Dem Vergessen entreißen: Vor 50 Jahren – der Diktator ist tot, es lebe die Diktatur

Wenn es um Geschichte geht, sind konservative Politiker immer schnell dabei, die Verbrechen im real existierenden Sozialismus zu benennen. Die Verbrecher in der eigenen Hemisphäre werden dagegen bis heute noch gefeiert und ihre mörderischen Taten verschwiegen.

Dem Vergessen entreißen: Vor 50 Jahren – der Diktator ist tot, es lebe die Diktatur

 

Die Regierung der Dominikanischen Republik hat es in mustergültiger Weise verstanden, auf der Grundlage einer freien und fortschrittlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik stabile und soziale Lebensbedingungen zu schaffen, wie sie einem modernen Staate entsprechen. Gebe Gott, daß das Volk der Dominikanischen Republik auch weiterhin einer glanzvollen wirtschaftlichen Entwicklung entgegengeht und noch viele Jahre auf den weisen Rat des 'Wohltäters des Vaterlandes', seiner Exzellenz des Generalissimus Trujillo, bauen kann.“: Diese anlässlich der 1956 in der damals Ciudad Trujillo genannten Hauptstadt der Dominikanischen Republik, Santo Domingo, von einem der schlimmsten, grausamsten und blutigsten Diktatoren inszenierten „Messe des Friedens und der Brüderlichkeit“ geschriebene Grußadresse stammte von keinem Geringeren als Dr. Ludwig Erhard, seinerzeit Wirtschaftsminister der BRD und somit Repräsentant eines Staates, der nicht müde wird, sein politisches System als „Freiheitlich-Demokratische Grundordnung“ zu preisen und die DDR als angebliche „SED-Diktatur“ zu verteufeln. Und vom Leiter der bundesdeutschen Wirtschaftsdelegation, Dr. Peter von Siemens, war zu diesem Ereignis unter anderem geschrieben worden: „Sie ist nach dem Willen ihres Schöpfers eine weltbürgerliche Tat als Zusammenklang einer Leistungsschau der Völker der westlichen Welt, die sich durch ein gemeinsames kulturelles Band verbunden wissen.



Die politische wie auch die wirtschaftliche Elite der BRD stieß sich so wenig wie die USA daran, dass an der Spitze der Dominikanischen Republik ein Mann stand, der seine Laufbahn als Verbrecher begonnen hatte, dessen Wirken von unzähligen Verbrechen geprägt war und der auch als Verbrecher enden sollte: Der vor 120 Jahren, am 24. Oktober 1891, in der Provinzhauptstadt San Cristobál als Sohn eines Viehhändlers und Viehdiebes geborene Rafael Leónidas Trujillo Molina „verdiente“ sich seinen Lebensunterhalt mit Viehdiebstahl, Scheckfälschung, Postraub und ab 1916 als Anführer der Verbrecherbande La 44. Noch im gleichen Jahr schlug seine große Stunde, als die USA im Schatten des Ersten Weltkrieges und daher zumindest in Europa weitgehend unbeachtet das Land durch Einheiten der später als „Ledernacken“ berüchtigt werden sollenden Marineinfanterie besetzten. Aus dem bis dahin unabhängigen Staat wurde eine US-amerikanische Kolonie, in der sich Konzerne wie das Bananenimperium „United Fruit Company“ breitmachten, die Bauern durch willkürliche Enteignungen von ihrem Grund und Boden vertrieben und darauf Zuckerrohrplantagen und Zuckerfabriken errichteten, in denen die vormaligen rechtmäßigen Eigentümer nun als Kulis zu Hungerlöhnen und unter menschenunwürdigen Bedingungen für den Profit der Aktionäre schuften durften. Die Industriestruktur wurde systematisch zerstört, um die neue Kolonie zu einem Absatzmarkt für US-amerikanische Produkte zu machen. Anstelle der Armee wurde aus Verbrechern und verkommenen Existenzen eine „Nationalgarde“ gebildet, die mit brutalster Gewalt gegen die mittlerweile entstandene Partisanenbewegung vorging. Das war die große Chance für den Kriminellen Rafael Trujillo und er wusste sie zu nutzen: Bei Strafexpeditionen tat er sich in Sachen Grausamkeit und Brutalität vor allen anderen besonders hervor, fiel so den US-amerikanischen Offizieren auf, die solche kaltblütigen und abgestumpften Mörder brauchten. So ließen sie ihn Karriere machen, schickten ihn auf eine ihrer Offiziersschulen und beförderten ihn schließlich zum Oberstleutnant und Stabchef der Nationalgarde. Als die „Ledernacken“ nach acht Jahren Besatzung wieder abzogen, konnte die Regierung in Washington diesen Schritt in der Gewissheit tun, dass ihre und natürlich die Interessen der Konzerne in Trujillo einen zuverlässigen Sachwalter besaßen. So hatte das Weiße Haus natürlich nichts dagegen, dass er die Nationalgarde in eine Armee verwandelte und sich zu deren Befehlshaber machte. Es gab auch keine Einwände, als er 1930 den Präsidenten Horacio Vasquez stürzte und sich mit Hilfe von Terror, Einschüchterung und gefälschten Stimmzetteln selbst zum Staatsoberhaupt „wählen“ ließ. Unter seinem Schutz konnten US-Konzerne ungestört schalten und walten. Was vom Lande noch übrig war, und das war keineswegs nur ein kläglicher Rest, machte er zu seinem ganz privaten Familienunternehmen. An der Spitze stand natürlich er selbst, bestimmte Industriezweige schanzte er seinen Angehörigen zu – sein Bruder Arizmendi, „nebenbei“ General der Armee, übte in seinem Auftrag die Kontrolle über die gesamte Fernsehindustrie aus, einen Schwager machte er zum Präsidenten der Textilindustrie („Industrial Textilo de Caribe“), einen anderen, Francisco Martin ez Alba, betraute er (unter anderem) mit der Leitung der Zement-, Akkumulatoren- und Eisenwarenbetriebe sowie der Organisierung großzügiger Importmanipulationen zugunsten der Privatschatulle des Diktators.


