Vor 80 Jahren: Die Großbreitenbacher Bluttage

Neben der Großbreitenbacher Schule steht das eine Fahne darstellende schlichte Mahnmal mit der Inschrift „IM GEDENKEN AN DIE TOTEN OPFER DES FASCHISMUS ZUR MAHNUNG FÜR UNS UND DIE WELT“. Die Inschrift befindet sich in einem Dreieck – Sinnbild für den roten Winkel der politischen KZ-Häftlinge. Es erinnert an Ereignisse vor 80 Jahren.

Neben der Großbreitenbacher Schule steht das eine Fahne darstellende schlichte Mahnmal mit der Inschrift „IM GEDENKEN AN DIE TOTEN OPFER DES FASCHISMUS ZUR MAHNUNG FÜR UNS UND DIE WELT“. Die Inschrift befindet sich in einem Dreieck – Sinnbild für den roten Winkel der politischen KZ-Häftlinge. Es erinnert an die Ereignisse vor 80 Jahren, die damals die Stadt über Wochen und Monate erschütterten und die den Anlass für seine Errichtung gaben: Zwischen dem 15. und dem 18. Juli 1933 kam es in Großbreitenbach zu vor allem vom Führer der örtlichen SA, Adolf Schrickel, sowie dem SA-Mann Ernst Höhn initiierten und von Bürgermeister Otto Menger geduldeten faschistischen Ausschreitungen. Dabei wurden mit Unterstützung auswärtiger SA- und SS-Angehöriger im Rathaus in erster Linie Kommunisten brutal misshandelt. Als Vernehmungsführer fungierte Polizei-Oberwachtmeister Winter. Des weiteren beteiligten sich die SA-Leute Paul Völkel, Johannes Konrad, Karl Erhardt und Walter Hoffmann als Helfer an der Gewaltorgie. Mit welcher Rohheit, Brutalität und Unmenschlichkeit die SA- und SS-Leute vorgingen, belegte der Ausruf „Schafft die Frau weg, heute regnet es Schläge!“, als die Ehefrau eines der Verhafteten im Rathaus erschien und ihren Mann nach Hause holen wollte.

Zum Anlass für die der berüchtigten Köpenicker Blutwoche in Berlin (500 Verhaftete, 91 Tote) ähnelnde Welle von Verhaftungen und mit äußerster Brutalität geführten Verhöre wurden am 14. Juli 1933 bei Großbreitenbach und am 18. Juli in der Umgebung von Geraberg zufällig gemachte Waffenfunde genommen. Derartige, meist aus der Zeit zwischen 1920 und 1923 stammende, Waffenlager waren sowohl im Gefolge der Kämpfe gegen den Kapp-Putsch als auch der bewaffneten Auseinandersetzungen im Zuge der sogenannten Reichsexekution angelegt worden. Setzt man diese Gewaltorgie im Großbreitenbacher Rathaus in Beziehung zum politischen Kräfteverhältnis sowohl vor als auch nach dem 30. Januar 1933, dann wird deutlich, dass jene Waffenfunde tatsächlich nur als willkommener Anlass zur Brechung des immer noch vorhandenen Widerstandes und zur „Ausrottung der Kommune“, wie es im Nazi-Jargon hieß, genommen wurden: Die Stadt war nach wie vor eine linke Hochburg und selbst bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 erreichte die KPD trotz allen vorangegangenen Terrors 1.027 Stimmen, die SPD erhielt 585. Die NSDAP dagegen musste sich mit 727 Stimmen begnügen. Auf der Haube, im Bauerswald und im Reuscheltal gab es nach wie vor illegale Versammlungen, ebenso in der Stadt Treffen von Erwerbslosen in kleinen Gruppen, durch Flüsterpropaganda organisierte kleinere „Spaziergänge“, die zeitweilig den Charakter politischer Demonstrationen annahmen, und einen Vertrieb verbotener politischer Literatur. Dieser Widerstand sollte nun endlich durch die Anwendung brutalster Gewalt zum Erlöschen gebracht werden.

Zu den Opfern dieser „Großbreitenbacher Bluttage“ gehörten unter anderem Max Bräutigam, Hermann Geifelt, Friedrich Gärtner, Otto Herrmann, Rudolf Herrmann, Fritz Hößrich, Karl Hoffmann, Sizzo Hornschuh, Robert Jahn, Karl Krannich und Otto Treßelt. Alle Betroffenen trugen schwere körperliche Schäden davon. Friedrich Gärtner erlitt zudem schwerste psychische Schäden, weshalb sich mehrfach Einweisungen in Heilanstalten erforderlich machten. Im Jahre 1940 wurde er ein Opfer der nazistischen „Euthanasie“-Aktionen - er wurde in der Anstalt Sonnenstein bei Pirna vergast.

