Zensus 2011 – der Datenkrake greift wieder an

Am 9. Mai ging die Datensammelwut der Behörden in eine neue Runde – im Gegensatz zur Volkszählung vor 28 Jahren gibt es bisher aber kaum nennenswerten Widerstand

Der große Lauschangriff, die Vorratsdatenspeicherung oder die Gesinnungsschnüffelei im Zuge des Anti-Extremismus-Progamms der Bundesregierung sind nur einige Beispiele für den ausufernden Überwachungsstaat. Georg Orwells 1984 scheint bereits längst Realität geworden zu sein. Der am 9. Mai gestartete Zensus 2011 ist da nur die Spitze des Eisberges. Gab es bei der letzten Volkszählung 1983 noch massive Proteste in der Bundesrepublik, hält sich der Aufschrei heute eher in Grenzen. Kein Wunder, geben doch viele Menschen heute mehr Persönliches von sich preis als die Interviewer beim laufenden Zensus wissen wollen. Besonders über die so genannten neuen sozialen Netzwerke im Internet, wie Facebook, Lokalisten, StudiVz, My Space und Co.,  können Regierungen oder Industrie weit mehr Informationen erhalten. Das ganze ist freiwillig und völlig legal.  Es fängt beim Geburtsdatum an, geht weiter über persönliche Vorlieben und endet bei den peinlichsten Vorfällen im Privatleben. Große Unternehmen wie Google speichern jede Information, die ihnen in die Finger kommt. Je größer die Flut an Daten wird, desto geringer wird die Sicherheit. Immer wieder gibt es Berichte über Datenklau. Selbst die Bundesregierung hat sich 2010, getreu dem Motto der Zweck heiligt die Mittel, auf illegalem Wege, Daten vermeintlicher Steuerhinterzieher aus Lichtenstein beschafft. Im aktuellen Skandal sind zurzeit 70 Millionen Kunden der Onlineplattform eines bekannten japanischen Spielekonsolenherstellers betroffen. Auch Facebook musste gerade wieder ein Sicherheitsleck zugeben.  Die Liste solcher Beispiele ließe sich problemlos verlängern. Wer will da glauen, dass der Zensus 2011 frei von solchen Problemen sein soll? 


„Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verpflichtet den Staat auch zur Datensparsamkeit. Nutzen und Kosten des Zensus stehen in keinem Verhältnis zum Zugriff in die Privatsphäre. Neben langfristiger Speicherung drohen die Gefahr der Repersonalisierbarkeit der nur scheinbar anonymisiert verarbeiteten Daten, die Zweckentfremdung von bereits gespeicherten Daten und – wie wieder die aktuelle Debatte zur Vorratsdatenspeicherung zeigt – eine Begehrlichkeit nach weiteren Nutzungen der Persönlichkeitsdaten“, warnt die Innenexpertin der Linksfraktion im Thüringer Landtag, Martina Renner. „Der ‚Zensus 2011’ ist letztlich nichts anderes als ein riesiger Datenkrake, der sich ohne Zustimmung und mit Zwangsmitteln privater Daten bemächtigt“, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende.  DIE LINKE verweist noch einmal darauf, dass man weder den Volkszähler auf sein Grundstück oder in seine Wohnung lassen muss, noch den Fragebogen sofort ausfüllen muss. Wer sich der zwangsgeldbewährten Verpflichtung zur richtigen Beantwortung der Fragen verweigern möchte, sollte aber auf jeden Fall rechtlichen Rat einholen.


Neben der LINKEN warnt auch der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung vor den Gefahren des Zensus.  „Aufgrund der nachgewiesenen großen Gefahr einer Re-Identifizierung anhand ungenügend anonymisierter Daten, verbunden mit Kosten von mehr als 750 Millionen Euro, der offensichtlich mangelhaften oder gänzlich fehlenden Schulung von Mitarbeitern der Statistikämter und Erhebungsstellen sowie der fehlerhaften praktischen Umsetzung von Abschottungs- und Rückspielgebot, halten wir das Vorhaben Zensus 2011 insgesamt für sehr bedenklich“, heißt es in einer Erklärung, nachzulesen auf www.zensus11.de. Dort können Sie sich über die höchst merkwürdigen Vorgänge im Rahmen des Zensus erkundigen. So sind Soziologiestudenten der TU Dresden als Befrager zwangsverpflichtet wurden. Die Studierenden sollen hierbei offiziell die praktische Durchführung einer „eigenständigen” empirischen Studie einüben. Diese „Lehrveranstaltung” ist Teil eines Pflichtmoduls und muss für einen  Bachelor-Abschluss erfolgreich abgeschlossen werden. Konkret bedeutet dies, dass jede und jeder Studierende 50 erfolgreiche Befragungen durchführen muss, um die notwendigen „Credit-Points“ zu bekommen.  Was kommt wohl als Nächstes? Werden Hartz-IV-Empfänger zwangsverpflichtet, weil es nicht genügend Freiwillige für diesen Unsinn gibt?


Thomas Holzmann

Foto: Matthias Hornung/AK Vorratsdatenspeicherung