Auf den Straßen des Friedens – Täve Schur zum 80. Geburtstag

Gustav-Adolf Schur war nicht nur einer der größten deutschen Radrennfahrer aller Zeiten, sondern auch ein Friedensbotschafter, der seinen Überzeugungen bis heute treu geblieben ist. Das Erbe der Friedensfahrt konnte aber auch mit seiner Unterstützung nicht erhalten werden.

Wer erinnert sich nicht gern an die Zeiten, in denen Millionen Menschen voller Spannung vor den Rundfunk- oder Fernsehgeräten saßen, sobald die von Paul Noack-Ihlenfeld (1902 – 1962) komponierte Friedensfahrt-Fanfare ertönte, der die Ankündigung „Auf den Straßen des Friedens - ... Internationale Radfernfahrt für den Frieden“ folgte (Anstelle der drei Pünktchen stand natürlich die Ordnungszahl des jeweiligen Rennens, also beispielsweise achte, dreißigste und so weiter.). Zahlreiche Radsportler haben sich mit ihren herausragenden Leistungen in die Annalen dieses einst bedeutendsten Amateur-Etappenrennens der Welt eingeschrieben, doch mit keinem anderen wird die Friedensfahrt in so enge Verbindung gebracht wie mit ihm – dem liebevoll „Täve“ genannten Gustav-Adolf Schur, Gesamtsieger von 1955 und 1959 sowie mehrfacher Etappensieger. An eine solch großartige sportliche Laufbahn hatte wohl niemand gedacht und schon gar nicht daran, dass er nicht nur neunmal hintereinander zum „DDR-Sportler des Jahres“ gewählt, sondern überdies 25 Jahre nach Beendigung seiner Zeit als Aktiver zum größten DDR-Sportler aller Zeiten gekürt werden würde, als er am 23. Februar 1931 in Heyrothsberge bei Magdeburg das Licht der Welt erblickte. Dabei hatte er mit dem Radsport sehr spät begonnen – 19 Jahre zählte er bereits, als er seinen ersten Erfolg erzielen konnte.


Doch Willensstärke, sportlicher Ehrgeiz und eiserner Fleiß zahlten sich aus: Zwischen 1950 und 1964 wurde er sechsmal DDR-Meister, viermal siegte er bei der DDR-Rundfahrt. Mit dem Titelgewinn bei den Straßenrad-Weltmeisterschaften der Amateure 1958 und 1959 krönte er seine sportliche Laufbahn, doch diese Fakten wären unvollständig, vergäße man seinen Anteil am Gewinn der Bronzemedaille im Mannschaftsfahren bei den Olympischen Sommerspielen 1956 in Melbourne und der Silbermedaille 1960 in Rom. Was Täve besonders auszeichnete, waren seine Selbstlosigkeit und seine sportliche Fairness – als der zweifache Weltmeister 1960 als Titelverteidiger und großer Favorit auf dem Sachsenring antrat, hatte er alle Voraussetzungen, die Meisterschaft auch ein drittes Mal für sich zu entscheiden. Doch nachdem er sah, dass sein Mannschaftskamerad Bernhard Eckstein die größeren Chancen hatte, stellte er jeden persönlichen Ehrgeiz hintenan und tat alles, um ihm die Verfolger, allen voran Willy Vandenberghen aus Belgien, vom Leibe zu halten. „Ecke“, später Fotograf bei „Neues Deutschland“, wurde Weltmeister, doch diese selbstlose Haltung brachte Täve auf den Gipfelpunkt seiner Beliebtheit. Dennoch blieb er einfach und bescheiden, jenem im kapitalistischen Sportgeschäft bis zum Überdruss betriebenen Starrummel abhold. Mit Fleiß und Eifer widmete er sich dem Studium an der DHfK Leipzig, das er 1963 als Diplom-Sportlehrer abschloss, und er blieb dem Radsport-Nachwuchs nicht nur Vorbild, sondern stand ihm mit Rat und Tat zur Seite.


Bei unzähligen Rennen der „Kleinen Friedensfahrt“ war er nicht nur schlichtweg dabei, sondern vermittelte seine Erfahrungen an die Jüngsten der Pedalritter.


