Öffentlicher Transport muss völlig neu gedacht werden

Die Preise für öffentlichen Personen Nahverkehr explodieren in ganz Europa – ein Umdenken ist nicht nur aus umweltpolitischen Erwägungen notwendig – von Matthias Bärwolff

Was sind öffentliche Güter eigentlich wert? Wem gehören sie und in wessen Sinne sollen sie was leisten? Wie lassen sie sich verteidigen oder neu erkämpfen? Welche Kämpfe führen soziale Bewegungen in anderen Ländern? Um diese Fragen zu erörtern und gemeinsame Perspektiven zu entwickeln, lud die Rosa-Luxemburg-Stiftung vom 1. bis 3. Juli nach Berlin ein. In einem internationalen Workshop kamen Genossinnen und Aktivistinnen   u. a. aus Schweden und Griechenland, aber auch aus Nordamerika nach Berlin.

Öffentlicher Transport ist ein Gemeingut, das dazu bestimmt ist, Menschen Mobilität zu garantieren und ihnen so die Teilhabe am Leben zu ermöglichen. Wie in vielen Ländern sind die Kommunen auch in Schweden sehr knapp bei Kasse. Was für den ÖPNV Qualitätseinschränkungen, vor allem aber steigende Preise und zunehmende Kontrollen und damit auch Repression, nach sich zieht. Die Initiative planka.nu aus Stockholm hat sich zusammengefunden, um dagegen zu protestieren. Mit Info-Veranstaltungen, direkter Aktion und einem Soli-Fonds für erwischte „Leistungserschleicher“ bringen sie ihr Anliegen nach vorn. Planka.nu geht es nicht um saubere Haltestellen und freundliches Personal, sondern um einen gebührenfreien ÖPNV. Nachdem eine Einzelfahrt weit über 3,50 Euro kostet und eine Monatskarte mit mehr als 140 Euro zu Buche schlägt, war es ihnen genug. Mit einer sms-Nachrichtenkette werden aktuelle Kontrollen durchgegeben und Reisende gewarnt. Öffentlicher Transport muss völlig neu gedacht werden. Dass heißt, seinen Hauptzweck wieder in den Mittelpunkt zu stellen: die öffentliche Aufgabe, allen Menschen Mobilität zu ermöglichen. Dass auch der ÖPNV unter ökonomischem Druck steht, hat zuvor Stefan Daubitz von der TU-Berlin unter Beweis gestellt. Gesellschaftliche Teilhabe lässt sich nicht ohne ÖPNV erreichen. Steigende Preise, zunehmende Kontrollen und die nachfolgenden Gerichtsverfahren sorgen für eine zunehmende Kriminalisierung. 70 Prozent der Häftlinge der JVA Berlin Tegel sitzen dort, wegen Erschleichung von Beförderungsleistungen. Aus dem „Schwarzfahren“ aus finanzieller Not wird eine Straftat. Mit 18 Euro muss ein Hartz-IV-Empfänger seine Mobilität organisieren, dass dies unzureichend ist, versteht sich, vor dem Hintergrund der Fahrpreisentwicklung, von selbst. Was also tun?

Der ÖPNV muss endlich in öffentliche Hand zurück. Der Kult ums Auto muss gestoppt werden. Kollektive Transportsysteme sind wirtschaftlicher, preiswerter und auch für Stadtentwicklung und Umwelt ein Gewinn. Dem motorisieren Individualverkehr etwas entgegensetzen wollen auch Eugenia Darnell und Mary Brick (Detroit) von der Versammlung der Einwohner Nordamerikas (USACAI). Jeder Zweite ist im Herzen der US-Automobilproduktion arbeitslos. Bankenkrise, Zwangsräumungen und ein desolates Sozialsystem machen ein Fortkommen unmöglich. Marginalisierte wohnen meist in den Außenbezirken, sie zu erreichen ist fast unmöglich. Die Preise steigen unaufhaltsam. Ein Investitionsprogramm für den ÖPNV wurde zum Spekulationsobjekt verschiedener Investoren. Die Beteiligung der Bevölkerung, obwohl vorher vereinbart, sollte einfach umgangen werden, so dass deren Einwände, Forderungen und Ideen ungehört blieben. Ein starkes Volksbegehren konnte hier wesentliche Erfolge erzielen. 

In Deutschland stellt sich die Situation etwas anders dar. Hohe Preise und Kontrollen einerseits, Sozialtickets für Hartz IV-Empfänger, wie z. B. in Erfurt anderseits. Dennoch hängt der ÖPNV immer am Tropf und muss beweisen, dass er sich rechnet. Dieses Denken ist insofern fatal, weil es Maßstäbe der Wirtschaftlichkeit anlegt, die er selbst nie erfüllen kann. Es zeigt sich, dass ein fahrscheinfreier ÖPNV eine Reihe positiver Effekte beinhalten kann. Von der Möglichkeit, dass mehr Menschen als bisher den ÖPNV nutzen über Einsparungen, die jeder einzelne verbuchen kann, weil man weniger Geld für Benzin ausgeben muss. Schließlich bleibt eine steigende Lebensqualität, aufgrund der Verkehrsreduzierung und die Belebung des Einzelhandels in den Innenstädten. 

Dies muss aber einhergehen mit autofreien Innenstädten, bedarfsgerechten Netzen, Parkleitkonzepten, Radwegenetzen und anderen Rahmenbedingungen. Eine politische Gruppe in Erfurt arbeitet derzeit an Konzepten, wie der fahrscheinfreie ÖPNV umgesetzt werden kann. Die Argumente liegen auf der Hand und die RLS-Veranstaltung hat gezeigt, dass der Kampf um common rights, um Gemeinschaftsgüter, überall auf der Welt gegen die Verwertungslogik geführt wird. Wie in anderen Politikfeldern zeigt sich auch hier: Alternativen sind möglich, sie müssen nur gedacht werden!