Nur kein McDonald’s für Cannabis
Der erste Erfurter Cannabis Social Club könnte 2024 mit der Produktion beginnen, aber davor sind noch viele Fragen zu klären. UNZ sprach mit den Vereinsgründern, die vor allem eines nicht wollen: Den Markt gesichtslosen, raffgierigen Konzernen aus Übersee überlassen.
Es gibt kaum ein anderes Thema über das so viel Blödsinn erzählt wird wie über Cannabis. Das Märchen von der Einstiegsdroge ist in der Wissenschaft längst widerlegt. Vor allem Konservative hindert das aber nicht, diese infame Lüge ständig zu wiederholen.
Wie wenig Plan selbst der MDR beim Thema Hanf hat, zeigte sich kürzlich bei einer Polizeiaktion in der Erfurter Clara-Zetkin-Straße. Dort wurden in einem Modellversuch Beete angelegt, in denen ungeplant auch Hanf-Pflanzen sprossen. Die Polizei rückte an und stellte, laut MDR, per Schnelltest eine strafrechtlich relevante Menge des Wirkstoffes THC fest. Wohlgemerkt an nicht blühendem, männlichen Industriehanf.
Über solche Fälle könnte man ja noch lachen. Aber selbst der Anbau von Nutzhanf ohne berauschende Wirkung ist in Deutschland strafbar, wissen auch Hermann Klatt und Dennis Gottschalk vom Cannabis Social Club Erfurt e.V.
In unzähligen anderen Fällen werden ganze Existenzen von Menschen, die Cannabis konsumieren durch die Prohibition nach dem Betäubungsmittelgesetz (BTMG) zermalmt. Aber das könnte sich nach dem Willen der Bundesregierung bald ändern: durch erlaubten Eigenanbau und durch nicht kommerzielle Cannabis Social Clubs (CSC).
„Es gibt jetzt einen Entwurf, der enthält viel Gutes, aber auch viel, das noch nachgeschärft werden muss. Hoffentlich wird es nach der Sommerpause verabschiedet und kann zum 1.1.2024 in Kraft treten“, hofft Hermann Klatt.
Erfurter Cannabis Social Club: bereits 20.000 Euro investiert
Es könnte sich allerdings auch bis in den Herbst nächsten Jahres hinauszögern. Die Industriehalle zum Anbau kostet aber mindestens 2.500 Euro im Monat. „Um alles vorzubereiten, müssten wir ab dem 1. November anmieten. Wenn sich das dann hinzieht, müssen trotzdem zehntausende Euro auf den Tisch und woher die dann kommen sollen, weiß keiner“, erklärt Klatt. Schließlich ist es ihr privates Geld das er und Dennis Gottschalk in die Hand nehmen: schon jetzt 20.000 Euro. An einen Bankkredit ist nicht zu denken. Dabei muss nicht nur in die Halle, sondern auch in die Hardware wie modernste LED-Lampen und Bewässerungssysteme investieren werden. Klatt rechnet mit etwa einer viertel Million Euro insgesamt.
Das Ganze ist außerdem auch recht arbeitsaufwendig. Aber alles ist rein ehrenamtlich. Dennis Gottschalk möchte trotzdem unbedingt vermeiden, dass irgendeiner, der später bis zu 500 möglichen Mitglieder (derzeit 80 auf einer Warteliste) schon bevor Cannabis ausgegeben wird, etwas bezahlen muss.
20 Euro im Monat Mitgliedsbeitrag und 5 Euro pro Gramm
Für Klatt wäre es optimal: „wenn die Leute 20 Euro im Monat Mitgliedsbeitrag bezahlen und etwa 5 Euro pro Gramm. Das ganze soll flexibel sein. Aber im Moment sieht das eher so ein 'all you can kiff' vor: Die Leute sollen vorhersagen wie viel sie im Monat brauchen. Dafür gibt es dann einen Tarif. Der Gesetzgeber sieht zwar eine Obergrenze von 50 Gramm pro Mitglied im Monat vor. Aber mit diesem Modell animiert man die Leute, die Menge auch abzunehmen, selbst wenn sie die gar nicht brauchen. Sonst würden sie ja Geld verschenken“.
