Die letzten Tage des Lagers in aller Dramatik

Mit skeptischen Gedanken gingen wir zur Voraufführung des neu verfilmten Romanes von Bruno Apitz. Vor 25 Jahren mussten wir erleben, wie Namen vieler kommunistischer Widerstandskämpfer im Gedächtnis gelöscht werden sollten. Über Nacht wurden Straßenschilder oder Namen von Schulen ausgetauscht. Und heute?

 

 

 

Von Christel und Uwe Pohlitz 

 

 

Mit skeptischen Gedanken gingen wir nicht allein zur Voraufführung des neu verfilmten Romanes von Bruno Apitz. Vor 25 Jahren mussten wir erleben, wie Namen vieler kommunistischer Widerstandskämpfer im kollektiven Gedächtnis gelöscht werden sollten. Förmlich über Nacht wurden Straßenschilder oder Namen von Schulen ausgetauscht.

All zu oft wurde versucht das antifaschistische Vermächtnis zu verunglimpfen und in das Reich der Märchen sowie Sagen zu verbannen. Mit den Folgen dieser vehement rechtslastig betriebenen bürgerlichen Politik haben wir es gegenwärtig in vieler Weise zu tun.

Die vorsichtige Skepsis der zur Premiere anwesenden Witwe des Dichters, Kiki Apitz, konnten wir gut verstehen. Sie wies darauf hin, dass dieses Buch kein Dokumentarbericht, sondern ein Roman ist. Das wurde auch in der Vergangenheit oft falsch gehändelt. Wenn von der Wirklichkeit zugunsten ideologischer Wunschvorstellungen Abstand genommen wird, kommt es zur Unglaubwürdigkeit. Solche Lücken werden sofort ausgeschlachtet und versucht ins Gegenteil zu kehren.  In einem Gespräch vor der Aufführung hatten wir die Möglichkeit, unsere Gedanken, auch über die  Gefahren der erneuten Nazibewegungen, auszutauschen. Jedes Herumbasteln an der Geschichte, welches der Verharmlosung der braunen Vergangenheit dient, ist sehr gefährlich.

Apitz hat in den glücklichen Ehejahren mit Bruno viel aus dem Leben eines Buchenwaldhäftlings erfahren und wurde selbst eine konsequente Antifaschistin. Sie sprach die Hoffnung aus, dass es gelingt, die Jugend von diesen absurden faschistischen Ideen fern zu halten. Persönlich konnten wir ihr bestätigen, dass der Roman „Nackt unter Wölfen“, mir und damals vielen Jugendlichen, Hilfe bei der Entwicklung antifaschistischer Haltung war. Unsere Elterngeneration war teilweise noch von den  eingebläuten Naziphrasen infiziert und tat relativ wenig zur Wahrheitsfindung. Es war gut, dass es Pflichtliteratur und Filme gab, welche uns mit der Vergangenheit konfrontierten.

Wir hatten auch noch die Möglichkeit, viele Zeitzeugen persönlich zu erleben. Heute, verächtlich als staatlich verordnet bezeichnet, fanden viele einen antifaschistischen Standpunkt, ganz gleich, ob Mitglied der FDJ oder als junger Christ.

Wir hatten keine strittigen Fragen und versprachen uns, den neuen Film mit viel Objektivität aufzunehmen. 

Beim Betrachten vieler Szenenfotos im Foyer der Weimarhalle wurde bereits klar, dass diese Fernsehproduktion hohe Ansprüche an nervliche Kondition stellen wird. In Gesprächen mit Pressevertretern berichteten die Schauspieler von den höchsten körperlichen und psychischen Anforderungen während der Dreharbeiten. Eine Folterszene so echt wie möglich nach zu gestalten, ist wahrlich keine leichte Aufgabe.

Persönlich hatte ich  oft die Möglichkeit, mit noch lebenden Zeitzeugen zu sprechen, aber vor allen, ihnen zu zuhören. Erst vor zwei Jahren berichtete mir der ehemalige Häftling Albert Albertowitsch aus Minsk, wie er den Todesmarsch auf einer Strecke von 500 km in das Lager Buchenwald erlebte und danach knapp überlebte. Im Film widerspiegeln manche Szenen bis zur Schmerzgrenze die Grausamkeiten des Lageralltages. Es mag für viele erschreckend sein, aber der gewöhnliche Faschismus mit all seiner Brutalität wird uns in der Neuverfilmung sehr nah gebracht.

Wir erleben auch im neuen Film großartige schauspielerische Leistungen und eine hervorragende Regie. Florian Stetter überzeugt als Pippig, Sylvester Groth als Krämer und Peter Schneider als Höfel. Die Schauspieler sind tief in die Psyche der Romanfiguren eingedrungen und haben sich im Vorfeld intensiv über die Lagerrealität informiert. Während der Dreharbeiten wurde ihnen sehr bewusst, was Faschismus bedeutet.

Sehr komplizierte Rollen erfüllten in jeder Hinsicht Sabrin Tambrea als Hermann Reineboth und Robert Gallinowski als Robert Kluttig. Sie verkörperten die  ausführenden SS-Leute, welche den Häftlingen unmittelbar gegenüberstanden. Sabrin Tambrea groß, schlank, intelligent und gut aussehend, aber gleichzeitig absolut linientreu, hasserfüllt und hinterhältig, vertritt die junge Nazielite. Robert Gallinowski kennen wir aus vielen Bösewichtrollen. In diesem Film gibt er der Brutalität ein Gesicht, welches sich einprägen wird. Wir erleben eine großartige Ensembleleistung.

