Nur auf dem rechten Auge blind?

Wie Linke von Polizei und Justitz kriminalisiert werden.

Erst hat die Polizei am 1. Mai in Gera eine antifaschistische Demo stundenlang eingekesselt und jetzt gehen die Behörden mit hanebüchnen Hausdurchsuchungen gegen angeblich linksextreme Kräfte vor, statt endlich eigene Fehler aufzuklären.

 

Am 1. Mai 2023 fand eine antifaschistische Demonstration in Gera statt, die aufgrund von Kommunikationsfehlern der Polizei fälschlicherweise gestoppt wurde. Daraufhin kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Eine Hälfte der Demonstration wurde dann willkürlich und unverhältnismäßig eingekesselt, von über 250 Personen die Identität festgestellt und eine erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt.

Am 8. November folgten zahlreiche Hausdurchsuchungen gegen angebliche „Linksextreme“  in Thüringen und anderen Bundesländern.

Seit über sechs Monaten versuchen wir im Landtag, diesen völlig fehlgelaufenen Einsatz auf verschiedenen Ebenen aufzuklären. Diese Einkesselung wurde dem Gericht gegenüber u.a. mit einem vermeintlichen Pfefferspray-Einsatz begründet. Bis heute liegen uns lediglich Nachweise darüber vor, dass die Polizei selbst Pfefferspray eingesetzt hat. Fotos dokumentieren, wie Polizeibeamte von ihren eigenen Kollegen getroffen wurden. Es liegt nahe, dass bereits der damalige Beschluss fälschlich zustande gekommen ist, da man das „friendly-fire“ Pfefferspray den Versammlungsteilnehmern zugerechnet hatte. Dass heute willkürlich eingekesselte Personen mit Wohnungsdurchsuchungen überzogen wurden, ist erneut unverhältnismäßig und zur Aufklärung der fraglichen Sachverhalte weder geeignet noch angemessen.

Die auf Bestreben der Polizei durch die Staatsanwaltschaft Gera eingeholten Durchsuchungsbeschlüsse beim Amtsgericht Gera sind wenig substanziell. Es gibt nach uns vorliegenden Beschlüssen nicht einmal einen individuellen Tatbeitrag oder ein Verschulden, welches Personen konkret vorgeworfen wird. Zur Last gelegt wird bspw., dass sie bei der angemeldeten Demonstration am 1. Mai im vorderen Bereich teilgenommen haben und zuvor die falsche Kleiderfarbe wählten.

In der Antwort auf die„Unschuldigen wurden die Türen eingetreten und ihr Privatbereich verletzt, um damit eine politische Strömung insgesamt einzuschüchtern. Der Sachverhalt war ähnlich: Aus einem unverhältnismäßig groß angelegten Datentopf wurden mehr oder weniger willkürlich Personen ausgewählt und mit Exekutivmaßnahmen konfrontiert. Es stellt sich die Frage, welche Konsequenzen aus diesen Fehleinschätzungen resultieren, von den psychologischen Folgen für die Betroffenen ganz zu schweigen.

Über Stunden wurden 250 Personen willkürlich eingekesselt, darunter Vertreterinnen der Omas gegen Rechts, es gab keine Toiletten, junge Frauen mussten unter teils entwürdigenden Zuständen ihre Notdurft verrichten.

Am 1. Mai in Gera ist richtig viel schief gegangen. Anstelle eine Fehlerkultur in Sicherheits- und Justizbehörden zu etablieren, wird Fehlverhalten unter den Tisch gekehrt oder hanebüchene Rechtfertigungen konstruiert. Als Teil der rot-rot-grünen Landesregierung sind wir seit Jahren darum bemüht, das Vertrauen in Polizei- und Justizbehörden zu stärken. Wenn aber Teilnehmende von Versammlungen mit derart unpräzisen Ermittlungsmaßnahmen konfrontiert werden und damit Einschüchterung erzeugt wird, haben wir ein massives Problem. Menschen, die an einer angemeldeten Versammlung gegen Neonazis in Thüringen teilnehmen, müssen ausgehend von den polizeilichen Maßnahmen am 1. Mai und den  Durchsuchungen vom 9. Movember  künftig davon ausgehen, Ziel von Grundrechtseinschränkungen, Durchsuchungen, Identitätsfeststellungen und dem Einrammen von Haustüren zu werden, ohne sich selber rechtswidrig verhalten zu haben. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut, welches es zu schützen gilt. Alle Maßnahmen haben sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren“.

 

Systematik oder nur „Einzelfälle“?

 

