„Harmloser als Scholz auf Ritalin“

UNZ war bei einer Info-Veranstaltung der Letzten Generation an der Uni Erfurt dabei und erlebte kritisch-konstruktive Diskussionen, bei der selbst gelegentliche Polemik der Sache zu nutzen scheint.

Der Raum an der Erfurter Uni war am 25. Mai trotz bestem Sommerwetter gut gefüllt. Die meisten der etwa 50 Menschen, waren jüngere zwischen 20 und 30. Das Einführungsreferat über die kommende Klimakatastrophe hatte eher was von einem unterdurchschnittlichen Uni-Seminar. Dabei ist vermutlich allen, die zur Letzten Generation gehen, längst bewusst wie ernst die Lage ist.

 

Aufschlussreicher war die intensive Debatte über die Methoden und Ziele. Die wurden kontrovers, aber  ohne hasserfüllte Schreihälse diskutiert. Sogar die gelegentlichen polemischen Wortmeldungen dienten eher der Debatte. Keine Spur von Kriminellen oder Terroristen.

 

Im Gegenteil: „Die Forderungen der Letzte Generation sind harmloser als Olaf Scholz auf Ritalin“, so gleich die erste Wortmeldung in der Debatte.  Das Tempolimit auf Autobahnen sei mehr als überfällig. Das 9-Euro-Ticket hatten wir schon. Jetzt kostet es aber 49 Euro und kann nicht mehr einfach so am Automaten erworben werden. Und der Gesellschaftsrat steht als Bürgerrat nicht nur im Koalitionsvertrag, er hat sogar schon – organisiert von Mehr Demokratie e. V. – getagt. Leider interessieren sich die Medien nicht dafür, in Thüringen schon gleich gar nicht.

Das einzige wirklich radikale ist, dass der durch das Los zusammengesetzte Gesellschaftsrat Vorschläge erarbeiten soll, bis 2030 (und nicht erst 2045!) klimaneutral zu werden.  Das entspricht im Prinzip dem Pariser Klimaabkommen von 2015. Allerdings gehen bereits fast alle Wissenschaftler*innen  davon aus, dass das dort gefasste Ziel von maximal 1,5 Grad Erderwärmung  jetzt schon nicht mehr zu schaffen ist. Eine Aktivistin illustrierte das Dilemma an einem Stein der den Berg hinunter rollt. 2045 wird er unten angekommen sein. 

 

Deshalb sind sich bei der Letzte Generation alle einig: „Wenn eine große moralische Krise herrscht, braucht es das Auflehnen von Menschen, die das Unrecht nicht weiter hinnehmen wollen.“ Beispiele dafür gibt es viele: Die Unabhängigkeitsbewegung in Indien, der Kampf der Suffragetten um das Frauenwahlrecht oder die Bürgerrechtsbewegung in den USA. 

 

Der Vergleich mit Martin Luther King oder Rosa Parks mag im ersten Moment unpassend erscheinen, zumal im Hörsaal ausschließlich Weiße sitzen. Allerdings hat auch die Bürgerrechtsbewegung anfangs „nur“ demonstriert und es änderte sich nichts.  Da drängt sich ein Vergleich mit Fridays for Future auf.  Demonstriert wird jetzt nur noch ab und an mal und das nach der Schulzeit. Die Bewegung ist gewiss nicht tot, hat aber an Schwung verloren.

 

Einen ultimativen Plan, der sicher funktioniert, hat aber auch die Letzte Generation  nicht.  Sicher ist: „Nur durch Störung, die nicht ignoriert werden kann und längere Zeit andauert, erzeugen wir gesellschaftliche Spannung“. Blockaden seien hier besonders effizient, weil schon eine einzelne Person viel Aufmerksamkeit erreichen könne.

Trotz der Razzien und Gefängnisstrafen wird die Letzte Generation nicht klein beigeben, im Gegenteil: „Wir werden nicht aufhören, auch wenn es noch Monate dauert“.