Als Trujillo an die Macht gelangte, besaß er kaum einen Centavo, wenige Jahre später gehörten ihm bereits 55 % des fruchtbarsten Bodens. Sein Vermögen betrug mehr als zwei Milliarden Dollar, wovon er ein Drittel in die USA, nach Kanada und Brasilien transferierte. Dank des alleinigen Eigentums an Viehfarmen, Mustergütern, Schlachthöfen und Konservenfabriken besaß er das Milch- und das Fleischmonopol, selbstverständlich alles durch Staatsgesetze geregelt. Wozu hatte er sich schließlich mit dem Parlament eine ihm hörige und somit zuverlässige Abstimmungsmaschine geschaffen? Lassen wir dazu einen seiner schärfsten Gegner, den aus Franco-Spanien vertriebenen baskischen Gelehrten Jesús Galíndez Suárez, zu Wort kommen: „Der Kongress ist eine Maschine, die dazu dient, der Annahme von Gesetzen, die die Regierung bereits vorbereitet und völlig gebilligt hat, einen konstitutionellen Anstrich zu geben.“ Die Oberschicht band er durch familiäre und wirtschaftliche Beziehungen an sich, wer aus der Reihe tanzte oder wo er es aus anderen Gründen für nötig hielt, wurde umgehend enteignet. So nahm er den Brauereiunternehmern die Betriebe weg, brachte sie in seinen Besitz und ließ ein Bier herstellen, das natürlich den Namen „Präsident“ erhielt. So mancher Industrielle versuchte sich in diesem Klima der Angst zu retten und beliebt zu machen, indem er den „Wohltäter des Vaterlandes“, wie sich Trujillo offiziell nennen ließ, gewissermaßen händeringend darum bat, doch die Aktienmehrheit seiner Firma als „kleines bescheidenes Geschenk“ anzunehmen. Daneben unterhielt er teure und anrüchige Bordelle, Spielkasinos und Vergnügungsetablissements; Korruption und Schmiergeldsystem erlebten eine ungeahnte Blüte. So hatte er in der Staatslotterie nicht nur eine nie versiegende Einnahmequelle für sich, sondern auch für gute Freunde, denen er vor jeder wöchentlichen Ziehung die Nummer des Hauptgewinns mitteilen ließ. Völlig zu Recht schrieb Prof. Galíndez in seinem vom Diktator so sehr gefürchteten Buch „Die Ära Trujillo“: „Man kann wohl sagen, dass Trujillo zwar nicht der Wohltäter der Dominikanischen Republik, wohl aber seiner Familie ist.“ Eine gleichermaßen zutreffende Aussage traf die „NEW YORK TIMES“, als sie schrieb: „Das Land wurde des Diktators private Provinz, und er verteilte einträgliche Geschäfte unter seine Verwandten.


In Europa wird gemeinhin der um den Stalin genannten schnauzbärtigen Georgier Josef Dshugaschwili betriebene Personenkult heftig kritisiert und verurteilt, zu Recht, natürlich, doch der um den „Benefactor de la Patria“, wie „Wohltäter des Vaterlandes“ auf Spanisch heißt, inszenierte stellte alles in den Schatten, ließ selbst den Kult um Mao Tse-tung und Kim Il Sung zu bescheidener Stümperei werden: Es ist kein Schreibfehler, sondern die volle Wahrheit – an die 2.000 Denkmäler ließ sich der Diktator eines Landes setzen, dessen Fläche nicht einmal so groß ist wie die von Mecklenburg und Brandenburg zusammen, also 50.000 km². Allein sein Reiterstandbild ragte 28 m in die Höhe! Kein Bürger dieses Ländchens konnte einen Schritt tun, ohne fortwährend an den auf eine Stufe mit dem lieben Gott gestellten „Generalissimus“ erinnert zu werden. So wies an jeder Parkbank eine Bronzetafel darauf hin, dass sich dort Ausruhende den Schatten des dahinter stehenden Baumes Trujillo verdankten, an allen Brunnen, dass Gott und Trujillo das kostbare Nass spendeten. In den Krankenhäusern wurde den Patienten eingehämmert, dass nicht der Arzt sie heilte, sondern Trujillo. In den wenigen Seniorenheimen, die es im Lande gab, prangten Spruchbänder mit dem Text „Nur Trujillo ist uns Stütze.“ und in der Hauptstadt machten des Nachts grelle Leuchtreklamen mit den Worten „Gott und Trujillo“ jedem Einwohner und Besucher bewusst, dass der Diktator gottgleich, mindestens jedoch gottähnlich war. In jedem öffentlichen Gebäude, aber auch in jeder Privatwohnung, selbst in den Hütten der Ärmsten, prangte sein Konterfei, als Farb- oder Schwarz-Weiß-Foto, im Vierfarb- oder Schwarz-Weiß-Druck, in Öl, Tempera, Wasserfarbe und so weiter und so fort. Büsten und Denkmäler in Gips, Stein, Marmor oder Bronze, der Diktator als Hoch-, Flach- oder Tiefrelief, in welcher Mannigfaltigkeit an ihn erinnert wurde, war kaum zu zählen. Größenwahnsinnige Titel hämmerten jedem ein, dass der einstige Viehdieb und brutale Mörder das eben gerade nicht war, sondern der „Messias“, „Vater des Vaterlandes“, „Polarstern der Nation“, „Geliebter Führer“, „Wohltäter des Volkes“, „Schutzherr der Wissenschaft“, um nur einige zu nennen. Selbstverständlich war er überall der „Erste“ - „Erster Lehrer“, „Erster Arbeiter“, „Erster Bauer“, „Erster Wissenschaftler“, „Erster Student“ und natürlich war er auch Ehrendoktor der Universität. Da die Frage, welchen Wissenschaftszweig man bei der Verleihung berücksichtigen sollte, nicht entschieden werden konnte, wurde der Diktator schlicht als „Doktor der Wissenschaften“ geehrt. Nun ja, schließlich hatte er Grund und Boden für die neue Universitätsstadt für 10.000 Dollar erworben und zu deren Errichtung großzügig für die „bescheidene“ Summe von 100.000 Dollar verkauft. Sein Größenwahnsinn ging so weit, dass er sich selbst mit Staaten anlegte, die seine Terrorherrschaft stützten: Als Großbritannien 1953 das Ansinnen zurückwies, seine noch nicht vierzehnjährige Tochter Angelita als Sonderbotschafterin zu den Krönungsfeierlichkeiten für Königin Elizabeth II. zu akkreditieren, verwies er dessen Botschafter des Landes. Die US-amerikanische Militärakademie Fort Leavenworth verweigerte seinem Sohn Ramfis, dem das Feiern von Orgien mehr behagt hatte als das von ihm dieserhalb so arg vernachlässigte Studium, das Abschlussdiplom – der Diktator rächte sich mit der Kündigung der Stützpunktverträge. Das allerdings wagte er sich nur ein einziges Mal, wobei er überdies den Kürzeren zog und klein beigeben musste: Im Weißen Haus liebte man keine Marionetten, die sich selbständig machten, und so genügte eine kleine Drohung mit dem, was in den Panzerschränken der CIA über seine Verbrechen schmorte, um ihn sich wieder brav in die Reihe der Diktatoren von Washingtons Gnaden einfügen zu lassen.


