Neun Euro oder gleich komplett kostenlos?

Ein 9-Euro-Ticket für drei Monate Bus und Bahn fahren klingt nach der besten Idee der Ampel-Koalition. Aber ist das in Thüringen überhaupt umsetzbar und was könnte das langfristig für die Verkehrswende bringen?

 

„Erfurt muss diese Chance nutzen“ 

 

Bus und Bahn kostenlos für alle? Fast klingt es wie ein schöner Traum. Aber das von der Bundesregierung ins Spiel gebrachte 9-Euro-Ticket für drei Monate, könnte durchaus der Einstieg für eine radikal andere  Verkehrspolitik werden.  Sogar die Verkehrsministerkonferenz der Bundesländer hatte Ende März ein Nulltarif-Ticket ins Spiel gebracht. Der Bund müsse das nur „vollfinanzieren“. Hauptgrund für den überraschenden Vorschlag ist, den Verwaltungsaufwand für die vielen unterschiedlichen Verkehrsverbünde möglichst klein halten. Ähnliches ist auch aus Thüringen zu hören: „Wenn der Bund seine Ankündigung tatsächlich umsetzt, muss Erfurt diese Chance nutzen, um das Projekt „Ticketfreier ÖPNV“ zu testen“, fordert die Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Stadtrat, Katja Maurer. 

 

EVAG tritt auf die Euphoriebremse 

 

Aber wie realistisch ist das? Wann könnte das starten? Und was ist mit den ländlichen Räumen, wo die Bahn gar nicht mehr und der Bus nur zwei Mal am Tag fährt?

Einige latschen gleich mal kräftig auf die Euphoriebremse. So wie die Chefin der Erfurter Verkehrsbetriebe, Myriam Berg. Sie befürchtet: Dann fahren so viele mit der Straßenbahn, dass das System kollabiert. Das 9-Euro-Ticket könnte sie sich aber vorstellen, wenn es dafür eine digitale Lösung gibt. Die wäre günstiger, weil weniger aufwendig. Dieser fahrscheinfreie Nahverkehr würde wohl aber Leute ohne Smartphone komplett ausgrenzen. 

 

Im Dschungel der Zuständigkeiten 

 

Zusätzlich erschwert wird die Umsetzung durch den Dschungel unterschiedlicher zuständig. Für Busse und Straßenbahnen sind in der  Regel die Kommunen Zuständigkeiten. Für den lokalen Eisenbahnverkehr das Land. In Thüringen gibt es aber acht unterschiedliche Verkehrsverbünde und neben der DB rollen auch noch die kommunale Erfurter Bahn sowie die Südthüringen Bahn und Abellio über die Gleise. 

 

Für Thüringen ist es mit dem Nulltarif allein nicht getan 

 

Aus dem Verkehrsministerium kommt trotz der hohen bürokratischen Hürden prinzipielle Zustimmung für einen auf drei Monate befristeten Nulltarif. „Das wäre ein starkes Signal an die Bürgerinnen und Bürger, in dieser Zeit der hohen Energiekosten auf den ÖPNV umzusteigen“, sagt Prof. Barbara Schönig, Staatssekretärin im Thüringer Verkehrsministerium. Aber: „Es profitieren in erster Linie diejenigen, die in urbanen Räumen auf ein umfangreiches ÖPNV-Angebot zurückgreifen können“, ist sich Verkehrsministerin Susanna Karawanskij (LINKE) sehr bewusst. Für das ländliche Thüringen ist es mit Nulltarif allein also nicht getan, denn: „Neben dieser kurzfristigen Entlastung brauchen wir langfristige Lösungen, damit mehr Menschen gerade in den ländlichen Räumen den ÖPNV nutzen können und mehr Güter auf die Schiene gebracht werden“.

 

In drei Monaten nicht zu schaffen 

 

Wenn tatsächlich der Nulltarif kommen sollte, wird der so oder so vor allem den Menschen in den Städten nutzen. Wer in Schmalkalden oder Sonneberg wohnt, wird bei über zwei Stunden Fahrzeit kaum den Zug nach Erfurt oder Jena nehmen. Und, wenn nur einmal am Tag ein Bus fährt, nützt es auch wenig, wenn der kostenlos ist. Hier die Strukturen auszubauen, ganze Regionen wieder an den Bahnverkehr anzukoppeln, ist in drei Monaten nicht zu schaffen. 

 

Nur ein Baustein der Verkehrswende 

 

Kein Wunder, dass der progressive Verkehrsclub Deutschland (VCD) meckert: „Wir brauchen keine kurz wirkenden Beruhigungspillen aus der Bundespolitik, sondern eine transparente in die Zukunft führende nachhaltige Verkehrspolitik“.  

Trotzdem wäre ein kostenfreier Nahverkehr natürlich ganz nach dem Geschmack des VCD. Aber:  „Dieser ist nur ein Baustein hin zu einer notwendigen Verkehrswende. Neben einem leistungsstarken ÖPNV müssen Bedingungen geschaffen werden, die den Fußgängerverkehr und das Radfahren stärken und das für alle Altersstufen. Dazu gehören u.a. sichere Schulwege, weniger Autoverkehr und somit weniger ‘Bettelampeln’ usw. Lebensraum, statt Autoraum muss das Motto dieser Umstellung sein. Das Geld, was man beim Autoverkehr spart, kann zur Erweiterung der Infrastruktur in Erfurt und im Umland genutzt werden“, meint Falko Stolp vom VCD Erfurt.  

 

„Die Effekte werden mit Sicherheit spürbar sein“

 

Unklar ist aber weiterhin, was nun kommt. Das 9-Euro-Ticket, der Nulltarif oder das totale Versanden im Verwaltungsdschungel der Zuständigkeiten. 

Beim Geschäftsführer des größten Thüringer Verkehrsverbundes (VMT), Christoph Heuing häuften sich schon die Anfragen nach dem 9-Euro-Ticket. Im April ist daran noch nicht zu denken. Heuing geht aber wie die meisten Landespolitiker davon aus, dass es kommen wird. Die Frage ist nur wann. Die Effekte werden mit Sicherheit spürbar sein: „In Erfurt oder Jena zum Beispiel dürfte es gerade im Berufsverkehr dann sehr voll in Bussen oder Straßenbahnen werden“, vermutet Heuning. Dann braucht es mehr Busse, mehr  Bahnen und folglich noch mehr Geld. 

 

Kostenloses Schüler*innenticket? 

 

Nach den 3 Monaten werden die Millionen Autofreaks nicht auf die Bahn umsteigen. Aber es könnte durchaus ein rasanter Denkprozess beginnen, verbunden mit der Frage: Müsste Zugfahren nicht generell deutlich günstiger sein als mit dem Auto?

Auf dem Weg dahin könnten auch kleine Schritte helfen. Als Beispiel führt der VCD hier das kostenlose Schüler*innenticket. an. Das ist keine sozialistische Utopie, sondern in Rostock schon Alltag. Und: „Was in Rostock möglich ist, kann auch in Erfurt klappen“, ist sich Falko Stolp sicher.

 

Thomas Holzmann