Wir sehen die letzten Tage des Lagers in aller Dramatik. Das herein geschmuggelte Kind bringt das illegale Lagerkomitee in eine äußerst komplizierte Lage. Es geht um die Frage des Überlebens tausender Häftlinge. Kann unter diesen Bedingungen die Konspiration gewahrt werden? Können die in Folterhaft  genommenen Kameraden stand halten? Lagerapelle, schuften im Steinbruch und immer wieder Brutalität und Kampf ums Überleben. Alles kommt sehr realistisch ins Bild. Eine Szene wurde allerdings in der TLZ angegriffen. Es geht um den unerträglichen Hunger. Wer die Buchenwaldgeschichte kennt, dem ist auch bekannt, dass es für die SS-Familien einen Zoo gab, wo Bären und Wölfe gehalten wurden. Diese Tiere und auch die Wachhunde wurden im Vergleich zu den Inhaftierten bestens verpflegt.

Eine kurze fiktive Episode schildert, wie Häftlinge einen Wachhund anlocken, schlachten und verzehren. Es wird gezeigt, wozu Hunger führen kann. Diese Szene spielt in einem verfilmten Roman und nicht in einer Dokumentation. So viel künstlerische Freiheit sei gestattet.

Es ist gut gelungen, kurze dokumentarische Filmausschnitte einzublenden. Sie zeigen das Vorrücken der alliierten Truppen. Die Handlungen der SS werden immer unberechenbarer. Die Liquidierung  der Häftlinge wird von den Lagerführern ernsthaft angestrebt.

Die Chancen für einen siegreichen Aufstand stehen schlecht und werden vom Lagerkomitee real eingeschätzt. Als die amerikanischen Truppen heranrücken, begibt sich der größte Teil der SS auf die Flucht. Die Kameraden des illegalen Lagerkomitees können die verbliebenen SS-Schergen festnehmen und eine weiße Fahne hissen. Sie gehen den amerikanischen Truppen entgegen und können das Lager übergeben.

Der Film endet nicht pathetisch, sondern still und offensichtlich Realitätsnah.

Wir haben selten ein so zutiefst betroffenes Publikum erlebt. Es war wohl höchstes Lob, das in den Minuten danach keiner wagte, die Stille durch Beifall zu stören.

Nach der Aufführung trafen wir noch einmal Frau Apitz. Sie fragte uns ob wir noch Bedenken haben. Nein, es ist ein großartiger Film, welcher gleichwertig neben der Erstverfilmung stehen sollte. Da waren wir einer Meinung. Ihr Wunsch, dass diesen Film viele Jugendliche sehen sollten, schließen wir uns an. 

 

 

 

Das Original Bruno Apitz und sein Roman „Nackt unter Wölfen“

 

Bruno Apitz wurde am 12. April 1900 geboren. Er lernte den Beruf eines Stempelschneiders und wurde Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend. In dieser Zeit nahm er auch Schauspielunterricht. Wegen seiner Aktivitäten gegen den 1.Weltkrieg wurde er 1918 wegen Landesverrat  verurteilt. 1927 wurde er Mitglied der KPD. Er begann zu schreiben und wurde Mitglied im Bund  Proletarisch- Revolutionärer Schriftsteller“. 1933 verlief sein Leidensweg durch verschiedenste Nazi-Haftanstalten. 1937 kam er in das KZ-Buchenwald und verbrachte dort viele Jahre bis zu seiner Befreiung 1945. Er kannte den KZ-Alltag durch eigenes Erleben.

Am 11.April 1945 lebten im Lager noch 21.000  Menschen, darunter 900 Kinder. Die anderen waren auf Todesmärschen in Vernichtungslager zum großen Teil umgekommen.

Aus diesen persönlichen Erlebnissen heraus entstand der Roman, welcher 1958 veröffentlicht wurde. „Nackt unter Wölfen“ ist in 30 Sprachen übersetzt und damit zum  Weltbestseller.

1963 wurde der DEFA-Film fertig gestellt. Die damalige Starbesetzung mit Erwin Geschoneck, Armin Müller-Stahl ist seit dem ein großer internationaler Erfolg. 

Nach jahrelanger Suche wurde das Buchenwaldkind Jerzy Zweig in Israel gefunden und in die DDR eingeladen. Bruno Apitz setzte sich dafür ein, dass sein Romankind an der Filmhochschule Babelsberg Kameramann studieren konnte.

Als Jerzy Zweig bemerkte, dass er zur lebenden Legende werden sollte und ständig herumgereicht wurde, verließ er wieder das Land. Die angedachte Rolle als Ikone war ihm peinlich, denn ihm war bekannt, dass an seiner Stelle ein anderes Kind auf den Todestransport gehen musste.

Bruno Apitz stand mit seinen überlebenden Lagerkameraden in ständiger Verbindung und wusste auch von Problemen über die Deutungsvarianten über die Lagerwirklichkeit.

Es ist schade, dass sein weiteres literarisches Schaffen wenig bekannt wurde.