Im Sommer 1960 tanzte er allerdings nochmals aus der Reihe, als er einen Mordanschlag auf den ihm persönlich verhassten venezolanischen Präsidenten Rómulo Betancourt verüben ließ, der fehlschlug. Die Empörung in vielen lateinamerikanischen Staaten vermochten auch die USA angesichts der eindeutigen Beweise nicht zu beschwichtigen, die von ihnen ausgehaltene Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) musste sich wohl oder übel mit dem Fall beschäftigen und Sanktionen verhängen. Trujillo verließ die politische Bühne, doch nur zum Schein: Der von ihm ernannte Präsident Joaquín Balaguer war als altgedienter Anhänger des Diktators bloßer Strohmann, der als sein treuer und zuverlässiger Sachwalter fungierte. Doch das war noch nicht alles – unter dem Schutz der ihn immer noch benötigenden USA konnte es sich Trujillo leisten, die lateinamerikanische Öffentlichkeit zu brüskieren, indem er sich nicht nur zum Sonderbotschafter der Dominikanischen Republik bei der UNO ernannte, ohne freilich jemals das Hauptquartier der Vereinten Nationen auch nur betreten zu haben, sondern überdies die Unverschämtheit besaß, sich höchstselbst für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen.


Während die Ärmsten für 12 Stunden Schufterei am Tage bestenfalls den lächerlichen Betrag von 1,30 Peso erhielten, lebte der Diktator samt Familie in Protz und Prunk, ließ sich nicht nur eine Märchenresidenz, sondern auch zahlreiche Paläste im Lande errichten, von denen er manchen allenfalls ein einziges Mal im Leben benutzte. Die Hauptstadt ließ er zu einer hypermodernen Metropole mit repräsentativen Bauten aus Beton, Stahl, Glas, Chrom und Aluminium umgestalten, womit er vor allem zahlungskräftige Geschäftsleute und reiche Nichtstuer aus den USA, Kanada und Westeuropa anlockte. Luxuriös ausgestattete Hotels wie das „Embejador“, natürlich alle im Besitz der Familie Trujillo, ein nächtliches Meer aus Lichtkaskaden, Lichtfontänen und Leuchtreklamen vermittelten ausländischen Besuchern ein beeindruckendes Bild von Lebensfreude, Ordnung, Sauberkeit, Harmonie, Schönheit und Eleganz. Insgesamt 30 Millionen Peso hatte diese „Wohlstandsfassade“ verschlungen – das war ein Drittel des Staatshaushalts! Die, die für die Inszenierung dieser Wohlstandsfassade schuften mussten, die Industrie- und die Plantagenarbeiter, die Bauern, die Hafenkulis, Tagelöhner und Gelegenheitsarbeiter, sie alle wurden ihrer Armut wegen von den Gästen ferngehalten. Für die Zeit jener protzigen „Messe des Friedens und der Brüderlichkeit“ ließ er gar alle Bettler in eigens für diese eingerichtete Konzentrationslager sperren, damit keiner des bitteren Elends im Lande ansichtig werden konnte. Über die berüchtigten Orgien des Diktators und seine zum Spitznamen „Chivo“ („Ziegenbock“) geführt habende Gier nach attraktiven Frauen und jungen Mädchen, denen schlimmstes drohte, wenn sie sich ihm verweigerten, sah man großzügig hinweg, zumal er reichen Nichtstuern mit Spielkasinos und luxuriösen Bordellen geradezu paradiesische Zustände bot.


Das Volk schwieg dazu, es lebte in Demut, zum großen Teil gar in tiefster Armut, doch warum? Natürlich stützten die USA den heimlichen Hitler- und offenen Franco-Verehrer, denn er hatte nicht nur Konzernen wie United Fruit Company, Barium Steel Corporation, Falconbridge Nickel Corporation, American Suger Refining Company, Stone & Western Incorporation, Aluminium Corporation of America und US-Steel Corporation geradezu märchenhafte Kapitalverwertungsbedingungen verschafft, er war auch einer ihrer besten Geschäftspartner und als blutrünstiger und schärfster Wachhund sowie skrupellosester Komplize ihr verlässlichster Mann im karibischen Raum. US-amerikanische Großbanken wie die Intercontinental Banking Company, dazu die Royal Bank of Canada und die Bank of Nova Scotia kontrollierten die gesamte Wirtschaft der Inselrepublik, wobei die jährlich investierten 250 Millionen Dollar mehr Gewinn brachten als in jedem anderen Land des lateinamerikanischen „Hinterhofs der USA“. Wie hatte doch Präsident Dwight D. Eisenhower so eiskalt und treffend wie auch hilflos gesagt? - „Wir brauchen mehrere Trujillos.“, und weiter „Er ist zwar ein Schweinehund, aber er ist unser Schweinehund.“ Admiral Mahan drückte es nüchterner aus: „Eines ist gewiss – im Karibischen Meer liegt der strategische Schlüssel zu zwei großen Ozeanen, dem Atlantischen und dem Pazifischen, die unsere wichtigsten maritimen Grenzen darstellen.“ Da wurde auch über die vom Diktator 1937 befohlene Abschlachtung von rund 27.000 Zuckerrohrarbeitern aus Haïti, die in ihrer Verzweiflung im Nachbarstaat Arbeit gesucht hatten, großzügig hinweggesehen. Gleichfalls zu seinen verlässlichsten Stützen zählten unter anderem Franco-Spanien und wie eingangs schon erwähnt die BRD, die in Sachen Demokratie bekanntlich noch nie zart besaitet war, wenn es sich denn um stramm antikommunistische Diktaturen handelte. Wie schrieb doch das Düsseldorfer „Handelsblatt“ so treffend? - „Die politische und wirtschaftliche Stabilität der Dominikanischen Republik beruht ganz wesentlich auf der Persönlichkeit Dr. Rafael Leónidas Trujillo Molinas. Er trägt daher den Beinamen 'Wohltäter und Vater des neuen Vaterlandes'.“ Nicht umsonst also erhielt der Bruder des Diktators, Hector Trujillo, das Großkreuz des Verdienstordens der BRD, ihr Außenminister Heinrich von Brentano einen hohen dominikanischen Orden, und nicht umsonst wurde zwischen beiden Staaten ein Freundschaftsvertrag abgeschlossen.


