Agathe Power

Die Gemeindeschwester ist mit neuem Vehikel und neuem Namen wieder da. Ein Besuch bei der Agathe-Koordinatorin Christiane Herrmann und Landrätin Petra Enders in Arnstadt zeigt: Das funktioniert und die Agathen können noch so viel mehr.

 

Die Menschen werden immer älter. Das klingt erst mal nach einer banalen Phrase aus einer allsonntäglichen Fußball-Talk-Show. In den Thüringer Kommunen allerdings kommen die Auswirkungen der als demografischer Wandel verniedlichten Überalterung der Gesellschaft längst an.

In Zahlen sieht das so aus: Im Ilm-Kreis war 2019 bereits jeder vierte Einwohner 65 Jahre oder älter: 28.000 Menschen von 108.000. Insgesamt 3.192 waren sogar älter als 85. Und die Zahlen werden steigen: Ab 2030 werden für den Ilm-Kreis nach vorsichtigen Prognosen bis zu 5.500 Pflegebedürftige leben.

Dazu kommt das Wegbrechen der Strukturen im ländlichen Raum: keine Läden, kein Bus und lange Wege. Zur Tristesse in abgehängten Regionen gesellt sich Einsamkeit, die immer mehr älteren Menschen besonders zu schaffen macht.

Das ist nicht nur schlecht für das Wohlbefinden, es bedeutet auch reale Gefahren und Probleme. Oft wissen Senioren nicht, welche Heizung sie einbauen sollen und vom neuen Enkeltrick per WhatsApp haben sie auch noch nichts gehört.

 

„Wie können wir ältere Menschen unterstützen, die ganz allein sind?“

 

Solche Probleme sind Ilm-Kreis-Landrätin Petra Enders längst bekannt. „Wie können wir ältere Menschen unterstützen, die ganz allein sind“, ist eine Frage die sie umtreibt. Die parteilose, aber bekennende linke Landrätin, hat sich schon immer für Senioren stark gemacht. In fast allen Städten und Gemeinden gibt es inzwischen Seniorenbeiräte, die sich für die Menschen vor Ort einsetzen – auch dank des 2019 etablierten Kommunalen Senioren- und Pflegeinformationszentrums im Ilm-Kreis. Nicht zu vergessen den Seniorenbeauftragten des Ilm-Kreises, Stephan Rottweil, dessen unermüdliches ehrenamtliches Engagement Petra Enders in den höchsten Tönen lobt.

Überhaupt merkt man bei der Landrätin, genau wie bei Agathe-Koordinatorin Christiane Herrmann sofort, wie sehr sie für die gute Sache brennen. Dank Petra Enders fahren heute wieder Züge von Erfurt zum Bahnhof Rennsteig. Dank ihr wurden die kommunalen Krankenhäuser in Arnstadt und Ilmenau erhalten. Und sie hat per Bürgerentscheid die Abfallwirtschaft und den Busverkehr erfolgreich rekommunalisiert. Öffentliche Daseinsfürsorge, eine Kernkompetenz der Linkspartei, bei Petra Enders ist das Pflicht und Kür zugleich.

Da kam das Agathe-Programm von Ministerin Heike Werner natürlich gerade recht. Noch vor der Landrätin rief es Christiane Herrmann auf den Plan. Ihre Stelle klingt kompliziert: Kommunales Senioren- und Pflegeinformationszentrum/Seniorenamt. Ihre Arbeit ist aber mit Geld gar nicht aufzuwiegen.

 

Nach der erfolgreichen Bewerbung im Konzeptauswahlverfahren konnte am 1. November 2021 die erste Agathe-Fachberaterin, Doreen Klauder, ihre Arbeit aufnehmen, inzwischen sind sie zu zweit. Insgesamt sind es in Thüringen schon 50, aber noch nicht alle Landkreise sind in das Projekt eingetreten. Manche tun sich schwer, denn: „Es ist mit viel Aufwand verbunden“, sagt Herrmann, vor allem wegen der Dokumentationspflicht. Über all der harten Arbeit hängt auch noch das Damoklesschwert der Befristung bis 31.10.2024.

„Die Ministerin Heike Werner wünscht sich sehr, dass das Projekt weitergeführt wird, aber am Ende können wir nicht sagen, ob Agathe in dieser Förderqualität erhalten bleibt“, so Enders.

 

In nur 3 von 11 Kreisen mit Agathe regiert die CDU

 

Mit Blick auf die 11 Kreise bzw. kreisfreien Städte in denen es Agathe gibt, fällt auf: Nur drei haben einen CDU-Landrat. Ohne engagierte Leute, die vor Ort die Ärmel hochkrempeln, läuft sowieso nichts. „Das Ministerium ist gerade dabei, die Richtlinie anzupassen, dazu muss es aber immer Leute geben, die es koordinieren: Fördergelder beantragen, das Landesverwaltungsamt informieren, Beraterinnen anleiten, Öffentlichkeitsarbeit. Von alleine läuft gar nichts. Die wichtigste Frage ist: Wie erreiche ich die Leute, die von Einsamkeit betroffen sind, es selber aber gar nicht so wahrnehmen. Das ist die große Kunst“, so Herrmann über ihre Arbeit.