Die nazistische bzw. die sich rasch zum Sprachrohr der „nationalen Revolution“ gewendete konservative Presse bejubelte die Großbreitenbacher Gewaltorgie selbstverständlich als „vernichtenden Schlag gegen die noch immer bestehende Geheimpartei KPD“, nachzulesen in „Die Henne“ Nr. 165 vom 17. Juli 1933. „Das durch den Beamten (Polizei-Oberwachtmeister Winter – d.V.) gemeinsam mit dem Stadtratsvorsitzenden Telegraphen-Assessor Schrickel zusammengetragene Material wurde durch die über 30stündige Vernehmung von mehr als 60 KPD-Anhängern vollauf bestätigt“, hieß es da triumphierend. Zu den sadistischen Quälereien und Prügeleien wurde verharmlosend geschrieben: „Wie diese von ihr (gemeint war die KPD-Zeitung „Die Rote Fahne“ - d.V.) propagierte 'neue Offensive' aussieht, das haben die in Großbreitenbach daran sich beteiligenden KPD-Leute aber ganz genau erfahren. Die Führer der SA und SS haben mit ihren Männern sich der durch die Polizei gestellten Aufgabe glänzend und gewissenhaft gewachsen gezeigt.“ Anschließend wurde gedroht: „Teilnehmer an den kommunistischen Geheimversammlungen und die Redner werden reichlich Gelegenheit finden, über ihre erbärmliche, staatsfeindliche und aufhetzerische Tätigkeit in Ruhe nachzudenken. Eine ganze Anzahl wurden bereits dem Gericht zugeführt. Die Aktion ist noch nicht abgeschlossen.“ Am 19. Juli hieß es in Nr. 167 von „Die Henne“, es seien 27 Gewehre gefunden „und in Verfolgung dieser Aktion 10 Kommunisten verhaftet“ worden.

Wie brutal bei jenen „Vernehmungen“ im Rathaus zugeschlagen worden war, zeigte die triumphierende Meldung, dass einer der Verhafteten schließlich angegeben habe, „daß die Waffen vor fünf Jahren aus Geraberg und Elgersburg nach Großbreitenbach geschafft worden“ waren. In Geraberg selbst „befände sich im Walde ein Hauptwaffenlager der KPD“. Über den Ort wüssten „zwei Geraberger Kommunisten ganz genau Bescheid. Diese gab er namentlich an.“ Angesichts der mit bis dahin ungekannter Rohheit und Grausamkeit geführten „Vernehmungen“ ist es menschlich sehr gut vorstellbar, dass mancher der so Gefolterten die Qualen nicht mehr aushielt und nur noch verzweifelt auf ein schnelles Ende hoffte. Ein nüchternes Nachdenken über die Folgen für alle Betroffenen wie auch für den Schlägern bislang noch nicht bekannt gewesene Personen war in solcher Lage wohl kaum möglich. Dennoch sollte dadurch das Verhältnis zwischen einstigen Großbreitenbacher Widerstandskämpfern auch nach dem Kriege über lange Zeit belastet, ja vergiftet werden.

Weitere faschistische Ausschreitungen fanden am 12. Oktober 1933 statt. Dabei wurden Alwin Lippert (parteilos) und der ehemalige Bürgermeister Ernst Oehler (SPD) schwer misshandelt. Genaue Informationen über den konkreten Anlass dazu konnten bislang nicht ermittelt werden. In seiner Amtszeit als Bürgermeister erschienenen Pressemeldungen sowie in Großbreitenbach geführten Gesprächen ist zu entnehmen, dass gegen ihn mehrfach Korruptionsvorwürfe erhoben worden waren, die aber nicht bewiesen werden konnten. Es ist deshalb naheliegend, dass sich Funktionsträger der Nazi-Partei den Ruf von Saubermännern erwerben und damit ihre Stellung und ihr Ansehen festigen wollten. Dabei waren gerade Unmoral, Korruption und Amtsmissbrauch im Führerkorps der NSDAP weitverbreitet. Julius Streicher, der Herausgeber des berüchtigten „Stürmer“ besaß eine der größten pornografischen Sammlungen, Max Amann, Präsident der Reichspressekammer, bereicherte sich in hohem Maße persönlich, Reichsorganisationsleiter Robert Ley und der Thüringer Innenminister Fritz Wächtler waren schwerem Alkoholismus verfallen, um nur einige der prominentesten Beispiele zu nennen. Auf Kreis- und Ortsebene war es nicht anders. So sind zahlreiche Fälle bekannt, wo Kreisleiter oder Ortsgruppenleiter Angehörige von HJ und Arbeitsdienst als billige Arbeitskräfte für ihre privaten Bauten missbrauchten.

