Gewerkschaften im Aufschwung?

„Sind die Stärkung gewerkschaftlicher Organisationsmacht und die Demokratisierung der betrieblichen Arena in den neuen Bundesländern nachhaltige Trends?“ Das war die Kernfrage einer Veranstaltung der Ebert-Stiftung. Leider braucht man heute keinen großen Saal mehr, um Veranstaltungen von und für Gewerkschafter_innen durchzuführen.

Von Johannes Häfke

 

„Sind die Stärkung gewerkschaftlicher Organisationsmacht und die Demokratisierung der betrieblichen Arena in den neuen Bundesländern nachhaltige Trends?“ Das war die Kernfrage einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung, die am  2. März  im Suhler Congress Centrum stattfand. Leider braucht man heute keinen großen Saal, erst recht keine große Halle mehr, um Veranstaltungen von und für Gewerkschafter_innen durchzuführen. Im Jahr 2016 reicht der „Vampirkeller“, um die rund 50 Besucher_innen zu fassen. 

 

Zuwachs bei IG Metall und NGG 


Dennoch besagt eine Studie der IG Metall-nahen „Otto Brenner Stiftung“, dass sich Gewerkschaften im Aufwind befinden. Festzumachen ist dies an den exemplarisch untersuchten Mitgliederzahlen der Gewerkschaft „Nahrung Genuss Gaststätten“ (NGG) und der IG Metall. Auch wenn beide Gewerkschaften an Größe, Organisationsgrad und Wirksamkeit schwerlich zu vergleichen sind, so ist bei beiden Gewerkschaften seit 2007 ein deutliches Mitgliederplus zu verzeichnen. Doch woran liegt das? Ein Schwenk in die Geschichte trägt zur Klärung bei.

 

Gewerkschaftsverdruss im Osten  


 Wenn ich den Blick auf die Dein- dustrialisierung nach der Wende werfe, die verwelkenden ostdeutschen Betriebslandschaften anstatt der versprochenen blühenden Landschaften und die vermeintliche Untätigkeit der Gewerkschaften und des Dachverbandes, kann ich nachvollziehen, dass der Verdruss über „die Gewerkschaft“ besonders bei den Ostdeutschen sehr groß war. Betriebsschließungen en gros, Massenentlassungen, Privatisierung von Volkseigentum gaben Anlass genug. Ob der Adressat für die berechtigte Kritik mit den Gewerkschaften jedoch richtig gewählt war, bezweifle ich sehr. Und wieso änderte sich das Verhältnis der Beschäftigten zu den Gewerkschaften jetzt bzw. in den vergangenen knapp zehn Jahren? 

 

Zunahme der Verhandlungsmacht


Laut Marcel Thiel, der u.a. Mitverantwortlicher der Studie ist, fördert der Rückgang der Arbeitslosigkeit das Ende ostdeutscher Bescheidenheit. Diese und der demografische Wandel, sowie Fachkräfteengpässe führen – gerade auch bei jungen Beschäftigten – zu einer Zunahme der Verhandlungsmacht und auch dem Bewusstwerden über diese. Klar ist, dass die gewerkschaftliche Organisierung kein Umkehrschluss ist. Motor für diese Organisierung ist zumeist eine empfundene oder tatsächliche Lohnungerechtigkeit – sei es im Vergleich Ost/West, Frau/Mann, Festangestellte_r/Leiharbeiter_in, „Deutsche_r“/Migrant_in usw. 

 

Lohn als Mobilisierungsthema 


Dazu sagt die Studie: „In einer zerklüfteten Arbeitswelt erweist sich der Lohn als verbindendes, mobilisierungsfähiges Thema. Damit eng verbunden sind die Problemfelder Arbeitszeit, Leistungsintensivierung, Flexibilisierungsdruck, Planungsunsicherheit im Privatleben und die Kritik an autoritativen betrieblichen Kontrollregimes. Den Beschäftigten geht es nicht ausschließlich ums Geld, gefordert werden Löhne zum Leben.“ Diese Erkenntnis – sicherlich nicht die spektakulärste und neueste – in Verbindung mit der Aufstellung der Gewerkschaften, die partizipative betriebliche Organisationen wollen, anstatt Stellvertreterpolitik zu betreiben, und den Menschen, die in die Unternehmen einsteigen, also die jungen Beschäftigten, die „mittelalte“ gewerkschaftlich Aktive unterstützen, sind Bausteine, die zu einem gestiegenen Maß an Organisationsgrad führen.  

 

r2g muss Gewerkschaften einbeziehen


Besonders interessant war, dass die Studie der Otto-Brenner-Stiftung besagt, politische Initiativen wie beispielsweise der „Thüringenkorporatismus“ zu Zeiten des Wirtschaftsministers Machnig (SPD) könnten zu einer erheblichen Stärkung der Gewerkschaften beitragen, wenn sie das gesellschaftliche Klima und den öffentlichen Diskurs verändern und u.a. soziale Regeln in Gesetzen festschreiben. Dazu muss Politik Gewerkschaften aber eben beteiligen. Und – um ehrlich zu sein – ist das in einem Jahr r2g nicht besser geworden. Die Gewerkschaften haben unter den CDU-Regierungen fast ausschließlich am Katzentisch gesessen. Besser wurde es mit Machnig, denn nun wurden sie in die Diskussionsprozesse eingebunden. Nach Übernahme der Regierung durch die jetzigen Koalitionsfraktionen stand der Tisch der Gewerkschaften plötzlich woanders: draußen, wie die Diskutanten im Podium feststellten. Vielleicht ein Fauxpas der Regierung in den Wirren der Minis-teriumsumstrukturierungen und Einarbeitung in die neuen, bisher ungewohnten Aufgaben. Aber im zweiten Jahr linksgeführter Regierung müssen Gewerkschaften endlich als Partner in alle sie betreffenden Entscheidungen einbezogen oder zumindest zum Thema angehört werden. Die Auffassung Kirsten Breuers (IG Metall-Bevollmächtigter), der neben Diana Lehmann (MdL, SPD), dem bereits erwähnten Herrn Thiel und dem Moderator Dr. Sebastian Haak im Podium saß, unterstrich das. Das erhoffte Land, in dem zumindest für Gewerkschaften Milch und Honig fließen, ist mit R2G nicht entstanden. Zu mehr Beteiligung der Arbeitnehmer_innenvertretungen müssen wir scheinbar auch unsere Regierung immer wieder auffordern. 

Nachhaltige Trendwende?


Resümierend lässt sich sagen, dass eine Trendwende in der betrieblichen Organisationsstruktur eingeleitet wurde. Ob sie nachhaltig sein wird, ist jedoch fraglich. Politik kann und muss ihren Teil dazu beitragen. Und natürlich müssen auch wir das – die Mitglieder der Gewerkschaften. Stets nach dem Motto: „In ist, wer drin ist!“