Zurück zur Lustbarkeit

Kultur in Erfurt: Das sind nicht nur Domstufenfestpiele und Krämerbrückenfest!

In der Franz Mehlhose hat sich in zehn Jahren ein Kultur-Café mit ganz eigenem Charme etabliert: mit Thüringer Bier und einer herrlich bunten Kulturmischung für Jung und Alt.

Unbezahlbarer Charme statt Zigarattensponsor 

 

Franz Mehlhose: Das klingt erstmal wie ein Hipsterladen Berliner Prägung, gesponsert von Tabakfirmen und Großbrauereien. Doch weit gefehlt! In dem schicken Haus mit roten Samtvorhängen an der Ecke Löberstraße/Juri-Gagarin-Ring steht nur der Name Franz Mehlhose auf dem Kühlschrank. Das Bier kommt aus der kleinen Watzdorfer Brauerei in der Nähe von Saalfeld oder aus dem Erfurter „Heimathafen“. Die Inhaber, das Vater-und-Sohn-Team, Ralf und Philip Neues, verzichten so auf viel Geld und gewinnen jede Menge unbezahlbaren Charme. Dazu gibt es moderne  Feuilleton-Kultur vom Poetry Slam über Lesungen bis zu Ausstellungen. Und jeden Mittwoch werden hausgemachte Burger mit handgebackenen Brötchen kredenzt. Das hat Tradition. In dem Gebäude fanden schon von 1911 bis 1937 Kulturveranstaltungen und Lustbarkeiten statt – der Inhaber hieß: Franz Mehlhose. Danach wurden mal Schalter hergestellt oder Kleidung verkauft, ehe das Haus nach der Wende vermoderte. Doch dann kehrten die Lustbarkeiten zurück.

 

Die Polizei dachte, es gibt Krawalle 

 

„Durch die Räumung des „Topf Squads“ brach eine wichtige Einrichtung für unabhängige Kultur weg. Die Verwaltung hat solche engagierten Projekte häufig eher als Fremdkörper gesehen. Bei unseren ersten Veranstaltungen war oft die Polizei da. Die dachten, das besetzte Haus ist jetzt hierher gezogen und es gibt Krawalle“, erinnert sich Ralf. An das Haus sind die beiden 2008 über eine Zwangsversteigerung gekommen. „Eine totale Ruine. Man konnte von unten den Himmel angucken. Die ersten Veranstaltungen, meistens Partys, liefen ohne Strom und ohne Wasser. Nach und nach haben wir dann saniert“. Dabei entstand der Weg beim Gehen, immer gemeinsam mit den Gästen. Aus Partys wurden Einmietungen, organisiert vom Zughafen. „Dadurch haben wir in den Veranstaltungsbetrieb reingeschnuppert und gemerkt,  wir haben Bock, das selber zu machen“, erinnert sich Philip. 

 

„Es wird hier keiner doof angeguckt“

 

Üblich war und ist vielerorts, dass Konzerte relativ spät anfangen, oft weit nach 22:00 Uhr. „Um offener für Familien, ältere Leute oder Berufstätige zu sein, die früh raus müssen, haben wir das nach vorn verlegt: Primetime 20:15 Uhr. Das hat sich als sehr positiv erwiesen“, schätzt Philip ein. „Es kommen Leute im teuren Anzug und welche in Jogginghose. Aber es wird hier keiner doof angeguckt“, meint Ralf  über das Mehlhose-Publikum.

 

„Wir wollen mit einer Sache Geld verdienen, von der man eigentlich nicht leben kann“

 

Das klingt alles phänomenal. Aber kann man davon auch leben? Oder ist gerade so die Schwarze Null am Ende des Monats drin? „Am Anfang wäre die Schwarze Null ja noch ok gewesen“, sagt Ralf. „Wir mussten sehr viel investieren. Gewöhnlich ist es so, dass wir bei Konzerten drauf zahlen. Es gibt eine Studie von Clubschaffenden, die belegt: Unter 1.000 Gästen kann man kein Geld verdienen. Dafür sind die Kosten viel zu hoch“, so Ralfs nüchterne Analyse. Philip betont: „Wir sind nie dauerhaft von Stadt oder Land gefördert wurden, auch weil wir kein Verein sind. Aber das wollen wir nicht sein, auch um uns eine gewisse Unabhängigkeit zu bewahren. Wir wollen mit einer Sache Geld verdienen, von der man eigentlich nicht leben kann“, dieses Paradoxons ist sich Philip durchaus bewusst: „Deshalb braucht es einen sehr sehr langen Atem“. 