Die zweite und lange Zeit äußerst zuverlässige Säule, auf die sich die „Ära Trujillo“ stützte, war die katholische Kirche, nicht nur im Lande selbst, sondern auch die in den USA und selbstverständlich der Vatikan. Mit Papst Pius XII. empfing einer der schärfsten Antikommunisten und unversöhnlichsten Verfechter des Kalten Krieges 1954 den blutbefleckten Diktator und die „Alleinseligmachende“ war sich nicht zu fein, mit diesem ein Konkordat abzuschließen. Warum sollte sie dabei auch Gewissensbisse haben, schließlich hatte sie doch schon 21 Jahre zuvor den deutschen Faschismus mit einem solchen Vertrag salonfähig gemacht und Trujillo zählte ohnehin zu Hitlers Bewunderern! So war sich denn auch der New Yorker Erzbischof Kardinal Francis Joseph Spellman nicht zu schade, vor dem Diktator eine Messe zu lesen und ihm folgende Widmung zu hinterlassen: „With happy remembrances of my visit to the Catholic Congress in Ciudad Trujillo in the Dominican Republic – F. J. Cardinal Spellman“ („Mit glücklichen Erinnerungen an meinen Besuch beim Katholischen Kongress in Ciudad Trujillo in der Dominikanischen Republik“). Wusste der Vatikan, wussten die sechs Bischöfe des Landes, dass die katholische Kirche für den Diktator nicht mehr als ein Theaterrequisit war, deren Glockengeläut die Schreie der Gefolterten und deren Weihrauch den Gestank der Leichen überdeckten? Einerlei, ob sie es wussten oder nicht, ob sie es wollten oder nicht, sie gaben ihm jedenfalls beides und luden so schwere Schuld auf sich.


Die dritte Stütze war sein Angst und Schrecken verbreitender Terrorapparat, genannt „Seguridad Nacional“ („Nationale Sicherheitsbehörde“). Um sich überhaupt eine Vorstellung davon machen zu können, muss man gedanklich die Methoden von SS und Gestapo mit denen der „Paras“ genannten berüchtigten französischen Fallschirmjäger im Kolonialkrieg gegen die Bevölkerung Algeriens vereinen und glücklich konnte sich der schätzen, der mit dieser Behörde nichts zu tun bekam. Das waren freilich nur wenige, denn in einem Land mit knapp drei Millionen Einwohnern entging den 20.000 gut geschulten und zu jedem Verbrechen bereiten Beamten nichts – keine kritische Äußerung, kein Telefongespräch, keine Postsendung. Wer gezwungen wurde, in einen im Volksmund voller Angst „El carro de la muerte“ („Wagen des Todes“) genannten roten „Packard“ oder in einen der schnellen khakifarbenen „Volkswagen“ der „Seguridad Nacional“ einzusteigen, der landete in den Folterkellern der eiskalten Mörder, oftmals auf persönlichen Befehl Trujillos, und der lebte nicht lange. Wer die grausamen Foltermethoden solcher Kreaturen des Diktators wie dem berüchtigten Ludovino Fernandez, in den Akten des Geheimdienstes unter der Nummer 34 geführt und „Der Lahme“ genannt, oder Cecil Leloir überlebte, der sah dennoch die Freiheit nie wieder, denn er wurde bei Nacht und Nebel ein Opfer der berüchtigten Haifischbucht. Jegliche Opposition ließ der „Benefactor de la Patria“ blutig unterdrücken und ins Exil gegangene Gegner wurden gnadenlos gejagt, waren nirgendwo sicher, jedenfalls nirgendwo auf dem amerikanischen Kontinent: Sein Agenten- und Spionagenetz reichte in die USA, Mexiko, Haïti, Honduras, Venezuela, Brasilien, Kuba, ja sogar bis Mitteleuropa. Mordkommandos setzten alles daran, Emigranten aufzuspüren und sie umzubringen. Im Jahre 1935 war ihnen in New York mit Sergio Bencosme ein prominenter Oppositionspolitiker zum Opfer gefallen, im Oktober 1953 traf es Andrés Requena, und am 12. März 1956 ließ Trujillo seinen Widersacher Galíndez in betäubtem Zustand aus New York entführen, was freilich nur mit Unterstützung, mindestens aber Duldung der CIA möglich war, gen Ciudad Trujillo fliegen und nach grausamen Folterungen ermorden. Der Fall erregte großes Aufsehen, weshalb sich CIA und FBI schließlich zu Ermittlungen gezwungen sahen, freilich nicht, um aufzuklären und den dominikanischen Diktator als Verantwortlichen zu überführen, sondern um diesbezügliche Beweise sicherzustellen und in den eigenen Panzerschränken verschwinden zu lassen. In Kuba war die Revolution auf dem Vormarsch, auch in anderen lateinamerikanischen Staaten gärte es, selbst in der Dominikanischen Republik hatte sich eine Partisanenbewegung, wenn auch wenig erfolgreich, zu formieren begonnen. Griff das kubanische Beispiel über, waren mit der Ära Trujillo hier ebenfalls die goldenen Zeiten der US-amerikanischen Banken und Konzerne gezählt. So musste der Diktator auf Biegen und Brechen vor Schaden bewahrt werden – unliebsame Zeugen der Entführung wurden beseitigt und daran Beteiligte, die den Mund nicht halten konnten, traf es ebenfalls. Zudem verstand es der „Generalissimus“ meisterhaft, Komödie zu spielen, um die Öffentlichkeit zu täuschen. So ordnete er 1959 nach internationalen Protesten die Freilassung prominenter Oppositioneller wie der Schwestern Antonia María Teresa, Minerva Argentina und Patria Mercedes Mirabal an – am 25. November 1960 wurden sie plötzlich alle drei Opfer eines Autounfalls. Zufall? Der „Zufall“ hieß „Seguridad Nacional“.


