Warum wir nur noch schwarz-weiß sehen
Nicht nur Sahra Wagenknechts Friedensmanifest sorgt für heftige Debatten. Auch viele Journalist*innen haben nur noch eine Freund-Feind-Sicht auf die Weltpolitik. Es wird sich fast nur noch über die sozialen Medien angebrüllt und beleidigt was das rhetorische Waffenarsenal hergibt. Gibt es überhaupt einen Ausweg aus dem Dilemma, in dem sich vor allem die politische und gesellschaftliche Linke befindet?
Bei Twitter, Facebook und Telegram die Fetzen
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine 24.2.2022 wird auch hierzulande verbal scharf geschossen. Wenn der „Panzer-Toni“ Hofreiter von den Grünen seine Argumente für schwere Waffen rausballert, gefrieren sogar dem eher konservativen Sicherheitsexperten Prof. Markus Kaim in der Phoenix Runde die Gesichtszüge. Und, wenn Brigadegeneral a.D. Erich Vad das Wagenknecht-Weidel-Manifest unterzeichnet, fliegen nicht nur bei Twitter, Facebook und Telegram die Fetzen – Kollateralschäden inklusive.
Schwarz oder weiß? Slava Ukraina oder Russia-Russia?
Lumpenpazifist, Sofabellizist, Friedensschwurbler, Kriegshetzer, Zarenknecht oder Bidenzäpfchen gehören da noch eher zu den harmloseren Beschimpfungen. Zwei besonders krasse Beispiele für das überbordende Schwarz-Weiß-Denken sind Sascha Lobo und Susanne Witt-Stahl. Lobo, der omnipräsente Internetblogger mit Iro, hat als erster den Begriff Lumpenpazifist in die Debatte geschossen und nach der Berlin-Demo vom 25.2. den Begriff Friedensschwurbler abgeworfen. Susanne Witt Stahl, ex Chefredakteurin der Jungen Welt und von Melodie und Rhythmus, ballert auf Facebook gerne Bilder von ukrainischen Soldaten, die Hitlergrüße zeigen raus, um zu belegen, dass dort alle Nazis sind. Sie glaubt: „Die Grünen und ihre rechten Kumpanen haben das faschistoid-nekrophile Potenzial, ganz Europa in den Abgrund von Massenschlächterei und Verwüstung zu stürzen“. So wie diese beiden scheinen sehr viele auch in Thüringen zu denken. Schwarz oder weiß? Slava Ukraina oder Russia-Russia?
Die UNO als größer gemeinsame Nenner
Es kann doch nicht sein, dass Linke ernsthaft den Kriegsverbrecher Putin zum Opfer und die Ukraine zu Tätern machen wollen. Auf der anderen Seite ist es absurd, jede Kritik an der NATO und den USA, ja jedes Bauchgrummeln über deutsche Panzer, die auf russische Soldaten schießen mit einem Slava Ukraine niederzukartätschen. Diese Unkultur findet sich leider auch auf internationalem Parkett, wo aufgeblasene geistige Zwerge ihre Schwänze vergleichen. Motto: Unser Land zuerst und neben uns Sintflut. Schon deshalb wäre es gut, wenn die internationale Linke sich nicht in nutzlosen Rückzugsgefechten verliert. Ob für oder gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, unter aufgeklärten Demokrat*innen sollte sich doch ein großer gemeinsamen Nenner finden: Die UNO!
Erfahrene Konfliktmanager*innen wissen wie man verfeindete Konfliktparteien an einen Tisch bringen kann
Die Vereinten Nationen wurden nach dem 2. Weltkrieg gegründet. Die Gegensätze zwischen den USA und der Sowjetunion unter Stalin hätten gegensätzlicher nicht sein können. Und trotzdem gelang mit der UNO-Charta ein heute wohl unmöglicher Kompromiss. Mögen sich bei der UNO auch zahlreiche Fehlschläge aneinander reihen und ihre Organe, allen voran der Sicherheitsrat, dringend reformbedürftig sein: Ohne diese Weltorganisation ginge es vielen Menschen in Kriegsgebieten noch sehr viel dreckiger. Wer hat nach dem schweren Erdbeben als erster LKW mit Hilfsgütern in die nicht vom Diktator Assad kontrollierten Gebiete gebracht? Und wer hat zahlreiche erfahrene Konfliktmanager*innen, die wissen wie man verfeindete Konfliktparteien an einen Tisch bringen kann?
Guterres, statt Barbock und Wang Yi
UN-Generalsekretär António Guterres, eine Sozialist aus Portugal, ist mit Sicherheit ein besserer Vermittler als die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock oder Chinas Topdiplomat Wang Yi und erst recht als der neoliberale Islamist vom Bosporus. Der mächtige UN-Sicherheitsrat ist durch das anachronistische Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder (USA, China, Russland, Großbritannien, Frankreich) in der Ukraine handlungsunfähig. Aber da wäre ja noch die Generalversammlung, wo jedes Land eine Stimme hat. Dort haben, kurz vor dem ersten Jahrestag des russischen Angriffs, 141 von 193 Staaten für einen „sofortigen, vollständigen und bedingungslosen Rückzug aller russischen Truppen vom Territorium der Ukraine und einen Waffenstillstand“ gefordert. Diese 141 Staaten sollen wir ernst nehmen und weniger die Leute, die von internationaler Politik und Völkerrecht keinen Plan haben.
Thomas Holzmann