 

Gegenseitige Horizonterweiterung 

 

Jetzt sind die größten Investitionen getätigt. Es sieht extrem schick aus: Sowohl außen als auch innen. Im Hof schlummert zudem der schönste Biergarten von Erfurt. Auch ein Stammpublikum hat man sich erarbeitet: „Keine homogene Masse, wir haben Studis mit Migrationshintergrund, Gehirnchirurgen, aber auch Rentner, die erstmal gar keine Beziehung zur Feuilleton-Kultur haben. Das vermischt sich. Oft sehe ich, dass Leute, die sehr unterschiedlich sind, bei uns ins Gespräch kommen und gegenseitig ihre Horizonte erweitern“, sagt Philip nicht ganz ohne Stolz.  

Das zahlt sich jetzt auch in der Korona-Krise aus. Natürlich trifft das auch die Mehlhose hart, aber es gibt eine große Solidarität. Der Onlineshop, wo T-Shirts oder Gutscheine erhätlich sind, läuft gut. Die Lieferungen bringen Ralf und Philip, zur Freude der Kunden, gerne persönlich vorbei.

 

„Früher war es immer schwierig zu kooperieren“

 

Neben der Mehlhose tut sich auch anderorts in Erfurt kulturell was. Zum Beisiel im Norden, wo das Alternative Jugendzentrum, das Klanggerüst und die Frau Korte im Nordbahnhof jeweils sehr unterschiedliches Klientel bedienen. „Früher war es immer schwierig zu kooperieren“, weiß Ralf. Der Museumskeller, war einer der ersten, der kooperationsbereit war, wo andere noch nicht mal Flyer auslegen wollten. Aber auch das ist über die Jahre deutlich besser geworden. Da haben beide viel dazu gelernt, denn sie kommen nicht aus der Branche: Ralf ist eigentlich gelernter Lehrer und Philip hat Kommunikationsdesign studiert. Trotzdem bleiben Probleme. Aus Sicht mancher Soziokultur-Schaffenden sind Ralf und Philip Kapitalisten, vermuten die beiden selber. „Da fallen wir manchmal aus dem Raster. Nur, weil wir kein gemeinnütziger Verein sind, heiß das nicht, dass wir der Gemeinschaft nicht etwas nützen oder von dem, was wir tun, reich werden“, meint Philip. 

 

Von der Ämtern werden Steine in den Weg gelegt

 

Deswegen ärgern sich beide auch über die in Erfurt übliche Tyrannei der Verwaltung. Dass die Stadt für Kultur kein Geld hat, damit haben sie sich längst abgefunden. Immerhin wird die Mehlhose nicht mehr in die Kategorie Bordelle eingeordnet, die Vergnügungsteuer zahlen müssen. Aber trotzdem werden von den Ämtern oft Steine in den Weg gelegt. Die zuständigen Mitarbeiter haben meist keinen Schimmer von Kultur: „Wo solle des sei. Ich wohn’ doch in Gotha“, äfft Ralf einen Bürokraten, ohne Bezug zum Leben in Erfurt, gekonnt nach. Einhelliger Wunsch deshalb: Der oberste Dienstherr müsste  was machen! Also Herr Oberbürgermeister: Erklären sie mal ihrer Verwaltung, dass Live-Musik nicht das Gleiche ist wie Baustellenlärm! Das ist fast so viel wert wie eine institutionelle Förderung und kostet die Stadt keinen müden Cent.     

Thomas Holzmann