Mai 2017
Wegen einer Anti-Nazi-Demonstration in Gera ermittelt Staatsanwalt Z. gegen einen Teilnehmer wegen angeblicher Vermummung bis zur Anklagebank. Nach dem der Richter eine Videoaufnahme abspielen lässt ist dieser erbost, dass der Beschuldigte gar nicht zu sehen ist und es sich um eine andere Person handelt. Der Staatsanwalt beantragt dann ein „anthropologisches Gutachten“ zur weiteren Verärgerung des Richters, der auch die Steuergeldverschwendung rügte. Nach einem dreiviertel Jahr erklärte auch eine Gutachterin für 1.500 Euro, dass die Person es nicht sei und zeigte sich konsterniert vom Vorgehen des Staatsanwaltes. Der Richter erklärte:  „Sie wurden in persona zu Unrecht angeklagt“ und sprach den Betroffenen frei.
April 2021
Eine Anfrage der Linksfraktion im  Landtag deckte auf, dass der Geraer Staatsanwalt Z. gegen das Künstlerkollektiv „Zentrum für politische Schönheit“ wegen im Zuge einer Kunstaktion in der Nachbarschaft zum Thüringer AfD Chef Höcke 500 Tage Ermittlungen nach §129 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung veranlasste. Später stellte sich heraus, dass der Staatsanwalt der AfD Thüringen Geld spendete. Als das antisemitische U-Bahn-Ausschwitz Lied auf einer AfD-Demo im selben Jahr der Ermittlungen gegen das ZPS gesungen wurde stellte er das Verfahren ein
Februar 2018
Staatsanwalt Z. veranlasst eine
vermeintliche „Entlastungsdurchsuchung“ beim Jenaer Stadtjugendpfarrer, nach dem dieser in der Presse äußerte, dass es ein entlastendes Video in einem anderen Verfahren von Staatsanwalt Z. wegen einer Anti-Nazi-Demo gäbe, welches zeige, dass er unschuldig sei. Anschließend werden Festplatten, USB-Sticks und CDs sowie ein iPad beschlagnahmt, dabei gelangten auch Datenträger mit „höchst vertrauliche Daten von Seelsorge-Gesprächen aus den vergangenen Jahren“ in die Hände von Polizei und Staatsanwaltschaft.
März 2018
Auf Antrag von Staatsanwalt Z. soll das LINKE-Abgeordnetenbüro
RedRoXX in Erfurt wegen Terrorverdacht (PKK) durchsucht werden. Nach Protesten blieb es bei zwei Screenshots von Facebook, weil der linke Jugendverband ein Facebook-Posting zur Ankündigung einer zugelassenen und öffentlichen Veranstaltung eines kurdischen Vereins geteilt haben soll. Selbst die Polizei, die die Maßnahme umsetzen musste zeigte sich verwundert über das Vorgehen des Staatsanwaltes.
Juli 2021
In Jena werden mehrere Türen aufgerammt und Razzien durchgeführt, weil den Personen vorgeworfen wurde, sie hätten an einer Demonstration im Frühjahr teilgenommen, aus der heraus Geschäfte beschädigt wurden. Fünf Beschlüsse der Staatsanwaltschaft Gera bzw. des Amtsgerichtes Gera zur Durchsuchung werden später vom Landgericht Gera als rechtswidrig erklärt. Man habe ihnen deswegen teils die Türen eingetreten, weil sie mit dem Handy in einer Funkzelle eingeloggt waren und man eine örtliche Nähe vermutete. Tatsächlich war es die Jenaer Innenstadt mit über 138.000 Handydatensätzen, wie eine Anfrage der Linksfraktion offenbarte.

 

 

Erniedrigt und kriminalisiert

 

Weil sie „phänotypisch links“ aussehen: Erfurter Polizei kriminalisiert Stadtrundgang bei den  Studieneinführungstagen „Nächste Ecke Links“.

 

 

Am 28. Oktober wurde ein Stadtrundgang im Rahmen der alternativen Studieneinführungstage „Nächste Ecke Links“ durch einen unverhältnismäßigen Polizeieinsatz vorzeitig beendet. Die Teilnehmenden wurden festgesetzt und es kam zu Körper- und Taschendurchsuchungen. Es wurdem die Personalien aller Teilnehmenden aufgenommen, begleitet von abschätzigen Kommentaren („Frauenzeugs“) seitens der Polizei.
Die Veranstalter*innen und das Bündnis hinter den Alternativen Einführungstagen verurteilen das Vorgehen der Polizei. Auf Nachfrage erklärte die Polizei, dass es sich um eine „Vorkontrolle“ angesichts des zwei Stunden später geplanten AfD-Aufmarsches von Björn Höcke handle. Angebracht sei diese, weil die Teilnehmer*innen des Rundgangs „phänotypisch links“ aussähen.
Die Polizei wurde über den Hintergrund des Stadtrundgangs (Hexenverfolgung in Erfurt) in Kenntnis gesetzt und darüber informiert, dass der Rundgang nur noch wenige Minuten dauern würde. Ebenso wurde das Angebot unterbreitet, die letzte Station räumlich zu verlegen. Die Polizei ist auf diese Angebote nicht eingegangen und führte die Maßnahme wie angekündigt durch, wodurch es unmöglich wurde, den Stadtrundgang wie geplant zu Ende zu führen. „Dass die Polizei aber aufgrund des Aussehens unserer Teilnehmer*innen den Rundgang zum Objekt polizeilicher Maßnahmen machen würde, konnten wir nicht antizipieren“, so Sandy Wolff, Historikerin und Organisatorin des Stadtrundgangs. Maike, eine Teilnehmer- in sagte, dass sie sich durch das Vorgehen der Polizei kriminalisiert und besonders durch die Körper-Durchsuchung erniedrigt gefühlt habe.
Die alternativen Studieneinführungstage „Nächste Ecke Links“ werden seit 2015 von studentischen und linken Gruppen sowie Partei- und Gewerkschafts- und Jugendverbänden getragen und sollen Studienanfänger*innen einen Einblick in die alternative Soziokultur Erfurts bieten. Nennenswert Vorfälle hatte es in all den Jahren nie gegeben. In diesen Tagen ist es aber nicht der einzige Versucht links-alternatives Engagement einzuschüchtern und zu kriminalisieren.  Eine Protestnote wurde von mehr als einem Dutzend Organsionen von der DGB-Jugend bis zurm Stura unterzeichnet.