Neuer Parteivorstand will die Kunst des Zuhörens üben

Viele hatten vor dem Göttinger Parteitag am 2. und 3. Juni schon eine Spaltung der LINKEN prognostiziert. Von den Mitgliedern befürchtet und von den Kommentatoren fast herbeigeschrieben, blieb der große Krach jedoch aus.

Konstruktiv wurde der vom alten Parteivorstand vorgelegte Leitantrag diskutiert und in einer veränderten Fassung mit großer Mehrheit beschlossen.

Auch die Wahl des Vorstands endeten nicht im Zerwürfnis. So stellten sich – den demokratischen Gepflogenheiten folgend – für fast alle Posten mehrere KandidatInnen den Delegierten. Letztlich wurde mit der Wahl von Katja Kipping und Bernd Riexinger als Vorsitzende ein Weg gegangen, der sich der zuvor inszenierten Polarisierung zwischen Oskar Lafontaine und Dietmar Bartsch entzieht und eine integrative Lösung der politischen Auseinandersetzungen in der Partei anstrebt. Die 34 Jahre alte Bundestagsabgeordnete Kipping aus Sachsen setzte sich mit gut 67 Prozent deutlich gegen die 63-jährige Vorsitzende der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft Dora Heyenn durch. Und der 56-jährige Riexinger, Geschäftsführer der Gewerkschaft ver.di im wichtigen Bezirk Stuttgart, erhielt 53 Prozent der Delegiertenstimmen. Er gewann knapp gegen den 54-jährigen Bundestagsabgeordneten Bartsch aus Mecklenburg-Vorpommern. Als stellvertretende Vorsitzende wurden Sahra Wagenknecht (Nordrhein-Westfalen), Caren Lay (Sachsen), Jan van Aken (Hamburg) und Axel Troost (Sachsen) gewählt. Das beste Ergebnis erhielt Matthias Höhn (Sachsen-Anhalt), der mit 81 Prozent Bundesgeschäftsführer wurde. Bundesschatzmeister wurde erneut Raju Sharma (Schleswig-Holstein). Unter den weiteren Vorstandsmitgliedern finden sich zahlreiche bekannte und erfahrene PolitikerInnen der unterschiedlichen geographischen und politischen Herkünfte.

Der Vorsitzende der Thüringer LINKEN Knut Korschewsky sieht im Ergebnis des Parteitages nun die Chance auf einen Neuanfang. Die wichtigsten Aufgaben der neuen Führung seien die Stabilisierung der Partei und die Vorbereitung des Bundestagswahlkampfes 2013. Es müssten nun „alle Beteiligten und Kontrahenten“ in die Arbeit einbezogen werden. Korschewsky: „Kipping und Riexinger stehen für das Erfurter Programm, das wir mit großer Mehrheit 2011 beschlossen haben. Ich erwarte, dass es jetzt kraftvoll umgesetzt wird.“ Und in einem Glückwunschschreiben an die Beiden schreibt er: „Die Genossinnen und Genossen in den Basisorganisationen in Ost und West wollen nach einer Zeit der inneren Zerrissenheit nun endlich wieder Politik für die Menschen auf der Straße, in den Vereinen und Verbänden machen. Dazu brauchen sie auch einen starken Parteivorstand, der mit einer Stimme spricht.“ Er lud gleich nach der Wahl Kipping und Riexinger zu Gesprächen mit Thüringer Mitgliedern und Aktiven der Partei ein.

In den Reden von Gregor Gysi, Lafontaine und Bartsch wurden ehrlich und transparent unterschiedliche Sichten auf die Partei, Fehler der Vergangenheit und den richtigen Kurs erkennbar. Kipping beschrieb nach der Wahl den Führungsstil der neuen Doppelspitze, um gegenzusteuern: „Wir sind uns einig, dass wir die Kunst des Zuhörens üben wollen.“ Eine lernende, neugierige und offene Partei solle DIE LINKE werden. Beide neue Vorsitzende stehen für eine enge Anbindung der Arbeit in den Parlamenten an soziale Bewegungen und sind in Initiativen gegen Sozialkahlschlag verankert.

 Statt die eigene Politik – ob in positiver Hoffnung oder in strikter Abgrenzung – auf die SPD zu fixieren, setzen sie auf eigenständige Antworten. So war auch Riexinger, anders als viele linke Gewerkschafter aus dem Westen, nie Mitglied der SPD. Aber vor allem Kipping gelingt es durch ihre Funktion als Vorstandssprecherin des „Instituts Solidarische Moderne“, in dem Vertreter der LINKEN gemeinsam mit linken Wissenschaftlern, Mitgliedern von SPD und Grünen sowie Gewerkschaftern an neuen Politikkonzepten arbeiten, und als Mitherausgeberin des Magazins „prager frühling – Magazin für Freiheit und Sozialismus“ immer wieder, einer zeitgemäßen linken Politik Gesicht zu verleihen.


Paul Wellsow