Ein weiteres aus dem breitgefächerten Arsenal seiner Täuschungsmanöver war der, freilich nur vorübergehende, Rückzug von der Staatsspitze und die Einsetzung von Strohmännern, wobei er im Hintergrund weiterhin die Fäden zog. Ebenso liebte er es, politisches Theater zu spielen, mit dem er Demokratie vorgaukelte: Offiziell zugelassen war nur eine einzige Partei und das war seine eigene, die „Partido Dominicano“ („Dominikanische Partei“), doch gelegentlich tauchten in der Hauptstadt, von ihm selbst inszeniert und in seinem Auftrage organisiert, wie vom Himmel gefallen plötzlich Gruppen von Personen auf, die durch die Straßen zogen, Schmähungen gegen den Diktator riefen und den anwesenden Pressevertretern und Rundfunkreportern bereitwilligst Interviews gaben. Dann war der Zeitpunkt gekommen, wo sie entweder ganz schnell wieder verschwanden oder, gleichfalls in seinem Auftrage, „Gegendemonstranten“ auftauchten, die sich mit den „Oppositionellen“ Scheingefechte lieferten. Die Polizei „schritt ein“, es gab einige „Festnahmen“ und Schauprozesse, der Diktator hatte seinen Spaß und die US-amerikanische Presse konnte ihren Lesern berichten, wie „demokratisch“ es doch in der Dominikanischen Republik zuginge. Wenn es angebracht schien, wurden sogar „Oppositionsparteien“ gegründet – nach genauem Drehbuch unter fleißigem Zutun der „Seguridad Nacional“ versteht sich. Dass sie irgendwelchen Einfluss erlangten, war natürlich nicht vorgesehen, mehr als des Parteinamens bedurfte es in diesem von Trujillo „organische Demokratie“ genannten politischen Schmierentheater auch nicht.

Doch die Zeit arbeitete immer stärker gegen die Trujillo-Diktatur, die im revolutionären Befreiungskampf auf der Nachbarinsel Kuba eine so große Gefahr sah, dass der „Vater des neuen Vaterlandes“ gar Vorbereitungen zur Aufstellung einer antikubanischen Fremdenlegion traf, für die auch in der BRD ansässige einstige Angehörige von Gestapo, SS und Wehrmacht geworben wurden. Die besaßen schließlich hinlängliche Erfahrungen bei der „Bekämpfung des Kommunismus“. Linke Oppositionsbewegungen orientierten sich immer mehr am Beispiel Kubas, weshalb in Washington die Alarmglocken schrillten. Ein „zweites Kuba“ auf dem „Hinterhof“ wollten die USA unter allen Umständen verhindern. Dazu aber erschien ihnen Trujillo nicht mehr geeignet, im Gegenteil, seine Terrorherrschaft begann für die US-amerikanischen Konzerne und Banken langsam, aber sicher zur Gefahr zu werden. Auch die katholische Kirche konnte sich die vorbehaltlose und offene Unterstützung der Trujillo-Diktatur nicht mehr leisten, wollte sie unter der Bevölkerung nicht an Einfluss verlieren. Die Familienherrschaft begann zu bröckeln, aus dem bis dahin guten Einvernehmen der Bischöfe mit ihr wurde zunehmende Distanz. Prägnantester Ausdruck dessen war der am 25. Januar 1960 von allen Kanzeln verlesene Hirtenbrief, in dem Erzbischof Ricardo Pittini erstmals offene Kritik wagte. Die USA begannen, ihren schärfsten, aber nicht mehr geeignet erscheinenden Wachhund in der Karibik fallenzulassen und Szenarien für die Beseitigung Trujillos sowie die Zeit nach ihm auszuarbeiten: Schon seit 1958 traf die CIA Vorbereitungen für einen Putsch, um linken Kräften zuvorzukommen und eine von Washingtons Gnaden unabhängige Politik zu verhindern. Trujillo und seine Familienherrschaft sollten weg, Macht und Einfluss der US-amerikanischen Konzerne und Banken jedoch unter allen Umständen unangetastet bleiben. Zwangsläufig beschränkten sich so alle Vorbereitungen auf die mehr oder weniger blutige Ablösung der Trujillo-Diktatur durch eine andere, Demokratie, die solchen Namen wenigstens halbwegs verdiente, kam da nicht in Frage. Folglich plante die CIA einen Sturz der Familienherrschaft und die Einsetzung einer der einheimischen Hochfinanz entstammenden Regierungsmannschaft. Keineswegs sollten bürgerlich-liberale und schon gar keine linksgerichteten Kräfte künftig die Geschicke des Landes bestimmen.


Bereits der erste Schritt war nicht nur äußerst schwierig, sondern in jeder Beziehung lebensgefährlich: Unter den Bedingungen strengster Geheimhaltung waren Menschen zu finden und mussten sich Menschen zusammenfinden, die, aus welchen Gründen auch immer, die Trujillo-Diktatur ablehnten, die einander bedingungslos vertrauen und sich einer auf den anderen unter allen Umständen verlassen konnte, Menschen, die den Mut hatten, die Tat unter Einsatz des eigenen Lebens auszuführen. Jeder Schritt war so zu planen und zu verwirklichen, dass niemand, vor allem nicht die „Seguridad Nacional“, auch den allerkleinsten Verdacht schöpfen konnte, und selbstverständlich war für Sicherheit und Fluchtmöglichkeit der Verschwörer ausreichend Vorsorge zu treffen. Nach langem und mit äußerster Vorsicht vor sich gehendem Suchen, bei dem vor allem sicher sein musste, wem vertraut werden konnte, fanden sich schließlich die sieben Verschwörer Pedro Livio Cedeño, Antonio Imbert, „Toni“, ehemaliger Gouverneur der Nordregion, Antonio de la Maza, der für Trujillo die Geschäfte in einem Sägewerk in der Nähe der haïtianischen Grenze führte, der 42 Jahre alte Straßenbauingenieur Salvador Estrella Sadhalá, genannt „Turco“, sowie Amada „Amadito“ García Guerrero, ein Leutnant aus Trujillos Leibwache, der Ingenieur Huáscar Tejeda Pimentel und Roberto „Fifí“ Pastoriza Neret zusammen, um, angeleitet von General Juan Tomás Diaz, den Anschlag auf den Diktator vorzubereiten. An der Vorbereitung wirkten zudem weitere Personen mit. Ihre Motive waren durchaus unterschiedlicher Natur – manchem schlug nach Jahren der Mithilfe bei Trujillos Verbrechen schon längere Zeit das Gewissen, einige standen in politischer Opposition zur Diktatur, andere wiederum waren selbst Opfer des Diktators geworden oder hatten durch ihn Familienangehörige verloren. Diese Umstände erklären neben der notwendig gewesenen äußerst strengen Geheimhaltung zumindest teilweise, warum sich die Attentäter in allererster Linie auf die Beseitigung des Massenmörders konzentrierten, für die Zeit nach seinem Tode jedoch so gut wie keine Vorstellungen hatten. So konnten sie allenfalls den Weg für eine neue Trujillo-Diktatur, nun eben ohne Trujillo, freimachen. Für das Gelingen des Anschlags war ausschlaggebend, dass die Verschwörer genügend Informationen über die Gewohnheiten des Diktators beschaffen konnten, vor allem über seine Vorliebe, bei den nächtlichen Fahrten zum und vom Landsitz Fundacion gewöhnlich allein im Wagen zu sein, gut Bescheid wussten. Nur sein Fahrer Zacario de la Cruz, der am Steuer des Chevrolet „Bel Air“ mit dem Kennzeichen 0-1823 saß, begleitete ihn, auf die Leibwache wurde verzichtet. Bei so mancher Vergnügungsreise zog Trujillo die Unauffälligkeit dem ansonsten üblichen Pomp und Aufsehen vor. So erwartete ihn die Verschwörergruppe in der Nacht vom 30. zum 31. Mai 1961 an der Uferstraße der Hauptstadt, weit genug vom Zentrum entfernt. Die zu allem Entschlossenen waren keineswegs ruhig und kaltblütig, ihre Nerven vielmehr zum Zerreißen gespannt. Würde der Diktator tatsächlich kommen oder, unberechenbar wie er war, seine Pläne wie so manches Mal kurzfristig geändert haben? Würde der Anschlag gelingen und der Tyrann den Tod finden, würde man sicher und unerkannt entkommen können, noch bevor seine Familie und die Häscher der „Seguridad Nacional“ davon erfahren hatten? Was sie erwartete, wenn sie in deren Hände fielen, war jedem von ihnen klar. Um sicher zu gehen, benutzten die Verschwörer drei Fahrzeuge, einen hochgezüchteten Chevrolet und einen Oldsmobile, aus denen auf den Wagen des Diktators das Feuer eröffnet werden, und einen Mercury, mit dem für den Fall der Fälle die Fahrbahn blockiert werden sollte, um ein Entkommen des Tyrannen zu verhindern.


