„Wir werden es nicht als Normalität akzeptieren“

Der allererste AfD-Landrat kann mehr schaden als viele denken. Aber wenn alle demokratischen Kräfte zusammenhalten, wird es nicht zur Normaliät, dass Nazis an der Demontage der Demokratie arbeiten, sagt der Kommunalexprte Markus Gleichmann.

 

Der Aufschrei ist groß, aber für viele in Thüringen dürfte die Wahl des ersten AfD-Landrates nicht allzu überraschend gekommen sein. Jetzt stürzen sich wieder alle echten und Möchtegern-Expert*innen in eifrige Analysen: Woran es den gelegen hat und warum es mal wieder den Osten betrifft. Während die Berliner Ampel und Rot-Rot-Grün in Erfurt noch halbwegs selbstkritisch sind, sehen führende Konservative die Schuld mal wieder bei Stasi, DDR und dem Gendern. Und laut Parteichef Friedrich Merz, ihrem neuen Hauptfeind, den Grünen. Dass die mit CDU in fünf Bundesländern regieren – egal. Ebenso wie Merz hat auch Thüringens CDU-Chef Voigt das „Allparteienbündnis“ sowie „das Konzept Schulterschluss gegen AfD als Ursachen ausgemacht. Über Kommunalpolitik in Südthüringen, oder was ein Landrat überhaupt entscheiden kann, wird nicht geredet. Das war auch schon im Wahlkampf so, wo es praktisch nur um Bundesthemen vor, allem Habecks Heizungsgesetz ging. UNZ hat deshalb dem Kommunalpolit-Experten Markus Gleichmann nach Szenarien befragt, die uns in den nächsten sechs Jahren drohen könnten.

 

Stimmt es, dass ein Landrat ohne die Zustimmung des Kreistages fast gar nichts machen kann?

 

Nicht wirklich. Gemäß Thüringer Kommunalordnung hat ein Landrat große Befugnisse. Zuerst den eigenen Wirkungskreis: Die Personalhoheit über sein Landratsamt. Dort kann er Stellen besetzen. Gerade bei dem Generationswechsel, der momentan in der Verwaltung stattfindet, können da bald schnell linientreue Entscheider sitzen.

 

Und, wenn die einmal eingestellt sind, kriegt man sie auch nicht wieder los, egal ob sie rechtsextrem sind, so lange sie sich ans Beamtenrecht halten bzw. die Einstellungsvoraussetzungen mitbringen. Bei Angestellten wird viel Arbeit auf den Betriebsrat zukommen.

 

So ist das im öffentlichen Dienst. So hat auch die CDU in Thüringen 25 Jahre ihren schwarzen Filz ausgebreitet. Das zeigt: Personalpolitik ist in einem Landratsamt essentiell. Bei seinem persönlichen Referenten, der Pressestelle usw. ist der Landrat sogar recht frei in der Entscheidung. Günstig ist in Sonneberg, dass es noch einen hauptamtlichen 1. Beigeordneten gibt. Der wird vom Kreistag gewählt und ist ein wichtiger politischer Mitarbeiter der Verwaltung. Bisher war das der nicht gewählte CDU-Kandidat.

 

Was macht ein Landrat im Tagesgeschäft?

 

Er kann z.B. entscheiden inwiefern Mittel der Verwaltung für Geflüchtete genutzt werden. Er kann verfügen, dass sie Gutscheine bekommen, statt Geld auszuzahlen. Hans-Helmut Münchberg (SPD), Landrat im Weimarer Land, hat das mal so gemacht. Bei den finanziellen Zuweisungen des Landes kann er Forderungen anmelden und dann Verwaltungsgerichte sich damit befassen lassen. So was wird vermutlich auch schnell kommen, um seine Klientel zu befriedigen.

 

Was wäre, wenn Corona oder was ähnliches, wieder kommen sollte?

 

In Notsituationen kann er sehr weitgehende Verordnungen erlassen und Eilentscheidungen treffen. Aber da müsste schon wirklich eine ganz neue Pandemie kommen, dass ein Regieren ganz ohne Kreistag durchgehen würde.

 

Und, wenn er so was wie ein „Flüchtlingsgnotstand“ für seinen Kreis ausruft?

 

Da würde es sich aktuell sehr schnell bei den Verwaltungsgerichten eine blutige Nase holen. Wo es richtig wehtun könnte, wäre dagegen z.B. beim Landesprogramm „Denk bunt“. Da gibt es zwar einen Beirat, der die Mittel vergibt. Aber am Ende ist es immer der Landrat, der die Entscheidungen mit beeinflussen kann. Die Verwaltung schaut dann, geht das oder geht das nicht. Sesselmanns neue Verwaltung könnte sich natürlich immer etwas überlegen, warum der jeweilige Verein irgendwelche Voraussetzungen zur Förderung nicht erfüllt und so die Mittelausreichung erschweren. Da wird es für ehrenamtliche Aktive in den Vereinen und Kreistagsabgeordnete schwer, dagegen zu halten.

 

Was kann der Kreistag sonst machen?

 

Sie sind auf jeden Fall extrem gefordert. CDU und auch SPD sind es gewöhnt, dass ihnen von der Verwaltung viel vorgegeben wird. Das wird es nicht mehr geben. Das heißt: Alles genau kontrollieren, überall aufpassen und rechtliche Stellungnahmen einholen. Da wie in den Kreistagen üblich, alles ehrenamtlich ist, wird es aber für alle nicht leicht, den notwendigen Durchblick zu behalten. 

 

Wie geht man mit Sesselmann als Person um, wenn man in politischen Alltag auf ihn trifft um: Ghosten, wie das Ignorieren neudeutsch heißt?

 

Tja, das müssen sogar der Landkreistag sowie der Gemeinde- und     Städtebund erst mal für sich klären. Die CDU wird ihn vermutlich behandeln wie jeden anderen. Schließlich hat der Präsident des Gemeinde- und Städtebundes Thüringen, Michael Brychcy (CDU), schon angekündigt, mit der AfD in der Sache zusammenarbeiten zu können. Linke stehen da natürlich vor einem Dilemma. Der Ministerpräsident und viele andere können nicht sagen: Wir brechen alle Brücken ab und tun so als gäbe es kein Sonneberg mehr. Das wäre mit Sicherheit kontraproduktiv. Sachbezogen muss da klar gearbeitet werden. Ich hoffe, dass die Landesregierung genau hinschaut und auch das Landesverwaltungsamt einmal mehr und vor allem schneller kontrolliert als sonst. Und sobald die AfD-Ideologe reinwirkt, muss mit aller Kraft dagegen gearbeitet werden. Die Ansage aller demokratischen Kräfte muss sein: Wir werden es nicht als Normalität akzeptieren, dass da ein AfD-Landrat sitzt und an der Demontage der Demokratie arbeitet.                        

 

Thomas Holzmann