Und es lohnt sich doch

Es vergeht kaum ein Tag ohne Angriffe von Rechts. In Gotha gab es den ersten Mordversuch an einem SPD-Politiker. Die Angst wächst, aber auch die Hoffnung, denn WIR haben etwas, dass den Rechtsextremen fehlt: die SOLIDARITÄT.

 

Wer für linke Politik eintritt, ist es gewohnt, regelmäßig beschimpft und beleidigt zu werden. Auch als die AfD noch gar nicht existierte, wurden bei manchen Linken-Büros so oft die Scheiben eingeworfen, dass sie keiner mehr versichern wollte. Solche Angriffe waren aber stets anonym. Heute zeigen sich die Täter immer öfter ganz unverblümt. So auch bei der Festveranstaltung „500 Jahre Wasunger Karneval“.

 

„Heute tragt ihr euren Hass mit offenem Gesicht zur schau“

 

Dort schleuderte eine Gruppe junger Männer Bodo Ramelow diesen Hass entgegen: „Schau schau – du dumme Sau, wir vergewaltigen jetzt deine Frau – und wenn du keine Frau hast – bist du ne dumme Sau – und dann hau‘n wir dir halt nur deine dumme Fresse blau“. Das schockt selbst einen Ministerpräsidenten, der Angriffe unter der Gürtellinie durchaus gewohnt ist: „Während drum herum ganz viele Familien mit Kindern standen, die offensichtlich nicht genau registriert haben, was diese Gruppe von jungen Kerlen von sich gab, schaute ich mir diese Gesichter an und dachte: Ja, bislang seid ihr in den sogenannten sozialen Medien anonym begegnet, heute tragt ihr euren Hass mit offenem Gesicht zur Schau.“

Fragt man in Thüringen Linke oder Grüne, gibt es praktisch niemanden, der keine ähnlichen Horror-Geschichten erzählen kann. Hakenkreuzschmierereien sind da schon am unteren Ende der Skala, die bis hin zum versuchten Mord reicht. So wie beim SPD-Politiker Michael Müller, dem fast sein Haus abgefackelt wurde, weil er in Gotha Demos für Weltoffenheit organisierte. Morddrohungen gehören längst schon zum traurigen Alltag. Neuerdings richten sie sich, wie im Fall des Linke Abgeordneten Patrick Beier, sogar gleich gegen die ganze Familie. Und immer öfter bleibt es nicht bei Worten. Schon im letzten Juli kam es zu einem Angriff von zwei Rechtsextremen auf das Büro des Landtagsabgeordneten Ralf Plötner (LINKE) in Altenburg.

 

„Wir standen uns Auge in Auge gegenüber und ich dachte, der sticht mich jetzt ab"

 

„Ein Tag vorher stand in der Zeitung, dass möglicherweise Björn Höcke hier kandidieren würde. Am Morgen kam die Umfrage, bei der die AfD bei 34 Prozent stand“, erinnert sich Plötners Wahlkreismitarbeiter Torge Dermitzel. Zwei Männer stürmten ins Büro, am helllichten Tag und während vor der Tür der übliche Markt-Trubel herrschte. Einer schmiss Flyer durch die Gegend und brüllte „Kommunistendreck“, der andere baute sich bedrohlich vor dem Schreibtisch auf. „Wir standen uns Auge in Auge gegenüber und ich dachte, der sticht mich jetzt ab. Es war so eine bedrohliche Situation, dass ich Angst hatte, ich komme nicht mehr lebend aus dem Büro“, so Dermitzels Schilderung des unfassbaren Vorfalls. Ehe sie dann doch verschwanden, kündigten sie noch an, dass er und Plötner „ins Gas kommen, wenn sie dann dran sind“.

 

"Es sind  Kleinigkeiten, die einem zeigen, dass man doch das Richtige tut“

 

Wo nimmt man nach solchen Vorfällen noch die Kraft her, weiter zu kämpfen? Dermitzel meint: „Was sollen wir sonst machen, zurückziehen ins Schneckenhaus? Wir machen Politik, weil wir eine andere, bessere Welt wollen und die wird es nie geben, wenn wir uns einschüchtern lassen.“ Dieser Einsatz wird auch durchaus belohnt. „Bei Anträgen zu Energie und Heizung oder die ganzen Corona-Termin-Sachen, da konnten wir vielen Leuten helfen. Ein älterer Herr, dem ich einen Impftermin organisiert habe, war so dankbar, dass er endlich wieder seine Enkel sehen kann, dass er in Tränen ausgebrochen ist. Es sind genau diese scheinbaren Kleinigkeiten, die einem zeigen, dass man doch das Richtige tut“. Dazu kommen noch die vielen glücklichen Gesichter auf dem Christopher Street Day in Altenburg, den Torge Dermitzel erstmals 2021 maßgeblich mitorganisierte.

Besonders im Fokus des Hasses sind, vor allem seit den Bauernprotesten, die Grünen. Im Januar wurde vor deren Büros in Thüringen fast täglich Mist abgeladen. „Der Mist und die eingeschlagenen Scheiben sind Dinge, die mich gar nicht so sehr persönlich treffen, sondern vor allem meine Mitarbeiterinnen. Die sitzen ja vor Ort und sind immer die ersten, die es abkriegen. Das finde ich unerträglich“, sagt Madeleine Henfling. Die grüne Landtagsabgeordnete vermutet, dass Frauen besonders viel von dem Hass abkriegen, weil die Rechtsextremen glauben, bei ihnen könne man sich das eher erlauben.

 

Die subtilen Angriffe, soagr aus dem Freundeskreis, sind am schlimmsten

 

Als Berufspolitikerin hat Henfling wie die meisten ein dickes Fell. Deswegen findet sie die subtilen Angriffe am schlimmsten: „Wenn man auf der Straße dumm angemacht wird oder von irgendwelchen AfDlern, die im Landtag zu Besuch sind.“ Das Ganze gipfelt in der Absurdität, dass selbst im Freundeskreis plötzlich Fake-Vorwürfe aufkommen, sie würde keine deutschen Äpfel kaufen oder hätte für den Bau ihrer Hauses Bäume fällen lassen.“

Was vor allem hilft, ist Solidarität

 

Aber auch bei den Grünen ist von Hoffnungslosigkeit noch keine Spur, im Gegenteil. Henflings Lieblings-Positiv-Beispiel: „Wir haben einer 12-köpfigen geflüchteten Familie geholfen, eine Wohnung zu finden. Da ist die Freude natürlich groß, wenn man viele ganz liebe Sprachnachrichten bekommt. Auch kleine Erfolge, die im Alltag von Menschen etwas verbessern, helfen mir sehr. Sehr viel bringt es auch, wenn Kolleginnen solidarisch sind und man nicht selber ständig anprangern muss. Dazu gehört auch das Zwischenmenschliche, wenn man von der Kollegin von der SPD oder der Linken auf dem Landtagsflur einfach mal in den Arm genommen wird.“ Auch die nicht abreißenden Demos für Weltoffenheit, zu denen auch in Thüringen schon Zehntausende kamen, sind ein klarer Beleg für die Kraft der Solidarität von allen demokratischen Kräften. Solche „wunderbaren Erfahrungen“, konnte auch Bodo Ramelow sammeln: „als Menschen mich einfach in den Arm genommen haben und mir Kraft zugesprochen haben, das war dann wieder das Gefühl, in einem Land zu leben, in dem wir einerseits die Krisen bewältigen müssen, aber andererseits genügend Kraft und Solidarität vorhanden ist, um dieses Land nicht vor die sprichwörtlichen Hunde gehen zu lassen.“

 

Thomas Holzmann