Gegen 22.00 Uhr näherte sich Trujillos Wagen der Stelle, an der sich die Verschwörer unauffällig postiert hatten. Jetzt galt es die Nerven zu behalten und kaltblütig zu handeln – ihre Fahrzeuge verließen unverzüglich den Seitenstreifen, rasten auf die Fahrbahn, um den Chevrolet zu überholen. Rasch auf gleicher Höhe mit der Staatskarosse, eröffneten die Verschwörer aus den heruntergekurbelten Seitenfenstern sofort das Feuer auf den völlig überraschten Tyrannen. Ihre Maschinenpistolen hämmerten, die Geschosse zersiebten den Wagen, durchlöcherten die Reifen, doch noch lebte Trujillo, der wie auch sein Fahrer stets schwerbewaffnet war. Am Ende sollten insgesamt 52 Einschusslöcher gezählt werden! Dem verwundeten Zacario de la Cruz gelang es noch, das getroffene Fahrzeug auf dem Seitenstreifen zum Stehen zu bringen und auszusteigen, dann brach er zusammen. Auch der schwerbewaffnete und weiter um sich schießende Diktator konnte, obwohl verletzt, den Wagen verlassen, wobei von ihm folgende Äußerung überliefert ist: „Coño, me han herido!“ („Scheiße, sie haben mich verletzt!“). Trujillo war keineswegs von Gefühlen der Angst oder Feigheit befallen, er blieb auch jetzt der, der er immer schon gewesen war – ein eiskalter und brutaler Mörder. Doch nur noch Sekunden waren ihm beschieden, dann beendete ein Feuerstoß aus der Maschinenpistole von Antonio de la Maza das Leben des Tyrannen: Ein Schrei, danach ein Griff zum Herzen, das waren seine letzten Lebensäußerungen, gefolgt vom metallischen Klirren der auf die Straßendecke fallenden schweren Armeepistole. Die weiße Galauniform war blutbefleckt, als er zu Boden sank. Dem Massenmörder Rafael Leónidas Trujillo war das Schicksal bereitet worden, das er nahezu 31 Jahre lang Tausende von Menschen hatte ereilen lassen. Die Verschwörer schafften es noch, die Leiche in den Kofferraum der Staatskarosse zu legen, dann fiel von ihnen sämtliche Ruhe, Anspannung und Kaltblütigkeit ab. Es war vollbracht, wofür sie monatelang die Gefahr, eines Tages von der „Seguridad Nacional“ doch noch entdeckt zu werden, mutig, ja todesmutig auf sich genommen hatten. Doch nun verließ sie aller Mut und alle Freude über die gelungene Tat, begannen Gefühlen von innerer Leere, Mutlosigkeit und auch Angst zu weichen. „Was nun?“, war die bange Frage, die sich ihnen mit aller Macht aufdrängte, was sollte nun werden? Wie lange würde es dauern, bis neben der Öffentlichkeit auch Familienklüngel und „Seguridad Nacional“ vom gewaltsamen Tod des Tyrannen erfahren würden, wie lange würde es dauern, bis die Mordmaschinerie zu rasen begann? Niemand kannte bislang die Namen der Verschwörer, doch würde das so bleiben? Würde sich unter den zwangsläufig vorhandenen Mitwissern nicht doch jemand finden, der Verrat begehen oder zumindest leichtfertig oder kopflos handeln könnte? Jetzt rächte sich, dass sich die Verschwörer einzig und allein auf die Beseitigung des Tyrannen konzentriert und keinerlei Vorbereitungen für die rasche Entmachtung der Familiendynastie, die Einsetzung einer zumindest bürgerlich-demokratischen Regierung und den Erlass von Gesetzen zur endgültigen Beseitigung der Hinterlassenschaften der „Ära Trujillo“ ausgearbeitet hatten. Ebenso rächte sich, dass die Verschwörer auf sich allein gestellt handelten und keine breite Volksbewegung für den Sturz der Diktatur organisiert worden war. Selbstverständlich wäre das angesichts der Herrschaftsverhältnisse ein äußerst schwieriges Unterfangen gewesen, doch sich einzig und allein auf den, offenbar nur halbherzig gewesenen, Segen von Weißem Haus und CIA zu verlassen, reichte eben nicht. Die CIA jedenfalls gedachte nicht, sich das Heft aus der Hand nehmen zu lassen, sie tat vielmehr alles, um eine eigenständige Politik der Verschwörergruppe zu verhindern. Verrat war auf jeden Fall im Spiele, denn alsbald drang ein Kommando der „Seguridad Nacional“ in das Haus von Juan Tomás Diaz ein, um ihn und weitere dort versammelte Mitverschwörer festzunehmen. Beide Seiten lieferten sich ein heftiges Feuergefecht, bei dem der General und die bei ihm befindlichen Personen den Tod fanden, ein weiterer Anwesender verstarb auf dem Weg ins Militärkrankenhaus. Der beim Anschlag auf Trujillo schwer verletzte und von seinen Kameraden offenbar in Kopflosigkeit in ein Krankenhaus gebrachte Pedro Livio Cedeño wurde dort von Häschern der „Seguridad Nacional“ verhaftet und ohne jede Rücksicht auf seinen Zustand gefoltert. So schon nicht mehr Herr seiner Sinne gewesen, gab er weitere Namen preis. Seine im sechsten Monat schwangere Frau Olga Despradel wurde ebenso wie auch viele Angehörige der anderen Verschwörer verhaftet und über einen längeren Zeitraum in einem der Foltergefängnisse festgehalten. Unter Folter wurden selbst Menschen, die in keinerlei Verbindung zur Verschwörung gestanden hatten, beschuldigt. Die nach wie vor intakte Mordmaschinerie begann nach dem ersten Schrecken über die Todesnachricht zu rasen – noch in der Nacht zum 31. Mai 1961 wurden etwa 1.000 Menschen festgenommen. Nur zwei der am Anschlag Beteiligten, darunter Antonio Imbert, gelang es zu entkommen und unterzutauchen.