Auch im Falle des früheren Bürgermeisters war mit äußerster Brutalität vorgegangen worden: Durch Fußtritte und Schläge hatte Ernst Oehler so schlimme innere Verletzungen erlitten, daß er kurz darauf verstarb. Die Empörung über diese Ausschreitungen nahm in der Bevölkerung schließlich ein solches Ausmaß an, dass sich das Thüringer Innenministerium und das Kreisamt Arnstadt gezwungen sahen, dem Bürgermeister die Polizeigewalt zu entziehen. Des weiteren wurde versucht, die beiden Verbrechensorgien als lediglich persönlichen Racheakt des Polizei-Oberwachtmeisters Winter zu verharmlosen. So hieß es beispielsweise in der „Schleizer Zeitung“ vom 24. Oktober 1933, dass Bürgermeister Menger die Polizeigewalt durch das Thüringische Innenministerium „wegen schwerer Mißhandlung von 4 Personen durch Polizei-Oberwachtmeister Winter und einige Hilfspolizei-Beamte“ entzogen worden war. War die Anzahl der willkürlich verhafteten und brutal misshandelten Personen anfangs mit 60 angegeben worden, wurde deren Zahl alsbald auf 10 und nun sogar auf lediglich 4 „herunterkorrigiert“. Während der in Gehren festgenommene Polizei-Oberwachtmeister Winter zum Zeitpunkt dieses Presseberichtes noch in Haft war, waren seine ebenfalls gezwungenermaßen verhafteten Helfer bereits wieder auf „freiem Fuß“. Die Leitung der Ortspolizei wurde Gendarmerie-Oberwachtmeister Kühn aus Stadtilm übertragen. Weiter hieß es, dass der Arnstädter Gendarmerie-Kommissar Kayser von Ministerium und Keisamt mit einer „strengen Untersuchung“ beauftragt worden sei. Dies geschah wohl mehr zur Beruhigung der erregten Bevölkerung und somit ohne ernste Absichten, denn danach waren keine Berichte über jene Gewaltorgien mehr zu finden.

Gegen 31 der 1933 schwer Misshandelten fand vom 26. Februar bis 2. März 1934 vor dem 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts in Jena ein Prozess wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ mit den Anklagepunkten „Illegaler Waffenbesitz, Zugehörigkeit zur KPD und ihren Gliederungen, Unterstützung der Roten Hilfe, Vertrieb von Flugblättern und kommunistischen Zeitungen, Teilnahme an kommunistischen Funktionärsbesprechungen und Versammlungen“ statt. Dabei wurden insgesamt 5 Jahre und 2 Monate an Zuchthausstrafen sowie 52 Jahre und 11 Monate an Gefängnisstrafen verhängt. Drei der Angeklagten mussten freigesprochen werden. Im gleichen Prozess waren auch 3 Einwohner aus Geraberg angeklagt worden. Rudolf Hermann wurde schließlich 1944 in das KZ Buchenwald verschleppt.

Die Schläger, derer die Justiz nach dem Kriege noch habhaft werden konnte, standen im Februar 1947 in Ilmenau vor Gericht. Trotz hartnäckigen Leugnens wurden sie in der Verhandlung des Schwurgerichts Gotha/Eisenach von insgesamt 28 Zeugen sowie an Hand der 1933 in der Nazi-Presse erschienenen und ihre Untaten lobenden Berichte der begangenen Verbrechen überführt. Dennoch fielen die Urteile sehr milde aus. An Gefängnisstrafen erhielten: Höhn - 1 Jahr und 6 Monate; Konrad - 2 Jahre und 6 Monate; Menger - 1 Jahr und 6 Monate; Schrickel - 4 Jahre. Der Mord an Ernst Oehler wurde dagegen nie gesühnt, obwohl für die sogenannte „Oktoberaktion“ ein gesonderter Prozess vorgesehen gewesen war. Aus bislang nicht bekannten Gründen fand diese Gerichtsverhandlung jedoch nie statt.

 

H.-J. Weise