Nur Städte, die sich bereits auf die Seite der Letzten Generation gestellt haben, werden keine Blockaden erleben. Darunter ist u.a. Hannover, Marburg und sogar Tübingen, mit dem ex Grünen Rechtsausleger Boris Palmer als Oberbürgermeister.

 

Das sind erste kleine Erfolge, mehr nicht. Entsprechend groß war auch in Erfurt der Diskussionsbedarf.  „Klar gibt es Verbündete, aber wir sind nicht in der Position Veränderungen zu erreichen. Dafür bauchen wir Mehrheiten und die sehe ich nicht“, so ein Kritikpunkt. Antwort: Bei allen, die gegen den Strom geschwommen sind, empörte sich die Mehrheit, aber genau das schafft die enorme Aufmerksamkeit. Ein anderer merkte, an dass das Frauenwahlrecht auch nicht eingeführt wurde, weil plötzlich 51 Prozent der Männer dafür waren.

 

Kritik gab es auch zum Thema Rettungsgasse. Offenbar sind bereits Menschen zu Schaden gekommen, weil der Rettungswagen bei einer Blockade im Stau stand.  Eine Aktivistin versicherte, dass immer mindestens zwei Leute nicht festgeklebt sind und jederzeit aufstehen können, um einen Rettungswagen durchzulassen zu können.  Eine andere meinte, man dürfe sich trotz dieses „moralischen Dilemmas“ kein schlechtes Gewissen machen lassen. Schließlich sei das Fehlen von Rettungsgassen ein generelles Problem, auch in jedem alltäglichen Stau.

 

Die Methode der Blockaden wurde ausführlich diskutiert. Einige wünschen sich eine bessere Aktionsform, der mehr Menschen zustimmen würden. Eine wirkliche Alternative wurde aber nicht gefunden. Welche sollen es auch sein? Wieder jeden Freitagmittag demonstrieren?  Dialog mit Politiker*innen? Ein  Klimacamp auf dem Erfurter Fischmarkt? Gab es alles schon. Ohne die Blockaden würde vermutlich erst wieder bei der nächsten Flut-  oder Waldbrandkatastrophe kurz über die Klimakrise geredet. Danach wird wieder eine andere Sau durchs Dorf getrieben.

Mit Blick auf die zunehmende Gewalt gegen die Letzte Generation fragte eine Zuhörerin, was denn passiere, wenn jemand überfahren oder gar getötet würde. Für einen kurzen Moment herrschte Totenstille, dann kam die Antwort: „Wir wissen es nicht“.  Sicher und widersprochen dagegen: Scheiben einwerfen und jede Art von Gewalt kommt nicht in Frage!

 

Kritisch hinterfragt wurde auch der Gesellschaftsrat. Der beruht auf Freiwilligkeit. Einige fürchten, dass da „nur Rentner mit zu viel Zeit“ und nicht der Querschnitt der Gesellschaft sitzt.  Das konnte mit Blick auf die Bilanz von durch das Los bestimme Gremien größtenteils entkräftet werden. Der Gesellschaftsrat soll auch nicht den Bundestag ersetzen, wie oft behauptet wird. Eine Idee ist dagegen, dessen Vorschläge in einem bundesweiten Volksentscheid abstimmen zu lassen. Nur gibt es den leider noch nicht.

 

Müsste die Letzte Generation da nicht eine Partei gründen, warf ein Zuhörer ein. Das ist aber schon allein aus Zeitgründen nicht mehr drin, schließlich bleiben nur 3 bis 5 Jahre bis zum Überschreiten der Kipppunkte.

 

 „Uns ist bewusst, dass nicht alle Widerstand leisten können, aber wir in Deutschland haben gute Vorrausetzungen“. Trotz der Razzien hat die Letzte Generation sehr wohl Vertrauen in den Rechtsstaat: „Den können wir nutzen“. In anderen Ländern müssten sie um ihr Leben fürchten. Trotzdem ist die Letzte Generation  nicht allein. In 11 Ländern laufen solche Kampagnen. In Den Haag wurden gerade 1.000 Leute bei einer Autobahnblockade verhaftet.