„Glücklich, wer mit den Verhältnissen zu brechen versteht ...“

Viel ist zu lesen und zu hören über Franz Liszt anlässlich seines 200- Geburtstages. Liszts rebellische Ansichten während seiner Zeit in Paris dagegen sind kaum Gegenstand der Betrachtung.


Auf den ersten Blick möchte man meinen: So viel Franz Liszt wie 2011 gab es noch nie. Hunderte Ausstellungen, Konzerte, Feiern, Konferenzen wissenschaftlichen Charakters, neue Liszt-Biografien (z. B von Wolfgang Dömling, Gerhard Tötschinger), Essays, Analysen, ja auch „Events“ gab es nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Mit gutem Recht prangt, besonders in Thüringen, „Ein Europäer in Weimar“ großformatig im Straßenbild und auf tausenden Werbe-Flyern. Gut. Dennoch: 

Der junge Liszt, insbesondere seine Pariser Jahre, blieb unterbelichtet oder ganz außen vor. Er hatte es , als hochbegabtes „Wunderkind“, das zwölf-jährig mit Vater und Mutter nach Paris kam, wahrlich nicht leicht. Das Pariser Musikkonservatorium nahm ihn nicht auf, das dessen Satzungen nur die Aufnahmen französischer Staatsbürger erlaubte. Franz Liszt musste seine pianistische Kunst in verschiedenen adeligen und bürgerlichen Salons von Paris anbieten, um Gönner und Förderer zu finden. Nicht nur, um Geld zu verdienen, sondern auch um Wege zu größerer Öffentlichkeit zu finden. Als er 16 Jahre jung war, starb sein Vater Adam Liszt, ein schwerer Schlag, der für ihn eine bedrückende existenzielle Krise brachte. Die frühen Pariser Jahre schärften so seinen Blick für die großen sozialen Spannungen in der französischen Gesellschaft. 

Die Ereignisse der Julirevolution 1830/31 offenbarten die Risse und Spannungen in der Gesellschaft und weckten Hoffnungen auf Veränderungen der Zustände. In dieser Zeit beflügelten ihn utopisch-kommunistische Ideen Saint-Simons und des Priesters Lamennais von einer neuen, kunstfreundlichen Gesellschaft.

Franz Liszt sieht sehr genau im Land der Revolution die Lage der jungen Künstler und er greift nun auch publizistisch ein. In der Zeitschrift „Gazette musicale de Paris“ veröffentlichte er 1835 die Artikelserie „Zur Stellung der Künstler“. Darin heißt es u. a.: Sehen Sie nach allem noch hin auf jenen an allen Straßenecken von Paris zu lesenden Anschlagszettel mit den Anzeigen von Konzerten und Theatervorstellungen zum Benefiz unglücklicher Künstler, welche – sie geben von dem Mangel jeglicher sozialer Fürsorge für sie ein sprechendes Zeugnis. Sehen Sie hin auf den Kirchenbann, der unerbittlich auf allen Mitgliedern des Theaters lastet, und erkennen Sie in ihren Salons die Rückwirkung ihres Fluches in der sozialen Verpönung, die jene Künstler ausschließt und in Entfernung hält. Sehen Sie endlich das Dürftige, das Grausame unserer Lage? Unser Elend, unsere Unterdrückung? Die Krankheit des auf uns lastenden Handelsgeistes? Die sittliche Gesetzeslosigkeit, die uns vereinsamt und tötet?“

Aber letztendlich lässt sich Liszt, 24-jährig, nicht entmutigen. Gegen Schluss seiner anklagenden Betrachtungen verkündet er: „Wir glauben an einen unendlichen Fortschritt, an eine unbeengte soziale Zukunft des Tonkünstlers; wir glauben dran mit aller Kraft der Hoffnung und Liebe! Weil wir glauben, darum reden wir und werden wir reden. Treten wir unsere Wanderung an!“

Franz Liszts Persönlichkeit ist in vielem faszinierend. Sein Wort „Glücklich, wer mit den Verhältnissen zu brechen versteht, ehe sie ihn gebrochen haben“ ist eine gereifte Erkenntnis eines kämpferischen Künstlers, der seine aufwühlenden Jugenderlebnisse der zwanziger und dreißiger Jahre, lange vor Weimar, nie vergessen hat. Die Vision einer besseren, menschlicheren Welt hat ihn bis an sein Lebensende begleitet. Deshalb hat die Urenkelin Liszts, Nike Wagner, mit gutem Recht ihre langjährige Intendanz des Weimarer Kunstfestes unter das Motto des „annee´s de pelerinage“ gestellt, der Wanderschaft auf der Suche nach Neuem.                                      

Werner Voigt