Soldaten gegen die Linksregierung

Vor 100 Jahren gab es in Thüringen schon mal eine linke Landesregierung. SPD und USPD ließen sich von der KPD tolerieren, die im Oktober 2023 sogar drei Minister stellte. Zuviel für Berlin: Reichskanzler Gustav Stresemann verhängte die Reichsexekution und ließ die Armee gegen die demokratische Regierungen in Thüringen und Sachsen marschieren.

 

Von Dr. Steffen Kachel

 

Mit der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung, der Bestimmung Friedrich Eberts (SPD) zum Reichspräsidenten und der Verabschiedung der Verfassung im August 1919 war die Republik von Weimar zustande gekommen.Doch der Konflikt zwischen den politischen Zielen von Ebert und Liebknecht war damit nicht entschieden. Auch nicht durch die Niederschlagung der Januarkämpfe 1919 in Berlin und die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs. Vielmehr blieb der Konflikt zwischen den Richtungen virulent. Trotz allen Gemeinschaftsgefühls, das es vor allem an der Basis der Arbeiterparteien (SPD, USPD KPD) gab, kam es ständig zu harten Diskussionen, aber auch zu unterschiedlichem, ja sogar gegensätzlichem politischen Handeln.

 

In der SPD agierten zwei Strömungen: eine sozialreformistische, die nach Bündnissen mit dem (demokratischen) Bürgertum strebte, ansonsten aber mit einer sozialen Gestaltung kapitalistischer Verhältnisse zufrieden war, ohne das offen zuzugeben. Die Ebert-Führung trat zwar politisch gemäßigt auf, sie versprach aber, auch sozialistisch zu sein und die Interessen der Arbeiterschaft zum Durchbruch zu bringen. Sogar eine Sozialisierungskommission, die die Sozialisierung von Teilen der deutschen Wirtschaft prüfen sollte, wurde gebildet. Und die neue Regierung ließ Plakate drucken, auf denen versprochen wurde: „Die Sozialisierung marschiert!“ Die zweite Strömung war eine pragmatistisch-sozialistische, die ernsthaft versuchen wollte, die sozialistische Ziele umzusetzen und dafür parlamentarische Machtpositionen zu benutzen. Sie hatte nicht in ganz Deutschland, aber in Sachsen und Thüringen die Mehrheit der SPD-Anhänger hinter sich.

 

In der KPD gab es ebenfalls zwei Strömungen: eine programmatisch-sozialistische, die eine flexible Klassenpolitik treiben und geduldig auf die Chance zur revolutionären Umgestaltung der Verhältnisse warten wollte. Der andere Flügel war radikaler. Er orientierte sich am Beispiel der russischen Revolution und setzte auf die Kraft der Aktion als Initialzündung für die revolutionäre Umgestaltung.

 

Die schien günstig, denn die ersten Jahre der Weimar Republik waren von ständigen Krisen geprägt. Schon 1922 fühlte sich aber auch die Reaktion wieder so stark, dass man gegen die parlamentarisch-bürgerliche Republik gewaltsam vorgehen wollte. Die gleichen Kräfte, die im Pakt mit Ebert erst die Gründung der Weimarer Republik ermöglichten, begannen nun deren Repräsentanten zu ermorden. Walter Rathenau (DDP) und Matthias Erzberger (Zentrum) waren die prominentesten Opfer.

Immerhin: Die parlamentarische Republik wehrte sich durch ein Republikschutzgesetz, das auch durch die räteorientierte Linke unterstützt wurde. Es verbot Organisationen, die sich gegen die „verfassungsmäßige republikanische Staatsform“ richteten sowie deren Druckerzeugnisse und Versammlungen.

 

Das Jahr 1923 begann mit einem Paukenschlag, dem Einmarsch Frankreichs und Belgiens ins Ruhrgebiet. Angeblich war Deutschland mit Reparationszahlungen in den Rückstand geraten. Dadurch brach die Hyperinflation aus: im Juni 1923 kostete ein Stück Butter 1.000 RM, im Oktober 1923 schon 30 Millionen RM. Die Radikalisierung in der Bevölkerung nahm sprunghaft zu. Das nützte der Rechten, aber auch der KPD, die nach Meinung einiger Historiker im Herbst 1923 die SPD im Einfluss unter der Arbeiterschaft überholte.

 

So kam es zum so genannten „Deutschen Oktober“. Nicht nur von Rechts außen wurde behauptet: in Deutschland würde eine bolschewistische Machtübernahme drohen. Das ist maßlos übertrieben und wird heute hauptsächlich genutzt, um das Paktieren Eberts mit der Gegenrevolution zu rechtfertigen.

 

Seit der Landtagswahl im September 1921 regierten in Thüringen SPD und USPD, die von der KPD toleriert wurden. Und das erfolgreich: Schulreform, Verwaltungsreform, neue Feiertage (1. Mai und 9. November), republikanische Personalpolitik in der Polizei und in der Landesverwaltung, Republikschutzgesetz und anderes wurde von Rot-Rot-Rot angepackt. Auf der Höhe von Inflation und Radikalisierung verweigerte die KPD der tolerierten SPD ihre Unterstützung, führte den Rücktritt der Regierung herbei und trat nach Verhandlungen selbst in Diese ein. Dasselbe passierte in Sachsen.

 

Auch dort von Revolution keine Spur, es wurde nach parlamentarischen Spielregeln regiert. Trotzdem marschierte bereits am 28. Oktober die Reichswehr in Sachsen ein, besetzte die Ministerien und suspendierte Ministerpräsident Erich Zeigner (SPD). Genau darüber hatte der Reichskanzlers mit dem Industriellen Stinnes bereits im September gesprochen. Auch die Bürgerliche Presse hatte das offen verlangt.

 

Der Reichswehreinmarsch forderte in Sachsen 34 Todesopfer. Am 2.11. wurde auch Weimar von der Reichswehr besetzt. Die Landespolizei wurde unter den Befehl der Reichswehr gestellt. Am 11.9. wurde Gera besetzt. Kurz danach traten die kommunistischen Minister Thüringens zurück, obwohl Frölich für deren Verbleib war. Frölich blieb noch geschäftsführend im Amt, aber der Landtag beschloss eine Neuwahl für den 24.2.24. Die gewann der Thüringer Ordnungsbund (48%) und der lies sich von den rechtsextremen „Völkischem Liste“ tolerieren.

 

Tatsächlich kam es nach der Reichsexekution zu einer Beruhigung. Hauptgrund dafür war aber die Währungsreform, die zwar für viele eine harten Schnitt bedeutete, aber der Hyperinflation den Garaus machte. Die ruhigere und oft als „Goldene Zwanziger“ verklärte Blütezeit der Weimarer Republik, war vor allem aber eine Beruhigung auf einer weiter nach rechts verschobenen politischen Grundlage.

 

Übrigens: Die reichsweiten rechten Umtriebe kulminieren im Herbst 1923 im Hitler-Ludendorff-Putsch. Bayern und die Bayerische Reichswehr erklärten sich gegen die Republik. Bemerkenswert: Gegen Bayern wurde keine Reichsexekution verhängt.