Auch die Spitzenvertreter der Diktatur brauchten einige Zeit, um sich von ihrer Überraschung über den gelungenen Anschlag zu erholen: Zunächst wurde versucht, Zeit zu gewinnen – erst am Nachmittag des 31. Mai um 16.45 Uhr gab Präsident Balaguer die Todesnachricht im Rundfunk bekannt und beschwor die Bevölkerung, Ruhe zu bewahren: „Es kommt jetzt darauf an, Besonnenheit zu wahren und an der Fortsetzung der Politik Trujillos mitzuarbeiten.“ Eine neuntägige Staatstrauer wurde angeordnet. Das einfache Volk brauchte nach jahrzehntelangem Leben in Unterdrückung und Angst gleichfalls einige Zeit, um die Nachricht zu begreifen, doch dann brach ein Sturm los: Tausende gingen auf die Straßen, lachten, tanzten, jubelten vor Freude. Erste Forderungen nach einer vollständigen Beseitigung der Terrorherrschaft der Trujillos wurden laut, Paläste der Familie und öffentliche Gebäude gestürmt. Polizei und Armee wurden eingesetzt, um die aufflammende Volksbewegung in Keime zu ersticken, Panzer fuhren auf, in die Menge wurde geschossen. Es gab hunderte Tote und Verletzte, die Straßen waren voller Blutlachen. Der Protest ging weiter - „Nieder mit der Diktatur!“, „Fort mit den Trujillos!“ und „Bestraft die Mörder!“ wurde gefordert. Noch einmal bäumte sich die Familiendynastie auf, um ihre Herrschaft mit allen Mitteln aufrechtzuerhalten und jede Volksbewegung grausam zu unterdrücken: Rafael Trujillo, genannt Ramfis, einer der Söhne des Tyrannen und nunmehriges Familienoberhaupt, kehrte eilends aus Paris zurück, um als neuer Diktator die Zügel um so fester in die Hand zu nehmen. Noch launischer, unberechenbarer, grausamer und unsicherer als sein Vater, ließ er die Mordmaschinerie zu Höchstform auflaufen. Wie auch sein Bruder Rhadamés überwachte er die Folterungen in den Kerkern der „Seguridad Nacional“ nicht nur höchstpersönlich und weidete sich an den Qualen der Opfer, er nahm auch selbst die Pistole in die Hand, um eine große Anzahl der Verschwörer eigenhändig zu ermorden. Das – politisch immerhin weit rechts stehende - Nachrichtenmagazin „U.S. News and World Report“ schrieb dazu: „Der gleich nach Trujillos Tod entfesselte Terror ist grauenhafter als alles, was man unter der Regierung des Generalissimus durchmachen musste.“ Ein Sprecher des US-amerikanischen Außenministeriums (State Department) erklärte: „Die Unterdrückungsmaßnahmen, die gegenwärtig gegen die Bevölkerung auf dem Lande ausgeübt werden, sind das Schrecklichste und Furchtbarste, was dort seit langem geschehen ist.“ Doch auch durch noch so schlimmen Terror war nicht zu verhindern, dass auf den Straßen die Proteste weitergingen, Bilder des Tyrannen verbrannt, seine Denkmäler geschleift, Plakate von den Wänden gerissen und die größenwahnsinnigen Titel des Diktators von den Bronze- und Marmortafeln abgeschlagen wurden. In Washington begann die Besorgnis zu wachsen, der zu dringenden Besprechungen in Paris weilende Präsident John F. Kennedy wies seinen Außenminister Dean Rusk umgehend an, nicht wie geplant in die Seinemetropole zu reisen, sondern die Ereignisse in der Dominikanischen Republik unter Kontrolle zu bekommen. Der Küste des Landes näherten sich US-amerikanische Kriegsschiffe, darunter die Flugzeugträger „Shangri-La“, „Intrepid“ und „Boxer“, angeblich zum Schutze der 5.000 eigenen Staatsbürger, in Wahrheit jedoch zur Wahrung der Interessen der im Lande tätigen Konzerne. Die Leiche Trujillos war unterdessen mit allem Pomp in der San-Cristobál-Kathedrale beigesetzt worden, doch Washington brauchte ein möglichst geräuschloses und vor allem schnelles Ende der Familienherrschaft. Jeder weitere Tag der Verzögerung bedeutete eine Gefahr. Unter diesen Bedingungen nun war für einen Mann die Stunde gekommen, der als Strohmann bislang im Schatten des Tyrannen gestanden hatte, aber neben politischer Flexibilität den großen Vorteil hatte, gleichermaßen das Vertrauen der Familiendynastie und der US-amerikanischen Konzerne zu genießen – Joaquín Balaguer, der Präsident von Trujillos Gnaden. Zwar wurde auf den Straßen auch gegen ihn und Armeeminister Pedro Rodríguez Echavarría demonstriert, ließen auch sie auf die Protestierenden schießen, doch für die USA war er der geeignetste Mann, ihre Interessen zu wahren. Es mochte widersinnig anmuten, die Trujillo-Diktatur ausgerechnet durch einen ihrer am zuverlässigsten gewesenen Spitzenvertreter beseitigen zu wollen, doch Balaguer war der Mann, der die Wünsche des Weißen Hauses am besten erfüllen konnte. Während sich also der Stern der Trujillo-Dynastie im unaufhaltsamen Sinkflug befand, ging seiner auf: Kein anderer als er konnte es wagen, den neuen Diktator Ramfis zunächst zu politischen Zugeständnissen und dann mit der ganzen Familie zum Verlassen des Landes zu bewegen. Dessen anfänglich aufbrausende Reaktion über die in seinen Augen offensichtliche Unverschämtheit wich sehr bald der Einsicht, dass hinter Balaguers Vorschlägen nicht nur der Geschäftsträger der USA, etwa aus eigener Machtvollkommenheit, stand, sondern dass alles in engster Abstimmung mit dem Weißen Haus erfolgt war. So wurden zunächst die Gründung von Parteien und die Rückkehr von Oppositionspolitikern aus dem Exil gestattet, wobei Balaguer genau wusste, wie weit er zu gehen hatte: Es waren ausschließlich antikommunistisch und antikubanisch eingestellte Persönlichkeiten, die zwecks Aufbau einer großbürgerlich-demokratischen Ordnung benötigt wurden. Vor allem die Führer der mit den USA eng verbundenen „Dominikanischen Revolutionspartei“, Miolan, Silva und Castillo, sowie die Vertreter des „Nationalen Bürgerbundes“ erschienen am geeignetsten dafür, der neuen Herrschaft einen demokratischen Anstrich zu geben. Während dazu die Fäden gezogen wurden, unternahm Balaguer alles, um die Volksbewegung zu beschwichtigen, niederzuhalten, zu ersticken. Die Hauptstadt erhielt ihren alten Namen Santo Domingo zurück, die schlimmsten Auswüchse allgegenwärtiger öffentlicher Erinnerung an den Tyrannen wurden getilgt. Mochte das auch die Trujillo-Dynastie als schmerzlich empfinden, so blieb ihr dank Balaguers Kosmetik die Möglichkeit, in aller Eile die Flucht vorzubereiten, um von jeder Anklage und Verurteilung für die begangenen Verbrechen verschont zu bleiben. Ungehindert konnten millionenschwere Vermögen und Sachwerte ins Ausland transferiert werden. Das alles geschah derart unverschämt und frech, dass sich die Regierung Balaguer schließlich zur Beschlagnahme eines Anteils in Höhe von 90 Millionen US-Dollar gezwungen sah, den Hector Trujillo, einer der Brüder des getöteten Diktators, auf der Hochseejacht „Angelita“ außer Landes schaffen wollte. Ramfis konnte ungehindert 200 Millionen US-Dollar auf europäische und nordamerikanische Banken überweisen. Der Sarg des Diktators war in der Zwischenzeit heimlich aus der San-Cristobál-Kathedrale entfernt und die Leiche nach Paris überführt worden, wo Trujillos Witwe María Martínez für den horrenden Preis von 462.500 US-Dollar eine Grabstätte auf dem Friedhof Pére Lachaise erwarb. Dort wurde der Diktator, Massenmörder und Unterdrücker jeglicher Freiheit beigesetzt, genau dort, wo die sterblichen Überreste der Kämpfer für Freiheit und Demokratie, der 1871 gemeuchelten Kommunarden, ihre letzte Ruhe gefunden haben, schlimmer konnten Frechheit, Unverschämtheit und Verhöhnung wohl kaum noch sein! Die Familiendynastie kam ungeschoren außer Landes – am 25. Oktober 1961 flohen mit Hector und Arizmendi die Brüder des Tyrannen, am 14. November folgte ihnen Ramfis. Unter dem Beistand der OAS kehrte Hector zwei Tage später zurück, musste aber am 19. November das Land endgültig verlassen. Dank der ergaunerten und ungehindert transferierten Vermögen lebten die Angehörigen des einstigen Diktators auch im Exil herrlich und in Freuden – zunächst in Florida und Paris, die meisten dann in Spanien, wo sie bei Trujillos altem Freund, dem nicht weniger grausamen und blutigen Diktator Francisco Franco, herzlichste Aufnahme fanden.

