Ein Parteiprogramm ist kein Warenkatalog, aus dem sich jeder bedienen kann

Mit dem Erfurter Parteitag vom 21. bis 23. Oktober will die noch immer jungen Linkspartei ein Programm geben. Sie sucht bewusst Kontinuitätslinien zum Erfurter Programm der SPD von 1891.

Der Erfurter Programm-Parteitag der LINKEN ist kein Parteitag, wie jeder andere. Nicht nur, weil sich die noch immer junge Partei endlich ein Programm gibt, in das viele Menschen auch außerhalb der LINKEN große Erwartungen und Hoffnungen setzen, sondern auch, weil man an die Tradition des Erfurter Programms der SPD von 1891 anknüpfen möchte. Ein guter Grund, sich im Vorfeld noch einmal intensiv damit zu beschäftigen. Deshalb hatte die Rosa-Luxemburg-Stiftung am 12. Oktober Prof. Michael Buckmiller, Politikwissenschaftler von der Universität Hannover und den jungen Berliner Historiker Ralf Hoffrogge in das Haus Dacheröden eingeladen, um, moderiert vom Vorsitzenden der Erfurter LINKEN, Steffen Kachel, die Aktualität des 120 Jahre alten Programms zu diskutieren.

Ralf Hoffrogge arbeitete klar heraus, dass schon damals die Befreiung von „Klasse, Rasse und Geschlecht“ ein zentraler Bestandteil war. Während das von Karl Marx heftig kritisierte Gothaer Programm von 1875 keine solche „integrative Perspektive“ beinhaltet, sei mit dem Erfurter Programm bereits ein „Programm zu Befreiung der Menschen“ entstanden, dass auch in der Praxis seine Wirkung entfaltete. So haben beispielsweise Frauen wie Käthe Kollwitz das Erfurter Programm als „theoretische Waffe“ im täglichen Kampf um Gleichberechtigung nutzen können. Selbst die damals stark tabuisierte Frage der Homosexualität habe auf Basis des Erfurter Programms wenige Jahre später zu einer durch August Bebel initiierter Debatte im Reichstag geführt. Folglich sei das Erfurter Programm kein „Programm-Programm“ gewesen, sondern führte auch zu einer konkreten Umsetzung. 

Prof. Buckmiller konzentrierte sich auf den theoretischen Teil des 1891er Programms. Dabei stellte er einen „programmatischen Dualismus“ zwischen dem theoretischen Teil und dem praktischen Forderungskatalog fest.  Die politischen Forderungen bezogen sich auf die damals aktuelle Gesellschaft, während sich die Theorie auf das noch zu Schaffenden konzentrierte. So ergebe sich eine Dialektik von Spontanität versus Organisation. Das Selbstverständnis der SPD sei zwar revolutionär gewesen, die SPD verstand sich aber keineswegs als eine „Revolution machende Partei“. Diese Unzulänglichkeiten machte Prof. Buckmiller besonders deutlich an der Haltung Bebels, zunächst die politische Macht zu erobern und dann würde sich schon alles andere ergeben. Die Hilflosigkeit  und das Versagen von 1918/19 sind dabei ein grausig-blutiger Beleg für die Schwächen des 1891er-Programms. Ein Parteiprogramm sei eben kein Warenkatalog, aus dem sich jeder bedienen könne, so Prof. Buckmiller. Trotz dieser kritischen Überlegungen konstatierte aber auch er, dass das Erfurter Programm in der Analyse- und Prognosefähigkeit noch immer sehr aktuell sei. 

Nun ist DIE LINKE gefordert, ein Programm zu verabschieden, das sowohl an die Stärken des 1891-Programms anknüpft als auch den Dualismus zur Tagespolitik überwindet. Das ist wahrlich keine einfache Aufgabe, die nur gelingen kann, wenn persönliche Konflikte nach hinten gestellt werden und konstruktiv um die gemeinsame Sache gerungen wird.              

Thomas Holzmann