Es ist hart, aber es muss sein

In Erfurt, Gera oder Suhl gibt es noch eine kleine Friedensbewegung. Doch die Menschen sind gleichgültig geworden, die Medien ignorieren oder verunglimpfen. Dazu kommen Unterwanderungsversuche von rechts. Wo nehmen die Friedensbewegten nur ihren Idealismus her? UNZ sprach mit Friedenbewegten aus Erfurt und Suhl.

Dass der Himmel am Weltfriedenstag seine Schleusen über Thüringen weit geöffnet hatte ist auf traurige Art gleich ein Symbol für Zweierlei: das Sterben in zahlreichen Kriegen und den Zustand der Friedensbewegung. Wenn zum Friedensfest am 1. September auf dem Anger in Erfurt keine 100 Leute kommen, liegt das gewiss nicht allein am Wetter.

 

2003 demonstrierten noch Tausende gegen den Irak-Krieg

 

Die Thüringer Friedensbewegung hatte in den letzten 30 Jahren immer ihre Höhen und Tiefen. Gegen den Irak-Krieg (2003) war der Anger noch prall gefüllt und auch zum traditionellen Thüringer Ostermarsch kamen vor 10 Jahren noch mehrere Hundert Menschen selbst ins kleine Ohrdruf und protestierten gegen den Truppenübungsplatz. Heute sieht das oft dünn aus und das, obwohl vor der Haustür der schlimmste Krieg seit 1945 tobt. Wer 2023 für den Frieden auf die Straße geht, steht oft ziemlich alleine da und wird Fratz in die rechtsextreme Schwurbel-Ecke gestellt.

 

Thüringen Medien berichten kaum

 

Gründe genug, die Aktiven vom Erfurter Friedensbündnis zu Wort kommen zu lassen. Thüringer Medien wie TA oder MDR glänzen dagegen mit Dauerabwesenheit und bringen nicht mal mehr die Termin-Ankündigungen. Darüber klagte früher schon die große Erfurter Friedensfrau, Ute Hinkeldein, die im Juli 2022 verstarb. Ihren Aktionskreis Frieden gibt es aber noch. „Projekte wie dem Frieden das Wort oder das Literaturcafé in der Paulskirche machen wir weiter und natürlich sind wir auch Bestandteil des neuen Friedensbündnisses“, erklärt Karin Schrappe. Leute wie sie, Ursel Kachel oder Hanne Adams haben sich gefühlt schon immer den Allerwertesten für die Friedensbewegung aufgerissen. Man fragt sich nicht nur angesichts der Gleichgültigkeit der Menschen auf dem Erfurter Anger: Woher nehmen die eigentlich ihre Motivation?

 

„Viele haben davor Angst und ziehen sich ins Private zurück“

 

„Es scheint als hätte es überhaupt keinen Sinn, wenn in Berlin, außer der LINKEN, alle für Waffenlieferungen sind. Wenn man Position ergreift, wird man natürlich auch angegriffen. Viele haben davor Angst und ziehen sich ins Private zurück“, berichtet Margit Enders aus den vielen Gesprächen.

 

„ Es ist hart, aber wir wissen, dass es sein muss“

 

Organisatorisch hat in Erfurt Evelyn Sittig von der Linkspartei die Fäden in der Hand und schuftet trotz Berufstätigkeit viele Stunden in der Woche ehrenamtlich. Sie hatte auch schon ein Jahr lang die Klimamahnwachen mitorganisiert und weiß deshalb: „Es bringt nichts, wenn man sich zu viel vornimmt und es dann nicht durchhalten kann. Deswegen haben wir uns für ein kurzes Format, eine halbe Stunde alle 14 Tage, entschieden. Es ist hart, aber wir wissen, dass es sein muss“.

 

Zivilgesellschaft ist nicht nur Fridays for Future

 

Die rüstige und stets umtriebige Pensionärin Ursel Kachel wirft ein: „Jeder Mensch hat eine persönliche Verantwortung, auch wenn das vielen nicht bewusst ist. Und deswegen bringen wir uns ein. Wir fühlen uns persönlich für die Entwicklung friedlicher Zustände verantwortlich“. „Zivilgesellschaft ist nicht nur Fridays for Future oder der Geschlechterkampf um das Er-Sie-Es. Es gibt kein Fridays for Future ohne Frieden. Frieden muss zentral sein, gerade jetzt wo Stimmen laut werden, die sogar einen kleinen Atomkrieg führen wollen“, sagt Margit Enders und wünscht sich eine Friedensbewegung wie zu Zeiten des NATO-Doppelbeschlusses.

