Nazis morden und der Staat schaut zu?

Gerade hat TV-Satiriker Jan Böhmermann das irre Gebaren des hessischen Verfassungsschutzes ans Licht gebracht. In Thüringen sorgt die „IG 4. September“ für neue Erkenntnisse. Hat ein Neonazi und V-Mann des Verfassungsschutzes Rolf Baginski ermordet? Und war der Täter sogar mit dem Kerntrio der Terrorzelle „NSU“ bekannt?

Eine erschreckende, grauenhafte und schmerzhafte Geschichte

 

In Nordhausen organisierte die „Interessengemeinschaft 4. September“ eine Gedenkkundgebung. Anlass war der 25. Todestag von Rolf Baginski, ein Todesopfer rechter Gewalt. So jedenfalls die Zählung der Amadeu-Antonio-Stiftung. Eine staatliche Anerkennung als Todesopfer rechter Gewalt gibt es bisher aber nicht.

Die Geschichte von Rolf Baginski wurde erst über den Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss und insbesondere die weitergehenden Recherchen des  Journalisten Dirk Laabs einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Eine erschreckende, grauenhafte und schmerzhafte Geschichte, die Verbindungen bis ins Heute aufweist. Eine Geschichte, anhand derer die Abgründe der sogenannten „Baseballschlägerjahre“ in den frühen 1990ern nachvollziehbar werden. Gleiches gilt für das Ignorieren rechter Gewalt sowie die Verwicklungen von Sicherheitsbehörden. Eine Warnung vorab: Im folgenden Text wird teils explizit Gewalt beschrieben.

Rolf und sein Sohn Mike Baginski waren in der Nacht des 28. November 1991 auf dem Heimweg von einem Diskothek-Besuch als sie von drei Nordhäuser Neonazis angegriffen wurden. Die Täter, rund um den führenden Neonazi Michael See, schlugen die beiden brutal zusammen. Immer wieder traten sie brutal mit Stahlkappenschuhen gegen die Köpfe der mittlerweile regungslosen Baginskis.

 

 

Nazis flohen erst nach Warnschuss der Polizei

 

Auch als die Polizei eintraf, ließen die Täter nicht von ihren Opfern ab. Sie flüchteten erst als ein Polizist einen Warnschuss abgab. Schwerste Verletzungen wurden durch Ärzte festgestellt. Beide wurden im Krankenhaus behandelt. Der Vater musste über mehrere Monate bleiben und konnte erst zwei Monate nach dem Übergriff von der Polizei befragt werden. Der Angriff hatte schwere Folgen für Vater und Sohn. Beide sind fortan auf die Hilfe Dritter angewiesen, um ihr Leben bestreiten zu können. Für den Vater, Rolf Baginski, kam es noch schlimmer: Die Verletzungen waren so schwerwiegend, dass er an den Folgen des Angriffes am 28. November 1997 starb.

 

Mal wieder kein rechtes Motiv erkannt

 

Die drei Täter sind bekannte Neonazis. Einer der drei ist Michael See, späterer V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Ein führender Neonazi, der bereits in mehreren extrem rechten Strukturen in Nordthüringen mitwirkte. See pflegt bundesweite Kontakte in die rechte Szene und vertritt eine zutiefst rassistische, neonazistische Ideologie. In seiner Beschuldigtenvernehmung gab er eine sozialdarwinistische Motivation bei der Tat zu. Die Täter wurden zu Jugendstrafen verurteilt. Dabei wurden weder die politische Dimension noch die sozialdarwinistischen und rassistischen Tatmotive berücksichtigt.

 

Kein Schmerzensgeld für Familie Baginski

 

Das Schmerzensgeld zu dem Michael See verurteilt wurde, erhielt die Familie Baginski nie. Und dass, obwohl der spätere V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz (Deckname „Tarif“) mehrere zehntausend Euro an Honorar für seine Tätigkeit erhielt. Diese nutzte er  mutmaßlich zum Aufbau rechtsradikaler Strukturen und Finanzierung der rechtsradikalen Zeitschrift „Sonnenbanner“, die auch in der Garage des NSU-Kerntrios gefunden wurde.

 

V-Mann-Akten geschreddert

 

Es ist nicht der einzige Kontakt zum Kerntrio des NSU: Bereits vor Untertauchen existierten Verbindungen über den Thüringer Heimatschutz. Er selber gab im Zuge seiner Vernehmung im Nachgang der so genannten Selbstenttarnung des NSU-Kerntrios zu, dass er angefragt wurde, ob er die drei ins Ausland bringen könne. Die Information hätte er seinem damaligen V-Mann-Führer des Bundesamtes für Verfassungsschutz weitergegeben. Ob dies stimmt, bleibt fraglich. Die Akten von Michael See gehören zu denen, die kurz nach der Selbstenttarnung des NSU im Bundesamt für Verfassungsschutz geschreddert wurden.

 

Leicht zu entlarvendes Lügengebilde

 

„Akten, die zur Aufklärung des NSU-Komplexes hätten beitragen können zu schreddern, ist einer der zu wenig beachteten Skandale rund um den Verfassungsschutz und dessen Rolle im NSU-Komplex. Die Begründung, dass diese angeblich wegen Datenschutz geschreddert wurden, ist ein durchschaubares und leicht zu entlarvendes Lügengebilde. Dass sie vernichtet wurden, ist deutliches Zeichen dafür, dass der Verfassungsschutz nicht zur Aufklärung von rechtsterroristischen Strukturen beiträgt. Vielmehr ist er als Teil des Problems der immer noch nicht erfolgten, vollständigen Aufklärung des NSU-Komplexes zu betrachten. Die Akten von Michael See hätten vielleicht mehr Licht sowohl in das Netzwerk um den Nationalsozialistischen Untergrund als auch die Umstände rund um den Angriff auf Rolf und Mike Baginski bringen können“, erklärt Katharina König-Preuss, Sprecherin für Antifaschismus der LINKE-Landtagsfraktion.

 

Überprüfung von Todesopfern rechter Gewalt in Thüringen?

 

Im Zuge der Gedenkkundgebung hat die Interessengemeinschaft verschiedene Forderungen aufgemacht. Dazu gehört auch die Schaffung eines Gedenkortes, die ich vollumfänglich unterstützen kann. Rechte Gewalt und rechter Terror endeten weder 1945, noch nach den 1990er Jahren. Rechte Gewalt und rechter Terror haben Kontinuität und dieser muss sich die demokratische Gesellschaft stellen.

Auch die weitere Forderung nach staatlicher Anerkennung als Todesopfer rechter Gewalt unterstützen wir. Die rot-rot-grüne Landesregierung hat auf Bestreben der Linksfraktion eine Überprüfung von Todesopfern rechter Gewalt in Thüringen in Auftrag gegeben, die aktuell durch die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin in Kooperation mit dem Moses-Mendel- Sohn-Zentrum der Universität Potsdam durchgeführt wird. Der Tod von Rolf Baginski ist einer der Fälle. Ebenso muss das Schmerzensgeld endlich gezahlt werden, hier ist  das Bundesamt für Verfassungsschutz in der Pflicht. Die Geschichte von Rolf Baginski zeigt deutlich auf, dass der Verfassungsschutz abgeschafft werden muss. Erneut zeigt sich, dass  Täterschutz vor Opferschutz steht.

 

Tim Rosenstock