 

Die Landrätin hat alle ab 63 Jahre persönlich angeschrieben, um Erstkontakt aufzunehmen

 

Dafür haben sie und Petra Enders keine Mühen gescheut. Das war vor allem während der Pandemie nicht einfach. „Die Landrätin hat alle ab 63 Jahre persönlich angeschrieben, um Erstkontakt aufzunehmen“, erklärt Herrmann und führt ein großes Aber an: „Nach 4 bis 5 Wochen hätten wir uns mehr Effekt gewünscht. Aber jetzt nach zwei Jahren kann ich sagen: Die Menschen rufen an, denn sie haben den Brief aufgehoben, bis sie ihn brauchen. Wir hätten nicht erwartet, dass wir heute noch dazu Feedback bekommen“, so das positive Langzeitfazit. Am besten funktioniere aber die Mundpropaganda: Kirchengemeinden, Seniorenvertreter, kleine Strukturen, Klinken putzen bei Apotheken, Ärzten und Physiotherapien. 

Konkret helfen die Agathen bei Förderanträgen, z. B. für Pflegehilfsmittel oder wenn Menschen im Wohnumfeld nicht mehr zurechtkommen. „Manchmal rufen auch die Nachbarn an, weil sie jemanden lang nicht mehr gesehen haben“, sagt Enders, die sich wie viele andere auch an „Agnes“, die Gemeindeschwester der DDR, erinnert. Auch die Agathen kümmern sich um soziale Belange, z. B. um Übergangsbetreuung. Da wird auch mal eine Wohnung hergerichtet oder die Finanzen werden geklärt.

Neben der konkreten Hilfe für Menschen vor Ort kommt noch ein politischer Aspekt dazu: „Viele Menschen melden sich direkt bei mir und bitten um Unterstützung. Dann kann ich die Agathe-Fachberaterinnen losschicken. Viel haben wir schon erreicht. Dank ihnen gibt es heute in Gräfinau-Angstedt einen Seniorentreff, der gut angenommen wird. Der Chor trifft sich dort. Im ganzen Ilm-Kreis gibt es Aufklärungs-Veranstaltungen mit der Polizei zu Trickbetrügereien, denen häufig Senioren zum Opfer fallen“, so Petra Enders, die sich über das Interesse am Programm freut: „Wir haben täglich neue Anfragen, neue Klienten. Die Leute wissen jetzt: Bei Problemen können sie bei ‚Agathe‘ anrufen. Wir arbeiten mit den Ilm-Kreis-Kliniken, allen Pflegediensten und jeder Institution, die zum Thema eine Schnittstelle hat, zusammen. Es ist ein großes Netzwerk entstanden, das den gesamten Ilm-Kreis überzieht, so wie ich es mir vorgestellt hatte“, bilanziert Enders.

 

Kein passender Wannenlift? Agathe kümmert  sich.

 

Alle Probleme können sie freilich nicht lösen: Barrierefreie, seniorengerechte Wohnungen bleiben auch zwischen Ilm und Rennsteig Mangelware. Was immer geht, sind einfache, niederschwellige Angebote, z. B. eine Rampe, so dass man mit dem Rollator besser in die Wohnung kommt. „Ein Klient brauchte einen passenden Wannenlift. Die Krankenkasse hat gesagt: Es gibt keinen. Dann hat sich Agathe gekümmert und es gab doch einen“, erzählt Herrmann.

 

Schwester Agnes des 21. Jahrhunderts

 

Die Agathe als neue Schwester Agnes des 21. Jahrhunderts auf der E-Schwalbe ist nicht die einzige Vision von Petra Enders. Dazu schaut sie auch gern, was andere Kreise an Ideen haben. „Ich bin begeistert von den Gesundheitskiosken der ‚Stiftung Landleben‘ im Unstrut-Hainich-Kreis. Dort gibt es einen voll ausgestatteten Bus zum Blutdruckmessen und vieles mehr, damit Ältere nicht extra in die Arzt-Praxis müssen. Das ist wichtig, denn wir werden jenseits der Städte bald nur noch Medizinische Versorgungszentren haben, es wird nicht mehr überall ein Hausarzt sein. Die medizinische Versorgung gestaltet sich für Senioren jetzt schon sehr schwierig, gerade, wenn man Facharzttermine benötigt. Aber wir haben auch da Wege gefunden. Leider dürfen die Agathen die Senioren nicht selbst fahren, sondern nur den Fahrdienst vermitteln“, so Petra Enders.

Aber was nicht ist, kann im Ilm-Kreis ja noch werden. Und Petra Enders wird doch hoffentlich nochmal kandidieren. Schließlich sind nächstes Jahr auch Landratswahlen in Thüringen. 

Thomas Holzmann