Doch jeder Text über Täve Schur wäre unvollständig, vergäße man sein politisches und sportpolitisches Engagement, durch das er sowohl vom Umfang als auch von der Vielseitigkeit her bis heute eine leider seltene Ausnahme unter all seinen Sportkameraden darstellt. Nein, ihn zog es nicht an den Schreibtisch eines hohen Sportfunktionärs, obwohl er mit Sicherheit ein besserer DTSB-Präsident geworden wäre als ein Manfred Ewald, der seine Lebenserinnerungen so selbstherrlich wie überheblich „Ich war der Sport“ nannte. Heimatverbunden und bodenständig blieb er seinem Magdeburger Bezirksverband als stellvertretender Vorsitzender treu und das waren immerhin 16 Jahre, von 1974 bis zum bitteren Ende 1990. Seine Beliebtheit, gepaart mit Fach- und Sachkenntnis war ausschlaggebend für seine Wahl zum Abgeordneten der Volkskammer, der er von 1958 bis 1990, zunächst als Mitglied der FDJ-, dann der SED-Fraktion angehörte. Gerade in jener turbulenten Zeit, als Antikommunismus, Ausgrenzung und blindwütiger Hass wieder fröhlich Urständ feierten, blieb er sich treu, gehörte nicht zu denen, die einst so getan hatten, als wüssten sie nicht wohin mit ihrer Treue zu Staat, Partei und Sozialismus, um ihr Fähnchen nun flugs in den vermeintlich richtigen Wind zu halten. Als Sportler gewohnt, hart im Nehmen, aber auch im Austeilen zu sein, stellte er sich im März 1990 allen Anfeindungen zum Trotz wieder zur Wahl und zog als Mitglied der PDS-Fraktion in jenes Parlament ein, das, vor allem von der gewendeten CDU zur Abnickmaschine der Gesetze von Bonns Gnaden degradiert, den Namen „Volkskammer“ überhaupt nicht mehr verdiente. Acht Jahre später engagierte er sich nochmals für seine Partei, als er auf der Landesliste Sachsen in den Bundestag einzog, dem er bis 2002 angehörte. Am wichtigsten aber war ihm der Kampf um die nun von den neuen Herren als „politisch belastet“ verleumdete Friedensfahrt, der sie am liebsten gleich den Garaus gemacht hätten. Erst wurden andere Radrennen vorgeschoben, um den beliebten „Cours de la Paix“ in die Bedeutungslosigkeit abzuschieben und nach einiger Zeit möglichst dem Vergessen preiszugeben, dann wurde vom Weltradsportverband UCI allen ungeklärten grundlegenden Fragen und dadurch ausgelösten Widerständen und Bedenken zum Trotz quasi über Nacht die neue Klasse „UCI Pro Tour“ aus dem Boden gestampft und in dieser gab es ebenso wenig einen Platz für die Friedensfahrt wie für das traditionsreiche (alt)bundesdeutsche Eintagesrennen „Rund um den Henninger-Turm“. Täve gehörte zu denen, die mit Zähigkeit und Kämpfergeist um den Erhalt der Fahrt rangen, obwohl ihre bisherige unangefochtene Stellung durch jenen UCI-Beschluss ins Gegenteil verkehrt worden war.


Hinzu kamen finanzielle und organisatorische Probleme sowie Meinungsverschiedenheiten zwischen Sponsoren aus der BRD und dem tschechischen Hauptorganisator Pavel Doležel. So konnten die politischen Gegner 2005 zum erstenmal den Ausfall der Fahrt bejubeln, doch ein Jahr später war die schon Totgeglaubte wieder da, auch dank des Einsatzes von Täve Schur. Leider sollte es trotz des Einstiegs von Österreich als Veranstalterland leider nur ein kurzes Aufflackern bleiben, nachdem der Škoda-Konzern seine Finanzierungs-Zusicherung zurückgenommen hatte. Doch die Erinnerung an die Friedensfahrt ist nicht auszulöschen und wiederum ist es Täve, der durch seine Unterstützung für das von Horst Schäfer begründete Friedensfahrt-Museum in Kleinmühlingen bei Calbe/Saale einen gewichtigen Beitrag dazu leistet. So gilt am 23. Februar unser aller Glückwunsch nicht nur dem beliebten Sportler, sondern auch dem Sportfunktionär und nicht zuletzt dem sozialistischen Politiker Gustav-Adolf Schur. In Polen, einst eines der drei Veranstalterländer, wünscht man an einem solchen Tage „Sto Lat“, was auf deutsch so viel heißt wie „Hundert Jahre sollst Du werden!“ Die hätte Täve mehr als verdient.


Hans-Joachim Weise