Mehr Lust auf Miteinander

Die erste Tagung des 9. Parteitages der Thüringer LINKEN auf der Messe in Erfurt überraschte mit klaren Ansagen von Bodo Ramelow in Richtung Sahra Wagenknecht und der Wahl des neuen Landesgeschäftsführers vor dem „Super-Duper-Wahljahr“ 2024.

Um auf einem Landesparteitag zu fehlen, braucht es schon triftige Gründe. Die andauernde Bildungsmisere ist so einer. Kein Wunder, dass der Vorsitzende der Erfurter LINKEN und etliche andere Delegierte, inklusive Bildungsminister, erst mal auf der Demo „Bildungswende jetzt“ unterwegs waren (mehr dazu auf Seite 10). Bis zur Rede des einzigen LINKEN Ministerpräsidenten und zur Wahl des neuen Vorstands waren aber alle wieder zurück auf der Messe in Erfurt. Dort wurden sie Zeuge einer deutlichen Ansage von Bodo Ramelow in Richtung Sahra Wagenknecht; „Gründe deine Partei, aber dann mache es jetzt“, was von der Mehrheit der Delegierten mit Applaus bedacht wurde. Als vielleicht allerletztes Friedensangebot sagte Ramelow aber auch: „Ich hätte nichts dagegen, wenn Sahra an unserer Seite stände und den Karren in die gleiche Richtung zieht. Aber immer von der Seite ein Bein stellen, das sind die Selbstverliebten“, so Ramelows bissige Ansage in Anlehnung an Sahra Wagenknechts letztes Buch „Die Selbstgerechten“. 

 

Wer anschließend ein großes Aufflammen des personellen Dauerschwelbrandes erwartet hatte, lag aber grundfalsch. Ernste Diskussionen gab es höchstens über Formulierungsfragen wie zum „Sozialstaat Thüringer Modell“. 

 

Auch die Wahl zum neuen Landesvorstand verlief ziemlich entspannt. Geführt wurde die Thüringer LINKE seit zwei Jahren erstmals von einer Doppelspitze aus der Anwältin Ulrike Grosse-Röthig und dem Landtagsabgeordneten Christian Schaft. Grosse-Röthig, die viele vorher schon als Landeselternsprecherin kannten, zog ein positive Fazit ihrer ersten Amtszeit. Die sei geprägt gewesen von überfälligen Debatten, Strukturveränderungen in der Geschäftsstelle und roten Ordnern, die heute in jedem Kreis stehen. „Jeglicher Pessimismus“ sei daher unangebracht. Auch von Delegierten viel Lob: „selten eine klarere Frau gesehen“, „wenn Leute einknicken, sie hält stand“ oder „für soziale Gerechtigkeit ist ihr kein Weg zu weit“. Warum es dann „nur“ zu 64 Prozent der Stimmen gereicht hat, wird da wohl das Geheimnis der Partei bleiben.

 

Den trotz seiner erst 32 Jahre schon äußerst erfahrenen Berufspolitiker Christian Schaft kann sowas nicht schocken. Im Gegenteil: Der Kommunikationswissenschaftler hat nach zwei Jahren immer noch Lust, auf das Dorfgespräch in Wilmersdorf oder darauf, DIE LINKE zu einer „noch lebendigeren Mitmach-Partei zu machen“. Das sehen viele offensichtlich genauso: 81 Prozent sind dafür ein starkes Signal.

Die erste echte Überraschung des Tages war zugleich mit einer traurigen Nachricht verbunden. Die beliebte Landtagspräsidentin Birgit Pommer, will als aus Altersgründen nicht erneut für den Landtag kandidieren. Dass sich die 64-Jährige dann aber, statt in den wohlverdienten Ruherand zu gehen, nochmal als Landesvize voll einbringen will, kam gut an. Ein Wahlergebnis von 93 Prozent spricht für sich. 

 

Doch der LINKE-Vorstand besteht in Thüringen keineswegs nur aus Berufspolitiker*innen. Daniel Starost, der sich selbst als „so ein komischer Vertreter der Arbeiter- klasse“ vorstellte und hegelianisch hinterher schob, dass er diesen Kampfbegriff eigentlich gar nicht mag. Dass der LINKEN auch Leute ohne Uni-Abschluss gut zu Gesicht stehen, dürfte aber außer Frage stehen. Auch von den Delegierten nur Gutes: „Der schwafelt nicht“, ist vielleicht so was wie das ultimative Kompliment für jeden Politiker. Das reicht dann auch, um sich mit 55 Prozent gegen Paul Gruber (38 Prozent) durchzusetzen. Und dass, obwohl Gruber mit besten Verbindungen in die Zivilgesellschaft und einer Fürrede von Fraktionschef Steffen Dittes durchaus zu überzeugen wusste. Von Bitterkeit aber keine Spur: Gruber wird ebenfalls im nächsten Landesvorstand vertreten sein.

 

Die einzige größere Überraschung des Parteitages dürfte für Außenstehende der neue Landesgeschäftsführer sein. Mathias Günther, seit 2019 im Amt, trat nicht mehr an. René, von den meisten „Reen“ genannt, Kolditz, sieht seine Stärke im Lernen: „Ich weiß nicht alles und wenn ich denke, dass andere es besser wissen, dann frage ich nach. Und das ist auch die Stärke der LINKEN.“ Als Schlagzeuger von Lila Bungalow benutzt Kolditz natürlich entsprechende Metaphern.

Die Thüringer LINKE sei keine One Hit Wonder: „Wir haben uns die Fans erarbeitet“. Ins kalte Wasser springt er dabei keineswegs. Als Büroleiter in der Landesgeschäftsstelle habe sich das Team in den letzten 15 Monaten bereits „eingeruckelt“. Kolditz verspürt sogar „mehr Lust auf Miteinander“. Und wenn im anstehenden Super- oder wie ein Delegierter es noch treffender formuliert „Super-Duper-Wahljahr“, der „Frontmann Bodo Ramelow“ perfekt performen soll, muss die ganze Band, sprich Partei, mitziehen. Wenn es schwer fallen sollte, empfiehlt der mit traumhaften 93 Prozent gewählte neue Landesgeschäftsführer: „Stellt euch die Frage: Warum bin ich eigentlich Linker geworden?“