In der Dominikanischen Republik ging unterdessen die Diktatur nach dem durch einen von der CIA gesteuerten Militärputsch rasch beendeten Zwischenspiel des liberalen Präsidenten Juan Bosch weiter – nun eben mit etwas mehr an demokratischer Fassade unter Joaquín Balaguer, der auch weiterhin der starke Mann und der Vertrauensmann der US-amerikanischen Konzerne blieb. Mit Unterbrechungen von 1962 bis 1965 und von 1978 bis 1986 regierte er das Land bis zu seinem Rücktritt 1996 mit eiserner Hand. Als gewiefter Taktiker, politisches Stehaufmännchen und flexible Charaktermaske hatte der einst getreue Sachwalter Trujillos freilich auch keinerlei Probleme im Umgang mit der Verschwörung vom 30. Mai 1961: Antonio Imbert als einer der beiden überlebenden Attentäter wurde nach seiner Rückkehr aus dem Untergrund mit Ehren überhäuft, als Held gefeiert, zum General befördert und mit der Leitung des dominikanischen Goldbergbaus betraut. Seine einstigen Hoffnungen auf eine demokratische Gesellschaft waren der Hoffnungslosigkeit gewichen: „Ich habe dieses Kapitel meines Lebens abgeschlossen.“, sagte er in einem Telefongespräch anlässlich des 40. Jahrestages des Attentats im Jahre 2001. Das Fahrzeug, an dessen Steuer Pedro Livio Cedeño am 30. Mai 1961 auf den dominikanischen Diktator gewartet hatte, steht heute im historischen Museum in Santo Domingo. Vor den Einschusslöchern in den Türen lassen sich Jugendliche fotografieren. Das Fahrzeug Trujillos allerdings ist längst verschrottet, nachdem sein letzter Eigentümer, ein ehemaliger Feldwebel der Armee, während einer gewalttätigen Wahlkampf-Auseinandersetzung in dem von ihm als Taxi genutzten Fahrzeug ebenso ums Leben kam wie sein einstiger Oberbefehlshaber. An der Stelle, wo der Tyrann 1961 den Tod fand, steht mittlerweile ein Denkmal, an dem sich an jedem 30. Mai Angehörige der Attentäter zum ehrenden Gedenken an deren mutige Tat treffen.


 

Hans-Joachim Weise

 

Quellen:

1.      Felkel, Günter: „Menschen im Hurrikan“, Untertitel „Trujillo und die Dominikanische Republik“, 2. Auflage, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1963

2.      Internet-Lexikon „WIKIPEDIA“

3.      „jungle world“, 23/2001, 30. Mai 2001

4.      Schreyer, Wolfgang: „Der Adjutant“ (8. Auflage, 1971), „Der Resident“ (7. Auflage, 1973), „Der Reporter“ (2. Auflage, 1980), Untertitel „Die Dominikanische Tragödie“ (Trilogie): Mitteldeutscher Verlag Halle-Leipzig

5.      Schreyer, Wolfgang: „Der gelbe Hai“, 8. Auflage, Verlag Das Neue Berlin 1987 (1969)