifen dem unter die Arme, der unsere Hilfe braucht, diejenigen die mehr zu leisten vermögen, leisten auch mehr für alle und die Verwendung gesellschaftlicher ökonomischer, ökologischer, kultureller und politischer Ressourcen wird niemals nur einem Teil der Bevölkerung zu Gute kommen können, sondern allen gleichermaßen oder wird ungleiche Verhältnisse ausgleichen. Wenn alle gleiche Chancen haben und ökonomische, politische und soziale Ungleichheit sowie Armut beseitigt wird, dann wird der Unsicherheit der Boden entzogen. Ebenso gilt umgekehrt, wenn Menschen frei von Angst vor Konkurrenz, vor Armut, vor sozialer Ausgrenzung und auch vor Verbrechen leben, werden Menschen offener, emphatischer, letztlich solidarischer gegenüber anderen Menschen sein. Sicherheit und Solidarität stehen demnach auch nicht nur solitär nebeneinander, sie bedingen einander.
Der vorgeschlagene Begriff „Verantwortung“ ist entgegen der Annahme nicht inhaltsleer. Verantwortung übernehmen zu wollen und Verantwortung zu haben, lässt uns nicht mehr hoffen, alleine eine politische Forderung zu erheben, ein politisches Ziel zu formulieren oder zu sagen, was uns ausmacht, sondern setzt uns gegenüber den Menschen in Thüringen in die Pflicht, auch für die Umsetzung unserer Positionen zu sorgen. Das geschieht ganz praktisch dadurch, dass wir als Regierungspartei gegenwärtig zwangsläufig verantwortlich sind und dies im Kern der Wahlaussagen für 2019 auch bleiben wollen. Die vom Antragsteller des Leitantrages gewählte Formulierung „In Verantwortung für“ macht aber eben auch noch etwas anderes deutlich: Wir sehen uns im Gegensatz zu den anderen Parteien tatsächlich in der Verantwortung stehend, für Solidarität und Sicherheit zu sorgen. DIE LINKE fühlt sich diesen elementaren Bedürfnissen von Menschen verpflichtet.
Über all das hätte der Landesparteitag diskutieren können und rückblickend auch sollen. Aber für eine solche Diskussion ist es nicht zu spät, insbesondere mit Blick auf die Vorbereitung der Wahlen muss DIE LINKE. Thüringen Kommunikationsstrategie und Botschaftsmanagement in den nächsten Wochen noch schärfen. Der gewählte Ansatz wird mit darüber entscheiden, wen und wie viele wir letztlich mit unseren inhaltlichen Positionen überzeugen werden, im nächsten Jahr der LINKEN ihre Stimme zu geben.