"Wir wollen keineswegs zum erhöhten Konsum anstiften"
Eins ist den beiden ganz besonders wichtig: „Wir wollen den Leuten Cannabis in vernünftiger Qualität verschaffen, aber wir wollen sie keineswegs zum erhöhten Konsum anstiften.“ Außerdem gelte es, problematischen Konsum zu vermeiden. Dass keine hochgefährlichen Streckmittel enthalten sind, dafür aber Wirkstoffgehalte angegeben werden, ist sogar nur ein „primärer Vorteil“ dabei. Dazu kommt nämlich die völlig neue Möglichkeit der „sozialen Kontrolle“. Das heißt: „Wer ziemlich verwahrlost aussieht und gleich immer am 1. des Monats seine 50 Gramm abholt, vielleicht noch fragt, ob er mehr haben kann, den können wir an Suchthilfestellen vermitteln. Raus aus der Illegalität zu kommen, ist für die Suchtprävention und die Schadensverhütung ein enormer Gewinn“, sagt Gottschalk. Auch mit der Suchthilfe in Thüringen (Sit) stehen beide bereits in Kontakt und möchten gemeinsam die Mitarbeitenden schulen.
Ohne Schwarzmarkt könnte sich eine Drogenkompetenz entwickeln
Mit nur einem Cannabis Social Club allein wird es nicht gelingen, den Schwarzmarkt komplett trocken zu legen. Das wird erst funktionieren, wenn genug legales Cannabis verfügbar ist. Das wäre auch gut für den Jugendschutz, denn ein Dealer fragt nie nach dem Alter. Dass Minderjährige Drogen konsumieren wird sich trotzdem nie ganz verhindern lassen. Klatt weiß aber: Die Verfügbarkeit wäre stark eingeschränkt. Ohne Schwarzmarkt könnten sich Minderjährige nur vom Großen Bruder was besorgen lassen oder von den Eltern stibitzen. So könnte sich eine Drogenkompetenz entwickeln.“ Und sind wir doch mal ehrlich: Dass Minderjährige Alkohol trinken ist Deutschland spätestens mit der Jugendweihe bzw. Konfirmation institutionalisiert und kein einziger Unionspolitiker regt sich darüber auf.
Beide haben, was die soziale Komponente angeht, hohe Ansprüche und es wird auch viel von ihnen erwartet, vor allem auch was die Dokumentationspflicht angeht. Besonders krass: Es darf nur geringfügig Beschäftigte geben. „Die stellen sich das so vor, dass man einen Trommelkreis gründet, dann geht mal fix jemand die Pflanzen gießen und schon entsteht das hochreine, gut kontrollierte, bestens dokumentierte Produkt“, so die ironische Zusammenfassung von Klatt.
„Wenn man Professionalität möchte, dann sollen sich da auch ordentlich bezahlte hauptamtliche Beschäftigte darum kümmern. Wir wollen kein Lohndumping betreiben. Und es soll sich da auch keiner in einer 40 Stunden Stelle ehrenamtlich aufopfern müssen“.
Die EU hat nichts verboten
Warum muss in Deutschland alles so kompliziert sein? Andere Länder, inklusive den USA aus denen die Cannabis Prohibition ursprünglich kommt, sind bei der Legalisierung mittlerweile sogar weiter als unsere niederländischen Nachbarn mit ihren Coffeeshops. Aus Berlin hört man des Öfteren, die EU sei schuld. Klatt widerspricht: „Hier wird, wie so häufig, die EU als Ausrede und Sündenbock benutzt. Der Deutsche Hanfverband hat in Brüssel angerufen und die haben gesagt: Wir wissen von nichts und haben auch nichts verboten. Aber Politiker und Journalisten haben schon wieder in die Welt gesetzt, dass die böse EU schuld ist und blockiert.“
Trotz aller Restriktionen, die den „Geist der Prohibition“ atmen, eine komplette kommerzielle Freigabe wie in den USA oder Kanada würden weder Klatt noch Gottschalk befürworten. „Dann würden große Unternehmen, die sich in Amerika etabliert haben, auf den Markt drängen, Läden aus dem Boden stampfen und das Cannabis einfach importieren. Riesige Ketten, McDonald's für Cannabis, wären das Ergebnis“, so Gottschalks Prognose.
Noch tausende Fragen stellen sich und noch Stunden hätten wir reden können, allein über das Thema Cannabis als Medizin, die gerade so älteren und kranken Menschen das Leben etwas angenehmer machen könnte. Aber das würde den Rahmen des CSC Erfurt sprengen und auch den dieses Artikels.