Ein Landmaschinen-Exot aus Thüringen wird 55

Als in Weimar noch Landmaschinen gebaut wurden, entstand dort auch ein Fahrzeug, das heute allenfalls in Fachkreisen bekannt ist. Vor 55 Jahren, am 2. November 1960, verließ das erste Exemplare des Seilzugaggregates SZ 24 „Agronom“ die Hallen des Weimar-Werkes.

 

Von Hans-Joachim Weise

 

 

Als in Weimar noch Landmaschinen gebaut wurden, entstand dort auch ein Fahrzeug, das heute allenfalls in Fachkreisen bekannt ist und dennoch eine interessante Entwicklungsstufe bei der Mechanisierung der Landwirtschaft darstellt: Vor 55 Jahren, am 2. November 1960, verließ das erste Exemplare des Seilzugaggregates SZ 24 „Agronom“ die Hallen des Weimar-Werkes. Es ist wohl nicht falsch, dieses wie ein Lastkraftwagen, der statt des üblichen Rad- ein Kettenfahrwerk besaß, aussehende Fahrzeug zu den selbstfahrenden Arbeitsmaschinen zu zählen. Mit der im VEB Traktorenwerk Schönebeck/Elbe in Gemeinschaftsarbeit mit dem VEB Bodenbearbeitungsgeräte Leipzig entstandenen Konstruktion war ein seit etwa 1860 angewandtes Verfahren der Bodenbearbeitung auf eine höhere und folglich zeitgemäßere Stufe gehoben worden: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte mit der Lokomobile die Dampfmaschine Einzug in der Landwirtschaft gehalten. Für den Einsatz auf Ackerflächen aber waren diese Ungetüme mit ihrem Gewicht von 20 Tonnen zuzüglich 3 Tonnen Kohle- und Wasservorrat viel zu schwer gewesen. So konnte nur vom Feldrand aus gepflügt werden, weshalb das Verfahren wie folgt aussah: Links und rechts der zu bearbeitenden Fläche stand eine Lokomobile, unter deren Kessel eine Seiltrommel angebracht war. Am Seil wurde ein für beide Richtungen mit Scharen ausgerüsteter und deshalb jeweils nach links oder rechts kippbarer Pflug über die Ackerfläche gezogen. War ein Arbeitsgang abgeschlossen, mussten beide Lokomobilen um die Arbeitsbreite des Pfluges vorrücken, was solange wiederholt wurde, bis das Ende des Feldes erreicht war. Dieses Verfahren erforderte natürlich einen großen Aufwand an Personal und Betriebsstoffen, mussten doch stets ein Kohle- und ein Wasserwagen sowie eine Handpumpe am Feldrain bereitstehen, um die Vorräte ergänzen zu können. Außerdem konnten sich nur große Güter solche teuren Lokomobilen leisten.

Das SZ 24 war für den Einsatz auf schweren Böden, beispielsweise auf Zuckerrübenfeldern der Altmark, vorgesehen. Mit einem fünfscharigen Pflug konnte in zehnstündiger Schicht eine sieben bis acht Hektar große Fläche bis zu einer Tiefe von 35 cm bearbeitet werden. Ebenso war der „Agronom“ für das Ziehen von Entwässerungsgräben einsetzbar, wobei mit dem Grabenpflug in einer Schicht eine Länge von 1,5 km geschafft wurde. Im Gegensatz zur Lokomobile befand sich die Seiltrommel nicht unter dem Fahrzeug, sondern, um zwecks besserer Veranschaulichung die Ladefläche eines Lkw als Vergleich heranzuziehen, auf der Pritsche. Das 600 m lange Seil konnte sowohl seitlich (zum Pflügen und Eggen) als auch am Heck (für den Grabenpflug) herausgeführt werden. Begonnen worden war die von Ing. Blumenthal geleitete Entwicklung schon 1955, vier Jahre später wurden die ersten, noch mit 150-PS-Motoren ausgerüsteten Funktionsmuster im Volkseigenen Gut Altenweddingen einer eingehenden Erprobung unterzogen. Die in Weimar gebauten Serienfahrzeuge besaßen dagegen Sechszylinder-Motoren mit 180 PS und wogen 14 t. Das Getriebe ließ vor- und rückwärts vier Fahrgeschwindigkeiten zu und ebenso war die Geschwindigkeit der Seiltrommel in vier Stufen regelbar. Der Änderung der Fahrtrichtung diente das auch von Kettenschleppern her bekannte Cletrac-Lenkgetriebe, bei dem die jeweils innen laufende Kette abgebremst wird. Im Gegensatz zur Lokomobile konnte das SZ 24 dank des Kettenfahrwerkes direkt auf der Ackerfläche eingesetzt werden. Der Verständigung der Personale diente anfangs eine rotes und grünes Blinklicht zeigende optische Signaleinrichtung, dann eine UKW-Sprechfunkanlage. Die Produktionszeit dauerte freilich nur ein knappes Jahr und die Stückzahl war mit etwa 61 nicht eben groß. Die Ursache lag ganz einfach im raschen technischen Fortschritt, standen doch mittlerweile für große Ackerflächen und verschiedene Bodenarten geeignete leistungsfähige Radtraktoren zur Verfügung. Mit dem ZT 300 machte ein ebenfalls Schönebecker Erzeugnis der vorhergehenden Entwicklung aus dem eigenen Hause den Garaus. Schade ist nur, dass von diesem technisch interessanten und durch das in Orange gehaltene Fahrerhaus schon äußerlich auffallenden Fahrzeug kein einziges Exemplar erhalten geblieben ist. Landtechnische Museen würde sich heute darum reißen.