Traurig aber wahr: Erfurt hat ein Naziproblem

Opferverbände sprechen auf einer Pressekonferenz von Terror und „temporären Angsträumen“ – schwere Vorwürfe auch in Richtung Polizei und Behörden.

Manchmal braucht es Mut, um die Wahrheit offen auszusprechen, auch wenn diese doch längst allen bekannt sein sollte. Am 31. August fassten diesen Mut Mobit, die Antifagruppe AG17, das Bildungskollektiv Biko, die  Mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen (EZRA) und die Offene Arbeit Erfurt e. V. Auf ausdrücklichen Wunsch der handelnden Personen wird auf eine Namensnennung verzichtet. Denn während Landesregierung und Polizei gerne Erfolgsmeldungen veröffentlichen, sieht es in Wirklichkeit ganz anders aus – Angst geht um. 

Ganz besonders betroffen von rechtsextremen Gewalttaten sind generell alle Menschen, die nicht in die so genannte Mehrheitsgesellschaft passen, wie z. B.  Migranten oder auch alternative Jugendliche. Kommt es zu Übergriffen  – und das ist weitaus häufiger der Fall als viele erahnen – neigen Polizei und Behörden dazu, einen rechten Hintergrund vorschnell auszuschließen. Stattdessen werden Gewalttaten einfach nur dem Alkohol zugeschrieben. So aber bleibt das tatsächliche Ausmaß des „rechten Terrors“ dem Großteil der Menschen in Thüringen verborgen. Das Thema wird aus Angst um das Image der Stadt tabuisiert. Symptomatisch ist auch die Berichterstattung in den lokalen Medien. Gerade einmal eine kleine Spalte im Lokalteil war es der „TA“ wert.   

Dabei gibt es in Erfurt schon Menschen, die sich zu bestimmten Zeiten nicht mehr auf den Anger wagen. Migranten trauen sich schon lange nicht mehr Nachts mit der Straßenbahn zu fahren. Nazis schrecken dabei auch vor Gewalt gegen Frauen nicht zurück und treten noch auf ihre wehrlos am Boden liegenden Opfer ein. „Ich bin autonomer Nationalist, schlage Frauen und liebe Deutschland“, soll ein Nazi bei einem Überfall gebrüllt haben. Beleidigungen von Nazis gegen linke Jugendliche gehören ohnehin schon zum traurigen  Alltag. Das Resultat ist, dass in Erfurt „temporäre und lokale Angsträume“ entstanden sind, in denen die Nazis scheinbar die Straße erobert haben. Rechte Gewalt hat schon lange dieses Ausmaß von Terror angenommen. Das Jahr 2012 ist keineswegs eine Hochphase, sondern „nur“ der überaus traurige Normalzustand. 

Und das Schreckensbild geht noch weiter. Wie der Thüringenmonitor Jahr für Jahr belegt, sind rechte Einstellungen in der Gesellschaft weit verbreitet. Da bilden auch Polizei und Behörden keine Ausnahme. Berichte häufen sich, bei den Opfer von rechter Gewalt von Polizisten noch verhöhnt und als „Kanackenpack“ oder „Scheißzecken“ bezeichnet wurden. Migranten werden teilweise behandelt wie Kinder oder als „Schmarotzer“ und Drogendealer auf übelste Weise diffamiert. Gleichzeitig sind Fälle bekannt, bei denen rechtsextreme Gewalttäter durch die Polizei äußerst zuvorkommend behandelt wurden. Das alles erzeugt für die Nazis ein „Wohlfühlklima“, in dem sie das Gefühl haben, sich alles erlauben zu können. Kommt doch etwas an die Öffentlichkeit, wird oft verharmlost und bagatellisiert.   

Einigkeit bestand bei allen Opfer-Vertretern darin, dass das Nazi-Problem, nicht allein durch Politik und Polizei gelöst werden kann, sondern nur durch die Zivilgesellschaft. Die Politik sollte ihr keine Steine mehr in den Weg legen und vor allem die Opfer nicht zu Täter machen. Mit einer schonungslosen Ehrlichkeit ist jetzt ein erster Schritt gegangen wurden bis zu einer weltoffenen Stadt Erfurt ist aber noch ein sehr weiter Weg. Denn dazu gehört weit mehr als nur ein buntes Schild am Rathaus.

Thomas Holzmann