 

Unterwanderungsversuche von Rechts

 

Völlig abwegig ist dieser Gedanke keineswegs, denn beim „Tabubruch“ vom 5.2.2020 war es ein großes Bündnis aus Fridays for Future, Omas gegen Rechts und Gewerkschaften, die gegen die Wahl von Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten von Nazi Höckes Gnaden erfolgreich protestierten. Doch beim Frieden ist dieses Bündnis nicht in Sicht. In Erfurt liegt das nicht nur an Versuchen aus der Querdenken-Szene die Friedenskundgebungen zu unterwandern. Es ist nicht zuletzt die stalinistische MPLD, die vor allem junge Leute aus der Klimabewegung abschreckt. Auf ihre große organisatorische Unterstützung kann und will das Erfurter Friedensbündnis aber nicht verzichten.

 

Von den Grünen ist wenig zu sehen

 

Das wäre vielleicht möglich, wenn sich die einst aus der alten Friedensbewegung hervorgegangenen Grünen mal wieder einbringen würden. Doch deren Beiträge sind rar und ganz anders als früher. Beim Ostermarsch 2022 trat der Grünen-Landeschef Bernhard Stengele auf, sprach sich für Waffenlieferungen an die Ukraine aus und wurde ausgebuht. In Jena erklärte Sabine Lötzsch die Vorgeschichte des Krieges und der NATO-Osterweiterung und wurde ebenfalls lautstark ausgebuht, ehe man ihr das Mikro entriss. Es scheint als sei der Dauerkampf „Idioten vs. Lügner“ aus den Sozialen Medien direkt in die Friedensbewegung geschwappt.

 

Taktik des „Kleinsten gemeinsamen Nenners in Suhl

 

Während beim Friedensfest in Gera, trotz Gregor Gysi, „nur“ 500 Leute kamen, wo vor ein paar Jahren fast 10 mal so viele erschienen, hört man aber immerhin aus Suhl noch eher positive Nachrichten. Dort ist es die frühere Landtagsabgeordnete Ina Leukefeld mit Gleichgesinnten, die regelmäßig Friedenskundgebungen organisiert. Ihr Ansatz: „Seien wir solidarisch mit den Opfern der Kriege, Krisen und Katastrophen. Befördern wir eine Kultur des Zuhörens und des direkten Dialogs. Schauen wir nicht auf das, was uns trennt, sondern auf das, was uns verbindet“. Zwar kommen in der „ältesten Stadt Deutschlands“ auch keine Tausende. Dafür ist das Publikum in der „Stadt des Friedens“ zum Weltfriedenstag überraschend vielfältig: Bürgermeister Jan Turczynski, Ingrid Ehrhardt, Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler und sogar der CDU-Stadtrat und Ortsteilbürgermeister Matthias Gering sind dabei. Dazu gesellt sich Steffen Hartwig, Sozialarbeiter in der Suhler Erstaufnahmestelle für Geflüchtete, der den Zusammenhang von Waffenlieferungen und Flucht erklärt. Die Taktik des „Kleinsten gemeinsamen Nenners“ wie es Leukefeld nennt, scheint in Suhl zu funktionieren. Umso mehr ärgert sie, wenn es dünkelhafte Angriffe aus den eigenen Reihen gibt, wenn man auch nur über einen Weg zur Beendigung des Krieges laut nachdenkt.

 

„Solidarität mit der Ukraine heißt für mich zu fordern, dass der Krieg aufhört“

 

Das sieht man in Erfurt genauso. Margit Enders empfiehlt deshalb Kommunikatives Handeln nach Jürgen Habermas: „Ins Gespräch kommen und klar machen: Wir sind gegen Waffenlieferungen in alle Kriegsgebiete, aber wir nehmen keine Partei“. Ursel Kachel ergänzt: Solidarität mit der Ukraine heißt für mich zu fordern, dass der Krieg aufhört. Es ist doch wie immer: die Armen lassen sie totschießen und die Reichen sind im Ausland.“

 

Allen ist klar: Egal wie der Krieg ausgeht. Russland wird dann noch da sein und wir werden neue Wege der Zusammenarbeit brauchen. Aber darüber wird kaum geredet, nicht mal mehr an den Universitäten. Die Leute haben Angst vor den negativen Konsequenzen, auch wenn – anders als in Putins Russland – nicht gleich Gefängnis droht. Es sei denn, man deckt Kriegsschweinereien des Westens auf. Aber über den Fall Julian Assange wird in Thüringen genauso wenig berichtet wie über Aktionen der Friedensbewegung.